Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
|
Der sich selbst abschaffende Menschvon Stefan Schmöe / Fotos © Caroline Seidel / Ruhrtriennale 2017
Das Thema trifft den Nerv der Ruhrtriennale: Die Geschichte der Menschheit erzählt in drei Kapiteln als eine Geschichte der Arbeit. Es beginnt beim vorindustriellen Menschen, der sich mit der Fähigkeit, Werkzeuge zu erschaffen, die Erde erobert; dann folgt der industriell arbeitende Mensch in einer sich wohl langsam dem Ende zuneigenden Gegenwart (für die das Ruhrgebiet exemplarisch steht); am Ende steht der Cybermensch der schon begonnen habenden digitalen Zukunft. Weil der Cyberspace vermutlich demnächst ganz gut ohne den Menschen auskommt, gibt es noch einen Epilog mit dem Titel "Jenseits des Menschen". Als musikalisches Material dienen Kompositionen von Luigi Nono (1924 - 1990) und Georges Aperghis (*1945), ergänzt um zwei rahmende Werke, die Yannis Kyriakides (*1969) eigens für diese Produktion komponiert hat.
Zunächst aber hört man zur Einstimmung im Vorraum der Gebläsehalle eine Klanginstallation von Wouter Snoei (* 1977): Soundscape Foyer, Maschinengeräusche, die sich in diesem industriellen Ambiente hübsch machen: Nennen wir es mal "Atmosphäre verdichten". Auf der Bühne beginnt es dann mit Sophokles. Kyriakides hat im ersten Satz in seiner zweiteiligen Ode to man (der zweite Teil wird für den Epilog verwendet) Passagen aus Antigone vertont ("Ungeheuer ist viel. Doch nichts / ungeheuerer als der Mensch.") Die Welt mag sich der Mensch unterwerfen, nicht aber den Tod. Vertont für vier Frauenstimmen und moderat eingesetzte Elektronik, die eine dezente Geräuschkulisse unterlegt, tasten sich die Solostimmen voneinander weg, sodass sich in getragenen Klangflächen immer wieder Dissonanzen entwickeln. Zur Textvorlage nimmt das keinen erkennbaren Bezug auf, die Stimmführung ist instrumental - wobei eben der Einsatz von menschlichen Stimmen programmatisch ist, das wird im Epilog "Jenseits der Menschheit" fehlen. In antikisierenden Gewändern stehen Jennifer Claire van der Hart, Eléonore Lemaire, Michaela Riener und Fanny Alofs quasi konzertant an der Rampe, während man hinter einem Wandelement aus Plexiglas die Tänzer mehr ahnt als sieht.
Mit sparsamer Bebilderung kommt auch der zweite Teil aus, der sich unmittelbar mit dem Industriezeitalter auseinandersetzt. Luigi Nono hat in der 1964 entstandenen 17-minütigen Komposition eine Collage aus Geräuschen (aufgezeichnet in einem Stahlwerk in Genua), Parolen skandierenden Arbeitern, versprengten Schnipseln von Chormusik) elektronisch aufgezeichnet, über der ein (live gesungener) Solosopran schwebt, der die politisch aufgeladene Atmosphäre in eine poetische Sphäre transzendiert. In dieser Aufführung steht Sopranistin Eléonore Lemaire auch physisch über den Dingen, singt glockenrein vom oberen Ende einer Treppe aus, die sich die Rückwand der Halle hinaufzieht. Auf die Plexiglaskonstruktion werden Bilder projiziert, etwa die Außenansicht eines Fabrikgebäudes, aber mit vorsichtiger Zurückhaltung - es geht dem Kollektiv Silbersee, das hier am Werke ist, nicht um eine plakative visuelle Umsetzung der Arbeitsproblematik, sondern um zarte Andeutungen und ein Theater, dass sich mehr im Kopf als auf der Bühnbe abspielt. So bleibt auch dieses zweite Kapitel eher eine konzertante Aufführung mit Bildern als eine dramatische Umsetzung.
Das immerhin ändert sich im dritten Teil, der sich der Mittel des zeitgenössischen Tanztheaters bedient, unmittelbar Emotionen darstellt und zwar keine narrative Handlung, aber viele kleine Szenen zeigt. In seiner Komposition Machinations für vier Frauenstimmen und Elektronik, der Ausdehnung nach der musikalischen Schwerpunkt des Abends, zerlegt der griechische Komponist Georges Aperghis die (französische) Sprache immer wieder in einzelne Laute, aus denen sich gelegentlich Sinnzusammenhänge ergeben, etwa Alan Turing zitieren, die mechanische Ente des französischen Ingenieurs (1709 - 1782) spielt eine Weile eine Schlüsselrolle, die Frage "können Maschinen denken" rückt ins Zentrum. Klanglich bewegt sich das zwischen einem kunstvollen Gebrabbel und der vielfachen Wiederholung einzelner Worte, woraus sich eine ganz eigene Rhythmisierung ergibt. Die Elektronik koppelt offenbar manche Passagen zurück, die Ausführung lässt so viele Freiheiten, dass die Ausführenden von einer "Version Silbersee" sprechen. Auf der Bühne ist allerhand Bewegung, die Videobilder werden konkreter (etwa Skizzen der besagten "mechanischen Ente"). Das Problem der preisgekrönten Komposition ist freilich, dass sie höchst komplexe Fragen abhandelt, die sich mit musikalischen und tänzerischen Mitteln kaum einfangen lassen. Die Reduktion theatralischer Aktionen auf elementare oder spielerische Kurzformen kennt man etwa von Mauricio Kagel (Staatstheater, 1967-70) oder auch György Ligeti (Aventures, 1962); Aphergis und Silbersee schleppen bei einer ästhetisch ähnlichen Konzeption aber die Grundfrage nach dem Wesen des Automaten und der künstlichen Intelligenz als Ballast mit. An dieser außerordentlich schwierigen Thematik gemessen ist das sicht- und hörbare Ergebnis in seiner spielerischen Naivität reichlich banal.
Im Kapitel vier "Nach dem Menschen", eigentlich ein kurzer Abgesang, hört man im zweiten Teil der rein elektronischen Komposition von Kyriakidis fragmentarische Klänge wie Chormusik aus weiter Ferne - ein durchaus beklemmender Nachhall einer verschwundenen Menschheit, sehr viel fassbarer als die Musik von Aperghis in seiner emotionalen Unmittelbarkeit.
Den ganz großen Fragen nach dem Wesen des (arbeitenden) Menschen, die es stellt, wird das Projekt in seiner künstlerischen Antwort nicht gerecht, am wenigsten bei Aperghis, am ehesten noch bei Nono. Immerhin: Eindrucksvoll gestellt werden die Fragen schon.
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Choreographie
Video
Bühne, Licht
Kostüm
Choreografische & Künstlerische Assistenz
Dramaturgische Beratung
Performer
Sopran
Sopran/Mezzosopran
Alt
Tanz
|
- Fine -