Hochzeitstorte mit Vorbereitung
Von Thomas Molke
/ Fotos: © Clive Barda
Rosetta Cucchi wird ab 2020 neue künstlerische Leiterin des
Wexford Festival Opera. Nachdem sie am Morgen mit überbordender
Begeisterungsfähigkeit Publikum und Presse ihre Pläne für eine in gewissem
Rahmen neue Ausrichtung des Festivals ab 2020 unterbreitet hat, steuert sie in
diesem Jahr nicht nur als Koproduktion mit dem Rossini Opera Festival in
Pesaro ihre Inszenierung von Rossinis Farsa Adina bei, die dort 2018 ihre
Premiere erlebte (siehe auch
unsere Rezension), sondern hat auch noch ein Libretto zu einem
Divertissement erstellt, das Adina als Uraufführung vorangestellt wird:
La cucina. Die Musik zu diesem gut halbstündigen Werk stammt von dem
irischen Komponisten Andrew Synnott, der hier im Rahmen der "Short Works" im
Clayton Whites Hotel 2017 bereits seine beiden Einakter Counterparts und
The Boarding House unter dem Titel Dubliners nach James Joyces
gleichnamigem Roman erstmalig vorgestellt hat (siehe auch
unsere Rezension).
Streit in der Küche: Alberto (Luca Nucera, Mitte)
tadelt seine Angestellten (von links: Tobia (Manuel Amati), Zeno (Sheldon
Baxter), Camillo (Emmanuel Franco) und Bianca (Máire Flavin)).
La cucina soll als eine Art Vorgeschichte zu Adinas
anstehender Hochzeit mit dem Kalifen fungieren. In der Küche des Küchenchefs
Alberto wird die Hochzeitstorte für die Feierlichkeiten vorbereitet. Dazu
arbeitet Albertos Assistentin Bianca Camillo, einen neuen Küchenmeister, ein, der
große Schwierigkeiten hat, sich in dieser recht merkwürdig geführten Küche
zurechtzufinden. Zum einen spricht Alberto kein Wort und gibt seine autoritären
Anweisungen nur stumm, zum anderen versteht Camillo nicht, wieso man für die
Zuckerglasur einen ganz besonderen Zucker nehmen muss, der nicht einfach im
Laden zu erhalten ist. Als dann der Lieferant Zeno und sein Assistent zunächst
das Mehl vergessen und der später herbeigebrachte Mehlsack in einer
Auseinandersetzung zwischen Bianca und Camillo reißt, platzt Alberto der Kragen.
Er ohrfeigt den neuen Angestellten. Das wiederum geht Bianca zu weit. Sie ist
nicht bereit, Albertos Launen weiter zu ertragen, und verlässt mit Camillo die
Küche. Alberto wird erneut von geheimnisvollen inneren Stimmen heimgesucht, die
ihn quälen, seit er bei einer Präsentation seiner Torten an der Scala ein
absolutes Fiasko erlebt hat, als sein Kunstwerk vor aller Augen in sich
zusammensackte. Seitdem fühlt er sich vom Gespött der Menschen verfolgt. Doch
nun erkennt er, dass er diesen inneren Ängsten nur entkommen kann, indem er
Bianca und Camillo zurückholt. So überwindet er sich zu sprechen. Er übergibt
sein Geschäft an Bianca und Camillo und macht sich auf zu neuen Abenteuern.
Adinas Hochzeitstorte wird als Miniatur des
Bühnenbilds des zweiten Teils des Abends zusammengesetzt (von links: Zeno
(Sheldon Baxter), Tobia (Manuel Amati), Bianca (Máire Flavin) und Camillo
(Emmanuel Franco)).
Wenn dieses Divertissement nicht Rossinis folgender Farsa
vorangestellt wäre, würde es wahrscheinlich inhaltlich keinen Sinn machen, da die
Handlung für sich betrachtet nichts hergibt. Die Zeichnung der Figuren bleibt blass und
wenig nachvollziehbar, was nicht den Solisten anzulasten ist. Synnotts Musik
plätschert vor sich hin, ohne atonal zu sein. Vielmehr fühlt man sich an die
Szenen in Rodolfos Mansarde oder Musettas und Marcellos Streitgespräche aus
Puccinis La bohème erinnert. Tiziani Santi hat als Bühnenbild eine prall
gefüllte Küche entworfen, die relativ nah an der Rampe steht, so dass am Ende
bereits ein Ausblick auf die riesige Hochzeitstorte gegeben werden kann, auf
bzw. in der Rossinis Farsa spielt. Die Kostüme von Claudio Pernigotti wirken
recht realistisch, auch wenn Alberto mit seinen hochtoupierten Haaren an eine
Figur aus Alice in Wonderland erinnert. Wenn er am Ende des Stückes seine
Küche an Bianca und Camillo übergibt, setzt er einen grünen Hut auf, der diesen
Eindruck noch unterstützt. Aber schließlich wirkt das komplette Bühnenbild in
Rossinis Adina wie eine Hommage an Lewis Carrolls Kinderbuch-Klassiker.
Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf gutem Niveau. Máire
Flavin setzt die Partie der Bianca mit kräftigem Sopran und sauber ausgesungenen
Höhen um. Emmanuel Franco punktet als Camillo mit beweglichem dunklem Bariton
und witzigem Spiel. Sheldon Baxter und Manuel Amati überzeugen als Zeno und
Tobia mit flexiblem Bariton beziehungsweise leichtem Tenor. Amati legt den
Gehilfen dabei etwas verträumt an. Luca Nucera gestaltet den Küchenchef Alberto
mit großer Autorität in Mimik und Gestik. Ein Lichtwechsel deutet jeweils an,
dass die Stimmen, die über Lautsprecher eingespielt werden, nur in Albertos Kopf
existieren. So gibt es für alle Beteiligten am Ende großen Beifall, auch wenn
man nicht so richtig versteht, was das Stück eigentlich soll.
Selimo (Levy Sekgapane, links) will mit Hilfe von
Mustafà (Emmanuel Franco, Mitte) Adina (Rachel Kelly) aus dem Serail befreien.
Das ist bei Rossinis folgender Farsa jedoch ganz anders. Der am
22. Juni 1826 in Lissabon uraufgeführte Einakter kann als Variante von Mozarts
berühmter Entführung aus dem Serail betrachtet werden, dürfte allerdings eher auf ein
Libretto von Felice Romani für Francesco Basilis zweiaktige komische Oper Il
califo e la schiava zurückgehen. Die Geschichte spielt im Serail des Kalifen
von Bagdad, der sich in die junge Sklavin Adina verliebt hat und sie heiraten
möchte, weil sie ihn an seine frühe Jugendliebe Zora erinnert. Adina, die ihren
Geliebten Selimo verloren hat und diesen für tot hält, fühlt sich vom Werben des
Kalifen geschmeichelt und ist bereit, eine Verbindung mit dem älteren Mann
einzugehen, auch wenn sie ihn nicht wirklich liebt. Da taucht plötzlich der tot
geglaubte Selimo auf. Adina beschließt, mit ihm zu fliehen. Doch der Fluchtplan
wird vom Kalifen entdeckt, und Selimo soll hingerichtet werden. Als Adina bei
ihren erfolglosen Bitten für das Leben des Geliebten das Bewusstsein verliert,
entdeckt der Kalif ein Schmuckstück, das Adina als seine Tochter ausweist.
Folglich beschließt er, den vermeintlichen Nebenbuhler zu begnadigen und mit
seinem wieder gefundenen Kind zu vermählen.
Happy End auf der Hochzeitstorte: unten Mitte:
Der Kalif (Daniele Antonangeli) mit Chor und Tänzerinnen, erste Etage: Selimo
(Levy Sekgapane) und Adina (Rachel Kelly)
Rosetta Cucchis Inszenierung beginnt bereits in der Pause im Foyer. Hier sieht
man zahlreiche Diener, die das Publikum freundlich begrüßen. Es kommt zu
lautstarken Auseinandersetzungen zwischen dem Küchenpersonal, und auch
Fotografen sind anwesend, die das Treiben im Foyer in Bildern festhalten und das
Publikum in den Saal begleiten. Auf einem Prospekt, der den Vorhang auf der
Bühne ersetzt, wird feierlich die Vermählung Adinas mit dem Kalifen angekündigt.
Wenn der Prospekt am Ende der Vorstellung wieder herabgelassen wird, ersetzt
der ehemalige Küchenchef Alberto, der als Diener in das zweite Stück übergegangen ist, schnell den Namen
des Kalifen durch Selimo. Die Personenregie ist genauso knallbunt wie die
riesige fantasievolle Hochzeitstorte, die die Bühne beherrscht. So bekommen auch
zwei Statisten, die als Hochzeitspaar auf der Torte fungieren, einen handfesten
Streit und durchleben eine erste Krise, bevor sie mit der Vermählung von Adina und Selimo am Ende auf der Torte wieder zusammenfinden. Wenn Selimo mit Adina
fliehen will, lassen die beiden Dienstmädchen derart viel Gepäck aus der ersten
Etage herab, dass eine erfolgreiche Flucht mit allen Koffern eigentlich gar
nicht mehr möglich ist. Adinas Frage nach ihrer Ohnmacht, ob sie verrückt sei,
wird von dem sie tröstenden Chor nicht gerade verneint. Der Henker, der aus dem
Schnürboden an dem
Strick herabgelassen wird, an dem Selimo am Ende aufgehängt
werden soll, vollzieht dabei respektable artistische Kunststücke.
Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf hohem Niveau. Daniele Antonangeli
begeistert als Kalif mit profundem Bass und großer Beweglichkeit in den
Läufen. Auch optisch macht er nachvollziehbar, wieso Adina seinem Werben
nachgegeben haben dürfte. In seiner Arie "D'intorno il Serraglio", in der er
befürchtet, dass Adina ihn hintergehen will, punktet er mit dramatischem
Ausdruck. Rachel Kelly legt die Partie der Adina als eine Art Luxusweibchen an,
das dem Reichtum des Kalifen erliegt und das Leben im Serail genießt, was unter
anderem an der Vielzahl der Koffer zu erkennen ist, die sie bei der Flucht
mitnehmen will. Große Komik entsteht auch bei ihrer Auftrittskavatine "Fragolette
fortunate", wenn die Erdbeeren, mit denen die Hochzeitstorte geschmückt werden
sollen, zu den glasklar ausgesungenen Koloraturen plötzlich als Mobile in der
Luft schweben. Auch das Hochzeitskleid wird von Kelly mit perlenden Koloraturen
bejubelt. Levy Sekgapane, der die Partie des Selimo bereits in Pesaro
interpretiert hat, überzeugt auch in Wexford mit sehr hellem Tenor, der in den
Höhen große Strahlkraft besitzt. Seine Arie "Giusto ciel, che i dubbi miei", in
der er sich Mut für die geplante Flucht mit der Geliebten zuspricht, stellt
einen weiteren musikalischen Höhepunkt des Abends dar. Manuel Amati legt die
Partie des Dieners Alì sehr effeminiert mit weichem Spieltenor an und zeigt
sichtliches Interesse am Bräutigam auf der Hochzeitstorte. Emmanuel Franco hat
zwar als Diener Mustafà keine eigene Arie, überzeugt aber mit beweglichem
Bariton und humorvollem Spiel. Der von Errol Girdlestone einstudierte Opernchor
begeistert durch homogenen Klang und große Spielfreude. Michele Spotti
präsentiert mit dem Wexford Festival Opera einen frischen Rossini-Klang aus dem
Graben, so dass es am Ende für alle Beteiligten verdienten Beifall
gibt, in das sich auch das Regie-Team unter großem Jubel einreiht.
FAZIT
Rosetta Cucchi hat das Publikum in Wexford im Sturm erobert, auch wenn dafür Rossinis Adina
gereicht hätte. Man darf
gespannt auf ihre Ideen als künstlerische Leiterin des Festivals sein.
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Wexford Festival Opera 2019
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Michele SpottiRegie
Rosetta Cucchi Bühne
Tiziano Santi Kostüme
Claudia Pernigotti Licht
Simon Corder Chorleitung
Errol Girdlestone
Orchester des
Wexford Festival Opera
Chor des
Wexford Festival Opera
Solisten
La cucina
Alberto
Luca Nucera
Bianca
Máire Flavin
Camillo
Emmanuel Franco
Zeno
Sheldon Baxter
Tobia
Manuel Amati Adina
Adina
Rachel Kelly Selimo
Levy Sekgapane The Caliph
Daniele Antonangeli Alì
Manuel Amati Mustafà
Emmanuel Franco Actor
Luca Nucera Tänzerinnen und Tänzer
Luisa Baldinetti
Sara Barbieri
Sara Catellani
Nicola Marrapodi
Luca Nava
Davide Riminucci
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Andrea Valfre
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