Szenische Opulenz als Vermächtnis
Von Stefan Schmöe
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Fotos © Foto Ennevi/Fondazione Arena di Verona
Franco Zeffirelli hatte sich die Ehre gegeben. Der letzte große Meister der Opernregie, wie es voller Verehrung auf den Seiten der Arena di Verona heißt - erlebt hat er die Premiere nicht mehr, ein paar Tage zuvor, am 15. Juni, verstarb der Regisseur. La Traviata hat er einmal verfilmt, 1983 mit Teresa Stratas und Placido Domingo in den Hauptrollen, und das Bett, in dem seinerzeit die Film-Violetta ihre letzten Töne sang, soll eben das Bett sein, dass man jetzt in der Arena di Verona zu sehen bekommt. Eine Menge Nostalgie also.
Erster Akt: Violetta und Alfredo kommen sich näher.
Zeffirelli steht natürlich für einen opulenten, durch und durch konservativen Inszenierungsstil, einen Ausflug in die Zeit vor dem Regietheater, und das bekommt man in Verona nun auch in schönem Prunk zu sehen. Zeffirelli interpretiert nicht, er erzählt, und um die ganz wenigen Momente zu erwähnen, in denen er vom Libretto abweicht: Im dritten Akt hört die sterbende Violetta das Pariser Karnevalstreiben durch das geöffnete Fenster, und da lässt Zeffirelli noch einmal all' die Artisten, die im zweiten Teil des zweiten Aktes die Bühne bevölkerten, noch einmal kurz durch das Zimmer turnen wie eine ferne Erinnerung, aber vielleicht doch noch mehr des vom Publikum erwarteten Spektakels wegen. Und er beginnt noch vor dem Einsetzen der Musik mit einem kurzen szenischen Vorspiel: Ein Begräbnis, ein Sarg wird mit einer Kutsche vorbeigefahren (dem Pferd scheint's nicht besonders zu gefallen). Die szenische Rechtfertigung liegt sicher irgendwo zwischen "traurige Grundstimmung heraufbeschwören" und "für's Publikum ein echtes Pferd auf die Bühne bringen".
Erster Akt: Zweistöckige Architektur
Das Bühnenbild ist prunkvoll: Neobarockes Ambiente, zweistöckig, und vielleicht ist es neben der intendierten überwältigenden Wirkung auch unter akustischen Aspekten klug geplant, denn man hört die Sänger ganz ausgezeichnet. Rechts und links steht jeweils ein Logenturm wie aus dem Innenraum eines Theaters, was in der Inszenierung nicht weiter aufgegriffen wird; vermutlich hat Zeffirelli erkannt, dass die Traviata als Oper, die durchweg in geschlossenen Räumen spielt, im Grunde keine Open-Air-Arena-Stück ist und einen optischen Akzent benötigt, einen Rahmen, der zurückführt in vertraute Theaterarchitektur. Die Bühne ist dadurch jedenfalls klar gegliedert. Im zweiten Akt muss dann rasant umgebaut werden, damit aus Violettas und Alfredos Landhaus der Ballsaal von Violettas Freundin Flora wird. Zeffirelli setzt das mit im Grunde ganz einfachen Mitteln um: Er dreht die Kulissenbauteile einfach um (jedes Schultheater würde das genauso machen), aber weil das in Verona eben alles größer dimensioniert ist, gelingt hier ein verblüffender Theatereffekt, vom Publikum bejubelt.
Zweiter Akt, erstes Bild: Violettas Haus
Zeffirelli inszeniert nicht, er arrangiert. Ein Tableau, das einmal gestellt ist, bleibt minutenlang unverändert (und Zeffirellis überragendes Stilgefühlt sorgt verlässlich für tolle Bilder, da gibt selbst die an sich biedere Choreographie des Balletts im dritten Akt einiges her). Die Personen reagieren im Grunde auch nicht aufeinander (selbst wenn Violetta sterbend zusammenbricht, kommt ihr weder Alfredo noch Vater Giorgio zu Hilfe). Die wichtigen Arien werden alle zum Publikum gesungen, nicht zum Gegenüber auf der Bühne. Ein "realistischer" Stil ist das also nicht. Vielmehr setzt diese Vorgehensweise sehr edel die Musik in Szene und huldigt, wohl noch wichtiger, der Primadonna. Sehr aufregend ist das nicht, auch immer vorhersehbar, aber in seiner Konsequenz dann wieder wunderbar altmodisch.
Zweiter Akt, zweites Bild: Der Ballsaal
An diesem Abend singt Irina Lungu die Violetta, und sie entspricht durchaus diesem Primadonnenbild. Tolle Mittellage, immer noch ordentliche Tiefe, warmes Timbre, ein sensationell tragfähiges Piano und Pianissimo, mit dem sie zaubert, dabei sattes Vibrato, das aber in der ohnehin nicht ungefährdeten Höhe allzu ausladend schwingt. Dass in der Höhe die Intonation unscharf wird und die Kraft zur Attacke fehlt, kann man dieser Rolle wohl nachsehen. Pavel Petrov ist ein eher leichter, lyrischer Alfredo, kein Draufgänger, schöner und beweglicher Tenor, den er geschmeidig führt und nicht forciert. Simone Piazzola gibt einen würdigen und sonoren Vater Giorgio Germont vom alten Schlag, elegant phrasierend. Seinem Di provenza il mar il suol gibt er fast liedhafte Schlichtheit, was angenehm das lauernde Pathos unterbindet. Ausgezeichnet singt der Chor. Und Dirigent Andrea Battistoni erweist sich mit dem guten Orchester der Arena di Verona als geschmackvoller Sängerbegleiter, flexibel im Tempo, zurückhaltend mit den Knalleffekten, trotzdem wirkungsvoll in den Abschlüssen.
FAZIT
La Traviata wie aus einer Zeit, in der die großen Primadonnen in edler Robe den Ton angaben, dank Zeffirellis ästhetischem Feingefühl dennoch nicht verstaubt - auch angesichts der hohen musikalischen Qualität ein Abend, an dem man sich das gerne gefallen lässt.
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Produktionsteam
* Besetzung der rezensierten Aufführung
Musikalische Leitung
Daniel Oren
* Andrea Battistoni
Marco Armiliato
Inszenierung und Bühne
Franco Zeffirell
Kostüme
Maurizio Millenotti
Choreographie
Giuseppe Picone
Licht
Paolo Mazzon
Chor
Vito Lombardi
Chor, Ballet und Orchester
der Arena di Verona
Solisten
Violetta Valéry
Aleksandra Kurzak
* Irina Lungu
Lisette Oropesa
Lana Kos
Flora Bervoix
Alessandra Volpe /
* Clarissa Leonardi
Annina
Daniela Mazzucato
Alfredo Germont
* Pavel Petrov /
Vittorio Grigolo /
Raffaele Abete /
Stephen Costello
Giorgio Germont
Leo Nucci / * Simone Piazzola / Plácido Domingo
Badral Chuluunbaatar /
Amartuvshin Enkhbat
Gastone di Letorières
* Carlo Bosi / Marcello Nardis
Barone Douphol
* Gianfranco Montresor / Nicolò Ceriani
Marchese d'Obigny
* Daniel Giulianini / Dario Giorgelè
Dottor Grenvil
* Romano Dal Zovo / Alessandro Spina
Giuseppe
Max René Cosotti
Ein Diener/Ein Dienstmann
Stefano Rinaldi Miliani
Erste Tänzer/Tänzerinnen
* Petra Conti / Eleana Andreoudi
Giuseppe Picone
weiterer Bericht vom Opernfestival Arena di Verona 2019
Il Trovatore
Aida
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