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Bei Wagners dahoamVon Ursula Decker-Bönniger, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Welch historisierender Ausstattungs- und Kostümaufwand, welch sängerisch und schauspielerisch faszinierende Darbietung der Gesangssolisten, welch mutige und künstlerisch meisterliche des Festspielorchesters und -chores konnte man bei der diesjährigen Meistersinger-Aufführung in Bayreuth erleben. Philippe Jordan befreit das Werk von glanzvollem, häufig im Vordergrund stehenden Blechbläserpathos in C-Dur. Stattdessen erklingen die Orchestergruppen und -farben ausgesprochen ausgewogen. Es gibt viel tänzerische, in dynamischen Wellenbewegungen erklingende Leichtigkeit und eine in Tempo, Klangfarbe und Dynamik aufs Feinste dramaturgisch abgestimmte, geradezu kammermusikalisch ausgerichtete Transparenz.
Stolzing/Wagner (Klaus Florian Vogt) hat sich in Eva/Cosima (hier Camilla Nylund) verliebt
Dazu die im dritten Jahr stattfindende, komplex zwischen dem Privaten und Öffentlichen, zwischen Fiktion und historischer Wirklichkeit, Ernst und Komik changierende Barrie Kosky-Inszenierung zu Antisemitismus und Persönlichkeit Wagners, die von den GesangssolistInnen sängerisch und schauspielerisch brillant umgesetzt wird. Wer die Wahnfriedvilla mit Bibliothek, Flügel und schweren, rotsamtenen Vorhängen gesehen hat, kann sich vorstellen, wie es bei Wagners dahoam zugegangen sein mag. Während der Meister selbst zunächst noch mit den Hunden Molly und Marke Gassi geht, überwacht Cosima aufgeregt und unter Migräne leidend die Vorbereitungen für die Teeeinladung am Nachmittag. Humorvoll wird nach seiner Rückkehr die raumgreifende Selbstdarstellung und -inszenierung des Meisters karikiert. Er schüttelt Hände, packt Geschenke aus und präsentiert sie. Liszt, der sich unter den geladenen Gästen befindet, wird vom Flügel verdrängt und später doch zum vierhändigen Spiel aufgefordert. Auch Kapellmeister und späterer Uraufführungsdirigent des Parsifal Hermann Levi ist eingeladen. Wagner erläutert ihm die Partitur. Vorspiel und erster Akt fließen ineinander. Das Spiel kann beginnen.
Die Rollen sind verteilt. Protagonisten wie Hans Sachs und Walter von Stolzing übernimmt der Meister selbst. Dem Juden und glühenden Wagner-Verehrer Levi wird die undankbare Rolle des Sixtus Beckmesser zugeteilt. Veit Pogner ist Franz Liszt. Seine Tochter Cosima ist Pogners Tochter Eva. Und während zu Beginn des ersten Aktes der Gemeindechoral gedämpft aus dem Off erklingt und die "Schauspieler" mit gefalteten Händen niederknien, keimen erste antisemitische Verhaltensweisen auf. Wagner stellt Levi vor den anderen bloß, zwingt ihn, niederzuknien und sich anzupassen. Und wie aus dem Nichts bevölkern nach und nach viele kleine Wagner die Bühne, setzen sich ungefragt auf die Schöße der Gäste, um dem Spiel beizuwohnen und hindern z.B. Liszt daran aufzustehen und zu gehen.
Koskys Geniestreich, in dieser Inszenierung Geschichte, Biographie und Kunstwerk zu verknüpfen, den Personen der Handlung den Komponisten selbst und andere historische Persönlichkeiten seines privaten Umfelds an die Seite zu stellen, gewinnt schon im ersten Akt immer wieder an ernster Eigendynamik. Brillant paart Kosky diesen aufkeimenden Antisemitismus mit auflockernder Komik, etwa wenn die Zünfte in Renaissancekleidung auf die Bühne drängen oder Schusterlehrling David, textverständlich und brillant buffonesk interpretiert von Daniel Behle, den Wagner-Gästen mit verschiedenen Düften aufdringlich zu Leibe rückt, während er den Ritter von Stolzing in die blumige Kunst des Meistersingens einführt.
Beckmesser/Levi singt sein Ständchen an Magdalene, die er für Eva hält, während Eva/Cosima und Stolzenfels/Wagner im Verborgenen lauschen.
Genial auch der Einfall von Rebecca Ringst., das Bühnenbild zum Wahnfried-Spiel am Ende des ersten Aktes wie eine rechteckige Schuhkarton-Bühne zurückzufahren und in einem großen historischen Sprung gegen den Schwurgerichtssaal des Nürnberger Justizpalastes einzutauschen. Die Fahnen der Siegermächte, liegen gebliebene Papiere, ein Zeugenstand und ein amerikanischer Wachsoldat symbolisieren den internationalen Holocaust-Strafprozess der hier im November 1945 eröffnet wurde. Die beiden folgenden Akte spielen vor dieser historisch getreu nachgezeichneten Kulisse. Immer wieder kommt dabei der Zeugenstand zum Einsatz. Im zweiten Akt z.B. bekennt Eva/Cosima ihre Verehrung und Liebe zu Stolzing. Der selbst beklagt die Belastung der Wettbewerbsregeln und möchte mir seiner Liebsten fliehen. Beckmesser beschwert sich über das Hämmern des Sachs. Sein Ständchen wirkt lächerlich und trotz Leistung und untertäniger Beflissenheit wird ihm, dem Levi/Beckmesser, die öffentliche Anerkennung verweigert. Wie Johannes Martin Kränzle sängerisch und schauspielerisch - mit grotesken tänzerischen Einlagen und Gesten, die an Juden-Karikaturen erinnern - diese Widersprüchlichkeit und vielfältigen Schattierungen textverständlich und differenziert vor Augen zu führen vermag, ist einfach klasse und wird in Erinnerung bleiben. Auch Günther Groissböck als väterlicher Pogner ragt mit klang- und würdevollem Bassbariton heraus. Klaus Florian Vogt weiß im Preislied des dritten Aktes das Publikum zu verzaubern. Star des Abends war Michael Volle als Sachs/Wagner. Selbstgefällig, weise, listig und geheimnisvoll sinnlich findet auch er viele stimmliche Nuancen, um die Figur sinnfällig werden zu lassen. Für die sehr kurzfristig erkrankte Camilla Nylund sprang in der hier besprochenen Aufführung Emily Magee ein.
Obwohl die Aufführung inclusive der zwei Pausen sechseinhalb Stunden dauert, wird die Zeit nicht lang. Kosky und Jordan schaffen es durch assoziationsreiche, dramaturgische Entwicklungen und Verdichtungen geschickt, die Spannungskurve aufrecht zu erhalten. Wenn Sachs/Wagner in seinem Schlussmonolog auffordert: "Verachtet mir die Meister nicht", dann lebt noch einmal die Pracht des 19. Jahrhunderts auf. Ein riesiges Podest mit Chor und großem Orchesterapparat fährt auf. Cosima sitzt auf den Stufen und wirft bewundernde Blicke auf ihren begnadeten Göttergatten, während Wagner selbst dirigiert. Aber am Ende ist auch dieser Appell Geschichte. Was bleibt, ist ein leerer Schwurgerichtssaal des Nürnberger Justizpalastes.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Hans Sachs, Schuster
Veit Pogner, Goldschmied
Kunz Vogelgesang, Kürschner
Konrad Nachtigal, Spengler
Sixtus Beckmesser, Stadtschreiber
Fritz Kothner, Bäcker
Balthasar Zorn, Zinngießer
Ulrich Eisslinger, Würzkrämer
Augustin Moser, Schneider
Hermann Ortel, Seifensieder
Hans Schwarz, Strumpfwirker
Hans Foltz, Kupferschmied
Walther von Stolzing
David, Sachsens Lehrbube
Eva, Pogners Tochter
Magdalene, Evas Amme
Ein Nachtwächter
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