Nick Shadow (rechts) macht neugierig auf die große weite Welt
Wenn bei einem Festival parallel zu The Rakes Progress Mozarts Don Giovanni auf dem Programm steht, ist das mit Händen zu greifen. Der für den wegen eines gebrochenen Arms ausgefallenen Daniel Harding am Pult des Orchestre de Paris eingesprungene Eivind Gullenberg Jensen versucht im Graben denn auch, vor allem den Mozart im Strawinsky aufleuchten zu lassen. Da klingt die Höllenfahrt des mephistophelischen Nick Shadow durchaus entfernt so, als würde Don Giovanni vom Komtur in die Hölle befördert. Nur ist es hier, wir sind in der Mitte des 20. Jahrhunderts, nicht der Sünder, der zur Hölle fährt. Hier versinkt der Teufel im selbstgeschaufelten Grab.
Nick kommt in der Großstadt an und ist überwältigt
In der auf opulente, in den weißen Bühnenkasten des Théâtre de l'Archevêché projizierte Bilder setzenden Inszenierung von Simon McBurney wird Nick Shadow und sein ganzes Gefolge, trotz heftiger Gegenwehr, nicht nur vom sich öffnenden Bühnenboden in der hinteren rechten Ecke verschluckt. Der Sog der Unterwelt zieht auch die projizierte Welt mit in diesen Abgrund. Das ist einer der wirkungsvollsten Effekte, die sich mit dieser Video-Opulenz erzeugen lässt, mit der Michael Levine (Bühne) und Will Duke (Video) durchweg arbeiten.
In der Szene mit der Türkenbaba (Andrew Watts mit großer Transengeste zwischen Diva und Conchita Wurst) kommen zum projizierten Edelkitsch-Salon des Neureichen noch einzelne Prestige-Interieurs (von ausgestopfter Giraffe über Mumie bis zum Kontrabass) dazu. Die durchstoßen von außen die Papierwände des Bühnenkastens. Und sie verschwinden nach der großen Pleite bei der Versteigerung auf diesem Wege auch wieder. Was bleibt, sind die symbolträchtigen Schlitze in den Wänden, die Tom trotz aller verzweifelter Bemühungen nicht wieder reparieren kann.
Bei Rakwell und der Türkenbaba daheim
Dabei hatte alles im Idyll einer romantischen Landschaft angefangen. Es war klar, dass bei diesem Ausgangspunkt die einstürmenden Bilder der Großstadt einen jungen Mann aus der Bahn werfen. Noch dazu, wenn er unter eine Gesellschaft gerät, die exzessiv sich selbst feiert und in einem flott choreogaphierten Sturm der Begierden alle Grenzen, die er bislang kannte, hinweg fegt. Die Schauspielertruppe bringt sich hier dynamisch und mit einem Sexappeal mit allen Spielarten von Über -die-Stränge-schlagen bis in die Orgie ein. Das ist zwar auch vor allem eine Illustration der Geschichte, wie sie McBurney insgesamt "nur" bietet, aber sie macht Spaß.
Hier fährt Nick Shadow zur Hölle
Gesungen wird mit belcantistischem Ehrgeiz. Überzeugen können sowohl Julia Bullock mit ihrer unerschütterlichen Anne Trulove. Aber auch Paul Appleby mit der fordernden Partie des Tom Rakwell, der sich mit seinem Abgleiten in den Wahnsinn auch als Darsteller steigert. Triumphieren freilich kann, trotz (oder wegen) seiner unheiligen Rolle im Stück, vor allem Kyle Ketelsen als Nick Shadow. Das Teuflische liegt weniger in seinem Aussehen als in seiner Fähigkeit, als Schatten an der Wand - nomen est omen - urplötzlich an ganz verschiedenen Stellen aufzutauchen.
FAZIT
Szenisch hat diese Strawinsky-Inszenierung von Simon McBurney ihre Reize. Gesungen und musiziert wird in einer guten Ensembleleistung, zu der auch die Schauspielertruppe gehört, die die Illustration allemal mit einer flotten Show aufmischt.
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