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Händel-Festspiele 2019 in Halle (Saale)31.05.2019 - 16.06.2019
Festkonzert mit Vivica Genaux und
Lawrence Zazzo In italienischer Sprache Aufführungsdauer: ca. 2 h 20' (eine Pause) Kooperation mit dem Klangvokal Musikfestival Dortmund Aufführung in der Georg-Friedrich-Händel Halle am 1. Juni 2019 |
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Tausch der Geschlechter Von Thomas Molke / Foto: © Marcus Lieberenz Wie in den vergangenen Jahren gibt es auch dieses Mal wieder bei den Händel-Festspielen in Halle einige Produktionen, die auch beim gleichzeitig stattfindenden Klangvokal Musikfestival in Dortmund zu erleben sind. Den Anfang macht dabei ein Konzert mit der US-amerikanischen Mezzosopranistin Vivica Genaux und dem Countertenor Lawrence Zazzo unter dem Titel Gender Stories, das zwei Tage nach Dortmund nun auch in der Georg-Friedrich-Händel Halle zu erleben ist (siehe auch unsere Rezension aus Dortmund). Darin widmen sich die beiden einem hochaktuellen Thema, das auf den ersten Blick wahrscheinlich nicht mit dem 18. Jahrhundert in Verbindung gebracht wird. In der Opernliteratur der Barockzeit war der Umgang mit Geschlechterrollen allerdings durchaus ein großes Thema, mit dem man - zumindest in der Oper - unverkrampfter umgegangen sein dürfte als in der heutigen angeblich so offenen Gesellschaft. Zu nennen sind hier die zahlreichen Starkastraten, die den Helden der Barockoper alles andere als eine "maskuline" Stimme verliehen haben. In Rom verkörperten diese Sänger auf den Opernbühnen sogar eine Zeit lang auch die Frauenrollen, da es Frauen durch ein päpstliches Verbot nicht gestattet war, öffentlich aufzutreten. Der Starkastrat Giovanni Belardi trat auch später in Rom in der Regel nur in Frauenrollen auf. So komponierte beispielsweise Christoph Willibald Gluck für ihn die Partie der Berenice in der Oper Antigono. Doch auch Frauen tauschten in der Barockoper häufig das Geschlecht und feierten als "Männer" auf der Opernbühne große Erfolge. Des Weiteren sind es auch in den Libretti von Metastasio immer wieder starke Frauen, die in Männerkleidern ihre Interessen verfolgen und durchsetzen. Genaux und Zazzo haben in ihrem Programm drei Opern ins Zentrum gerückt, die von mehreren Komponisten vertont worden sind: Semiramide riconosciuta, Serse und Siroe. Die Lautten Compagney Berlin mit Vivica Genaux und Lawrence Zazzo in der Mitte (links: Wolfgang Katschner) Den Anfang machen zwei Auszüge aus der Oper Semiramide riconosciuta von Giovanni Battista Lampugnani, die 1741 in Rom zur Uraufführung gelangte. Damals wurden die Partien der assyrischen Königin Semiramide, die verkleidet als ihr Sohn Nino über das Land herrscht, und der Prinzessin Tamiri, der in Assyrien ein Bräutigam bestimmt werden soll, wegen des päpstlichen Verbots noch von Männern gesungen. Das große Duett zwischen Semiramide und ihrem früheren Geliebten Scitalce wurde von Lampugnani allerdings erst 1762 für eine spätere Aufführung in Mailand eingefügt. In diesem Duett schlüpfen Genaux und Zazzo noch ganz klassisch in die Rollen der Königin und ihres Geliebten und beginnen den Abend sehr gefühlvoll, wobei Genaux' Mezzo und Zazzos weicher Countertenor wunderbar harmonieren. Die fulminante Arie der Prinzessin Tamiri, in der sie einen Bewerber um ihre Gunst brüsk in die Schranken weist, wird dann in Anlehnung an die Uraufführung von Zazzo interpretiert. Zazzo punktet hierbei mit beweglichen Koloraturen, die der Wut der Prinzessin sehr überzeugend Ausdruck verleihen. Es folgt eine frühere Vertonung des Stoffes von Nicola Antonio Porpora, die 1729 in Venedig ihre Uraufführung erlebte. Genaux schlüpft erneut in die Rolle der als Mann verkleideten Königin und punktet mit samtweicher Stimmführung, wenn sie die glücklichen Gefühle eines Hirten, der sich im April über die Rückkehr des Frühlings freut, beschreibt. In Händels Serse tauschen Genaux und Zazzo die Geschlechter dann komplett. Genaux übernimmt die Partie des Perserkönigs und Zazzo schlüpft in die Rolle seiner verschmähten Geliebten Amastre. Als Mann verkleidet schleicht sie sich am persischen Hof ein, um Serse, der mittlerweile um die schöne Romilda wirbt, zurückzugewinnen. Zazzo präsentiert Amastres große Klage-Arie "Cagion son io" mit weichen Tönen, die das Liebesleid der jungen Frau gut nachvollziehbar machen. Genaux gibt den egozentrischen Perserkönig mit halsbrecherischen Koloraturen, in denen die königliche Eitelkeit überzeugend zum Ausdruck kommt. Genaux begeistert dabei mit einer beweglichen Stimmführung und großartigen dramatischen Ausbrüchen, die beim Publikum regelrechte Begeisterungsstürme hervorrufen. Bewegend gestalten die beiden das Duett, in dem beide unabhängig voneinander das Leid der Eifersucht beklagen. Obwohl Serse und Amastre dabei eigentlich aneinander vorbeisingen, finden Genaux' Mezzo und Zazzos Counter erneut wunderbar zusammen. Die Auszüge aus der Oper Siroe stammen wieder von unterschiedlichen Komponisten. Verschiedene Instrumentalstücke aus den Opern von Johann Adolf Hasse und Georg Friedrich Händel bilden den roten Faden zwischen den beiden Teilen des Abends, da sie zwischen den Arien und Duetten gespielt werden und fließend zu den folgenden Gesangsnummern überleiten. Die Lautten Compagney Berlin zeigt sich unter der Leitung von Wolfgang Katschner wie bei der Begleitung der Arien und Duette gewohnt versiert im barocken Klang und begeistert mit differenziertem Spiel. Im Teil vor der Pause übernimmt Zazzo die Partie des persischen Prinzen Siroe, der im Kerker auf den sicheren Tod wartet. Nach einem bewegenden Accompagnato-Rezitativ folgt die düstere Lamento-Arie "Deggio morire, o stelle", in der Zazzo durch große Leidensfähigkeit begeistert. Vor der Pause tauschen dann Zazzo und Genaux wieder die Geschlechterrollen, wenn sie ein bewegendes Duett aus einer Vertonung von Baldassare Galuppi präsentieren. Zazzo übernimmt die Partie der Prinzessin Emira, die Siroe liebt und als Mann verkleidet nach Persien gekommen ist, um an Siroes Vater Rache für das Unrecht zu nehmen, das ihrer Familie widerfahren ist. Nach der Pause schlüpfen beide noch einmal in die Rolle der Prinzessin Emira und besingen deren Hass auf Siroes Vater. Zazzo präsentiert eine Vertonung von Georg Christoph Wagenseil, den man heutzutage - wenn überhaupt - als Meister lieblicher Rokokostücke für Cembalo kennt. Zazzo begeistert dabei mit beweglichen Koloraturen, in denen er der unbändigen Wut der Prinzessin freien Lauf lässt. Noch düsterer klingt diese Anklage bei Tommaso Traetta. Dieses Mal verleiht Genaux der Prinzessin im Hass auf Siroes Vater ihre Stimme und begeistert erneut durch bewegliche Stimmführung. Einen weiteren Rollentausch gibt es im Achilles-Stoff. Achilles' Mutter Thetis hatte ihren Sohn einst als Mädchen verkleidet und auf der Insel Ciros versteckt, um ihn vor dem prophezeiten Heldentod in Troja zu bewahren. Dort verliebte Achilles sich allerdings in die Prinzessin Deidamia, und der Schwindel flog auf. Der listenreiche Odysseus konnte schließlich Achilles überzeugen, gemeinsam mit den Griechen in den Trojanischen Krieg zu ziehen. Genaux präsentiert aus Hasses Oper Achille in Sciro eine Arie, die Achilles zwar noch in Frauenkleidern anstimmt, aber schon das aufbrausende Gemüt eines wahren Helden zeigt. Am Ende geht es dann zu Händels letzter Oper Deidamia und einem Duett der Prinzessin und des Helden Odysseus. Hierbei übernimmt Genaux dann "wieder klassisch" den Part der Prinzessin und Zazzo die Rolle des Odysseus. Außerdem schlüpft Genaux noch in die Rolle von Vivaldis Orlando furioso und präsentiert stimmgewaltig dessen Wahn in seiner großen Arie "Nel profondo cieco mondo", und Zazzo übernimmt die Partie der Bradamante aus Händels Alcina, die auf der Suche nach ihrem Geliebten Ruggiero ist, der sich in den Fängen der Zauberin befindet. Natürlich lässt das Publikum Genaux und Zazzo nicht ohne Zugaben gehen. Anders als in Dortmund hat man in Halle sogar drei Nummern vorbereitet. Zazzo startet wie in Dortmund mit einer bewegenden Interpretation von "Yet can I hear that dulcet lay" aus Händels The Choice of Hercules. Genaux begeistert im Anschluss mit der furiosen Arie "Venti turbidi" aus Händels Rinaldo. Danach gibt es als "neuen" Höhepunkt das großartige Duett der Cornelia und des Sesto aus dem ersten Akt der Oper Giulio Cesare in Egitto, "Son nata a lagrimar", das in der diesjährigen szenischen Interpretation der Oper in Halle ja ein wenig zweckentfremdet worden ist. Dass Zazzo dabei in die Rolle der Cornelia schlüpft und Genaux die Partie des Sesto übernimmt, versteht sich bei der Dramaturgie des Abends gewissermaßen von selbst. Dabei verschmelzen die Stimmen der beiden zu einer bewegenden Innigkeit, die unter die Haut geht. Das Publikum ist restlos begeistert und bedankt sich mit frenetischem Beifall. Niedlich ist auch das kleine Mädchen, das auf die Bühne eilt, um von den Solisten ein Autogramm zu erhalten. Genaux, Zazzo und Katschner kommen diesem Ansinnen gerne nach. FAZIT Vivica Genaux und Lawrence Zazzo begeistern mit einem abwechslungsreichen Barockprogramm und machen deutlich, wie flexibel dabei die Geschlechterrollen gestaltet werden können. Weitere Rezensionen zu den Händel-Festspielen 2019 in Halle
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AusführendeVivica Genaux, Mezzosopran Lawrence Zazzo, Altus Lautten Compagney Berlin Wolfgang Katschner, Musikalische Leitung Gerd Amelung, Musikdramaturgie
Werke
Johann Adolf Hasse
Giovanni Battista Lampugnani
"Tu mi disprezzi"
Johann Adolf Hasse
Nicola Antonio Porpora
Georg Friedrich Händel
"Son stanco, ingiusti num -
Johann Adolf Hasse
Antonio Vivaldi
Baldassare Galuppi
Georg Friedrich Händel
"Gran pena è gelosia"
"È gelosia"
"Se bramate d'amar chi vi sdegna"
Giga aus der Ouvertüre aus der Oper
Johann Adolf Hasse
Georg Christoph Wagenseil
Tommaso Traetta
Georg Friedrich Händel
Weitere |
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