Der Gründungsmythos wird wiederbelebt
Von Stefan Schmöe
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Fotos © Foto Ennevi/Fondazione Arena di Verona.
Angekündigt ist, nicht ganz korrekt, eine Inszenierung aus dem Jahr 1913. Das ist für Opernitalien nicht irgendein Jahr, sondern man feierte den 100. Geburtstag von Giuseppe Verdi - mit einer Aufführung eben der Aida in der Arena di Verona. Dieser 10. August 1913 war somit die Initialzündung für die von nun an fast jährlich stattfindenden Festspiele (gerade befindet man sich in der 97. Saison) und gleichzeitig Begründung des Monumentalstils (der seitdem die Oper als Ballast begleitet). Mit inzwischen mehr als 700 Aufführungen ist Aida auch das mit Abstand am häufigsten gespielte Stück in Verona. 1982 hat der italienische Regisseur Gianfranco de Bosio, geboren 1926, eine Inszenierung geschaffen, "inspiriert" von den Bildern der Aufführung 1913, und diese Version, der irgendwie das Prädikat "authentisch" anhängt, ist fortan häufig gespielt worden. Zuletzt war allerdings eine moderne Inszenierung von La Fura dels Baus zu bestaunen, da ist der Hinweis auf die Aida 1913 wohl auch als PR-Maßnahme für das aufgeschreckte konservative Publikum zu verstehen: Jetzt geht es wieder unaufgeregt zu in Verona.
Bühnenbild
Obelisk, Sphinx, Tempelsäulen - die obligatorischen Ingrdienzen sind reichlich vorhanden, und sie sind geschickt in die Architektur der Arena integriert (wodurch der Bau, anders als bei Zeffirellis Traviata und Trovatore, "mitspielt"). Wenn Statisten mit Fackeln bis an den oberen Rand die Stufen hinter der Bühne besetzen, gibt das optisch natürlich einiges her. De Bosio verstellt die Kulisse für jedes Bild (dafür benötigt es zwischen dem dritten und vierten Akt eine zusätzliche Pause), aber durch die häufigen Veränderungen wirkt die Aufführung weit weniger statisch als der schon genannte Trovatore. Für diese Saison hat de Bosio die Ausstattung - "Regie" ist beinahe schon zu viel gesagt, denn die Darsteller werden lediglich in die Kulisse hineingestellt - teilweise überarbeitet. Das betrifft die inzwischen technisch verbesserte Beleuchtung (Licht: Paolo Mazzon), die ohnehin eine gänzlich andere Wirkung hervorrufen dürfte als 1913. Der dritte Akt am Ufer des Nils bekommt durch die Ausleuchtung duftig nächtlichen Zauber. Natürlich sehen die Massen an Kriegern nach Sandalenfilm (oder nach Asterix) aus, dass man darüber schmunzeln mag, aber die von de Bosio entworfenen Kostüme sind bei allem Sinn für Detailtreue so geschmackvoll, dass der ganz große Kitscheffekt ausbleibt.
Radames und Amneris
Teilweise problematisch sind die Balletteinlagen (Choreographie: Susanna Egri). Wenn weißgewandete Tempeldienerinnen Tücher schwingen, denkt man vielleicht an Eurythmie, aber das sieht ganz hübsch aus und ist durch die Handlung motiviert. Das gilt auch für die Tänze zur Unterhaltung von Prinzessin Amneris, aber schwarz angemalte Mädchen und, pardon, Mohrenkinder geben allemal Anlass zu einer Debatte über blackfacing - übrigens ist auch Aida als Schwarze gezeichnet, Amneris als Weiße. Sehr hübsch wiederum, ob beabsichtigt oder nicht, die kessen Tänze der frivol knapp bekleideten Tänzerinnen - diese Damen tanzen sonst sicher in der "Bar zum Krokodil, am Nil, am Nil, am Nil", wie die Comedien Harmonists schon wussten ("den Theben ist für Memphis / das, was Lausanne für Genf ist"). Man mag nicht recht glauben, dass es sich um eine beabsichtigte Brechung handelt, aber diese neckischen Showgirls könnten auch im nächsten Moment Charleston tanzen.
Das Ballett
Wie sehr aber eine solche Aufführung von der Musik abhängt, wird am mitreißenden, die Sänger tragenden Dirigat von Francesco Ivan Ciampa deutlich. Der nimmt die Musik keineswegs monumental, sondern federnd und transparent. Er wählt flotte Tempi (der im vollen Klang ausgezeichnete Chor neigt da zum Schleppen), und beim farbenreich und filigran gespielten, aber eben auch schnellen Ballett kommen selbst die ansonsten sehr guten Musiker des Orchesters der Arena ins Schleudern - aber anders als der (nun zum letzten Mal) erwähnte auch musikalisch zähe Trovatore will sich die Musik dramatisch entwickeln, bezieht ihren Sinn aus der Handlung und zeichnet echte Konflikte. Selbst wenn die Sänger (leider auch hier bestenfalls mit Allerweltsgesten) an der Rampe stehen und ins Publikum singen, bekommt die Szene durch die musikalische Intensität Spannung.
Aida und Amonasro
Tamara Wilson imponiert mit voller und tragfähiger Stimme, schönem Pianissimo und kluger Gestaltung; ihr gelingen betörende Momente, und neben dem Dirigenten ist sie der Star der Aufführung. Ihre Widersacherin Amneris wird an diesem Abend von Anna Maria Chiuri mit großer Intensität gesungen, aber die Stimme mit durchaus attraktivem Timbre verliert in der hohen Lage durch das viel zu ausladende Vibrato den Fokus und irrlichtert im Forte ziemlich unbestimmt herum. Dem Radames von Mikheil Sheshaberidze fehlt der tenorale Glanz und auch die "Italianitá", die man für Verdi wünscht, gesungen ist die Partie solide und mit leicht baritonaler Grundierung. Sebastian Catana ist ein wuchtiger Amonasro im Bilderbuchformat, Romano Dal Zovo ein im Vergleich dazu ein unauffällige, ziemlich braver König. Etwas unscharf bleibt Giorgio Giuseppini als Ramphis.
FAZIT
Die Regie bedient ganz geschickt die Erwartungen, die typischerweise (oder klischeehaft, wie man will) mit einer Aida in Verona verbunden sind; spannend wir die Aufführung durch das famose Dirigat von Francesco Ivar Ciampa und der beeindruckenden Aida-Sängerin Tammara Wilson.
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Produktionsteam
* Besetzung der rezensierten Aufführung
Musikalische Leitung
* Francesco Ivan Ciampa/
Plácido Domingo/
Daniel Oren
Inszenierung und Ausstattung
Gianfranco de Bosio
(angelehnt an die Inzenierung von 1913)
Choreographie
Susanna Egri
Licht
Paolo Mazzon
Chor
Vito Lombardi
Chor, Ballet und Orchester
der Arena di Verona
Solisten
Der König
* Romano Dal Zovo / Krzysztof Bączyk
Amneris
Violeta Urmana / * Anna Maria Chiuri / Judit Kutasi
Aida
Anna Pirozzi / * Tamara Wilson / Maria José Siri / Saioa Hernández / Hui He / Svetlana Kasyan
Radamès
Murat Karahan / * Mikheil Sheshaberidze / Fabio Sartori / Martin Muehle / Carlo Ventre
Ramfis
Dmitry Belosselskiy / * Giorgio Giuseppini / Marko Mimica / Gianluca Breda / Alessio Cacciamani
Amonasro
Amartuvshin Enkhbat / * Sebastian Catana / Badral Chuluunbaatar / Mario Cassi
Ein Bote
Carlo Bosi / * Raffaele Abete / Francesco Pittari / Antonello Ceron
Oberpriesterin
Yao Bo Hui
Erste Tänzer/Tänzerinnen
* Petra Conti / Eleana Andreoudi
Mick Zeni
Alessandro Macario
weiterer Bericht vom Opernfestival Arena di Verona 2019
La Traviata
Il Trovatore
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