Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
|
Thesenbombardement aus dem Sandkastenvon Stefan Schmöe / Fotos © Ben van Duin / Ruhrtriennale 2017
Ein superreicher Mann, Eric Packer, lässt sich in seiner Luxuslimousine durch die Großstadt zum Friseur fahren. Gleichzeitig drohen seine hochriskanten Währungsspekulationen zu platzen und sein gigantisches Vermögen binnen Stunden zu vernichten - und "systemrelevante" Bankinstitute und folglich das Wirtschaftssystem als Ganzes mit in den Abgrund zu reißen. Der Wagen scheint, trotz der angesprochenen 48-Zimmer-Wohnung mit Haifischbecken (für die der Preis von 104 Millionen Dollar aus heutiger Sicht relativ günstig sind), Packers Lebensmittelpunkt zu sein. Hier drängt er auf Sex mit seiner frisch vermählten Gattin, einer 735-Millionen-Erbin (wobei deren Vermögen traditionell und irgendwie "gut" erwirtschaftet wurde, jedenfalls nicht mit undurchschaubaren Finanzprodukten). Er trifft seinen Arzt, seine Hausphilosophin und seine Kunsthändlerin (die ihm mal eben die "Rothko Chapel" in Houston kaufen soll - der Preis spielt keine Rolle). Nein, man ist nicht sehr verlässlich zu Haus in dieser Welt des virtuellen Geldes, das alles beherrscht. Allein der Tod entzieht sich der Bankerlogik dieses Heimatlosen. Ein ehemaliger und entlassener Mitarbeiter verfolgt Packer, um ihn zu töten - und konfrontiert ihn so mit seiner Sterblichkeit.
Das Szenario entstammt dem Roman Cosmopolis von Don DeLillo, geschrieben 2003 (das war noch vor der großen Finanzkrise, die hier prognostiziert wird), für die Bühne eingerichtet von Koen Tachelet. Es inszeniert Triennale-Intendant Johan Simons persönlich, und er setzt damit seine Reflexion über die Bedingungen von Arbeit nach Accatone (2015, nach dem Film von Pier Paolo Pasolini) und Der Fremde (2016, nach Albert Camus) fort - thematisch besitzt das natürlich große Relevanz für das Ruhrgebiet, das für "echte" wertschöpferische Arbeit als Kontrast zu den windigen, aber sehr erfolgreichen Finanzspekulationen steht. Simons und Bühnenbildnerin Bettina Pommer verlegen das Geschehen auf einen Spielplatz, und mit zu kurzen Hosen wie zu kurzer Krawatte wirkt der Eric Packer hier wie ein ewiges Kind, das trotzig in seinem "Ich will das aber!"-Gestus verharrt. Auch angesichts der Realitäts- wie Komplexitätsverweigerung eines Donald Trump wirkt das Ambiente sofort plausibel. Es hat allerdings den entscheidenden Nachteil, dass es seine Idee sofort preis gibt. Nach ein paar Minuten hat man die Grundidee des Stückes durchschaut. Und die Schauspieler Pierre Bokma (Eric), Bert Luppes (sein Verfolger Benno), Elsie de Brauw (alle Frauenrollen) und Mandela Wee Wee (die männlichen Nebenrollen) sprechen zwar exzellent Deutsch, aber nicht als Muttersprache - vielleicht liegt es daran, dass es praktisch keine Tempo- und Rhythmuswechsel gibt. Im Ergebnis ergibt das zweieinviertel pausenlose Stunden Diskurstheater, das mehr und mehr zäh wird, zumal Simons alle Handlungselemente nur vage andeutet, die Nebenfiguren zusammenzieht und damit die Akzente noch einmal zum Theoretisieren verschiebt.
Zwar firmiert Cosmopolis unter der Bezeichnung "Musiktheater", aber die Musik spielt nur eine untergeordnete Rolle. Das Saxophonquartett "BL!NDMAN [sax]" spielt ausgesprochen homogen und klangschön Bach und auch Mozart (bearbeitet von Eric Sleichim), oft von Ferne irgendwo aus den Tiefen der Jahrhunderthalle, aber das setzt nur kleine Akzente der Art "hier geht es um Wichtiges". Wenn Packer auf einen gewalttätigen Demonstrationszug trifft, dann tröten die vier Saxophonisten wildes, kakophones Zeug. Benjamin Dousselaere erzeugt am Moog-Synthesizer und anderen elektronischen Instrumenten passende Geräusche (und ein wenig Klaviermusik von Satie, auf die es inhaltliche Anspielungen gibt). Das hat etwa die nebensächliche Bedeutung einer Filmmusik, die das Geschehen hier und da atmosphärisch verdichtet, aber letztendlich im Hintergrund bleibt. Ob die Musik hier überhaupt einen Mehrwert bringt angesichts der Textlastigkeit der Komposition, das darf man bezweifeln.
Recht hat er ja, der Johan Simons mit seiner Kulturkritik; der Stoff ist aktuell und brisant. Die geeigneten theatralischen Mittel dafür aber findet er nicht. Dramaturgin Dorothea Neweling bringt in ihrer sehr konzentrierten, etwa viertelstündigen Werkeinführung alle Ideen des Abends auf den Punkt. Danach kann man getrost nach Hause gehen.
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüm
Licht
Sounddesign
Dramaturgie
Darsteller
Eric Packer
Leibwächter / Arzt / Friseur
Benno Levin
Packers Ehefrau / Kunsthändlerin / |
- Fine -