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Barocke Wiederentdeckung in opulentem AmbienteVon Thomas Molke, Fotos: © Falk von TraubenbergLeonardo Vinci - nicht zu verwechseln mit dem Schöpfer der Mona Lisa, Leonardo da Vinci - wird seit der spektakulären Europa-Tournee, bei der Parnassus Arts Productions mit fünf namhaften Countertenören seine Oper Artaserse in einer rein männlichen Besetzung wie bei der Uraufführung 1730 in Rom präsentierte (siehe auch unsere Rezension), wieder etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Immerhin zählte er im 18. Jahrhundert mit seinen 30 in nur elf Jahren komponierten Opern zu den bedeutendsten Komponisten seiner Zeit. Einen großen Verdienst an der Wiederentdeckung hat Max Emanuel Cencic, der nicht nur als künstlerischer Leiter der Parnassus Arts Produtions Vincis Catone in Utica herausbrachte (siehe auch unsere Rezension von den Internationalen Maifestspielen in Wiesbaden 2015), sondern auch als Intendant des Bayreuth Baroque Opera Festivals im ersten Jahr Vincis 1727 im Teatro delle Dame in Rom uraufgeführtes Dramma per musica Gismondo, Re di Polonia konzertant präsentierte (siehe auch unsere Rezension). Nun steht im Markgräflichen Opernhaus Vincis Oper Alessandro nell' Indie auf dem Programm, die mit Artaserse 1730 im Teatro delle Dame in Rom eine umjubelte Uraufführung feierte und in den Folgejahren ihren Weg sogar bis nach München fand. Nach 1740 sind jedoch keine weiteren Aufführungen mehr belegt, so dass sich das Festival nun rühmen kann, die Welterstaufführung in der Neuzeit präsentieren zu können. Wie schon bei Artaserse wählt man auch bei dieser Produktion eine reine Männerbesetzung. Alessandro (Maayan Licht, Mitte mit Tänzern) nach seinem Sieg über Indien Das Libretto stammt von Pietro Metastasio und wurde von Vinci erstmals vertont. Bis 1824 sollten 79 weitere Vertonungen folgen. Am bekanntesten dürften vielleicht Poro von Vincis Rivalen Nicola Antonio Porpora und Händels Poro, Re dell' Indie sein. Ausgangspunkt ist der Indienfeldzug Alexanders des Großen 326 v. Chr. mit der legendären Schlacht am Hydaspes, bei der Poros (in der Oper: Poro), der König von Pauravas, von Alexander (in der Oper: Alessandro) und seinen Truppen besiegt wurde. Im Mittelpunkt der Oper stehen nun die zahlreichen amourösen Verwicklungen und Intrigen, die aus dieser Niederlage resultieren. Poro und Alessandro lieben beide die indische Königin Cleofide, die Poros Gefühle zwar erwidert, von diesem jedoch für untreu gehalten wird, da sie mit Alessandro verhandelt, um ihr Reich und auch Poro zu schützen. Poros Schwester Erissena ist vom Edelmut Alessandros so angetan, dass ihr Geliebter Gandarte, Poros Feldherr und Vertrauter, eifersüchtig wird und ihr Vorhaltungen macht. Auch Timagene, Alessandros Feldherr, fühlt sich zu Erissena hingezogen, wird aber von ihr abgewiesen. Da er dafür Alessandro verantwortlich macht, plant er, Poro im Kampf gegen Alessandro zu unterstützen. So kommt es immer wieder zu neuen Wendungen, bei denen Poro und Cleofide sich immer wieder das Leben nehmen wollen, was in letzter Sekunde stets verhindert wird, Alessandro stets Großmut beweist und seinen Feinden vergibt und schließlich die beiden Paare Poro und Cleofide bzw. Erissena und Gandarte zueinanderfinden. Erissena (Jake Arditti, Mitte mit Tänzern) versucht sich als Ballerina. Max Emanuel Cencic verlegt in seiner Inszenierung die Geschichte in den englischen Royal Pavilion in Brighton, den George IV. Anfang des 19. Jahrhunderts im Stile eines indischen Mogulpalastes bauen ließ und für ausschweifende Feste nutzte. Domenico Franchi hat dafür einen riesigen Saal mit royal roten Wänden und goldenen Verzierungen entworfen, der die Opulenz dieses Ortes nachempfinden lässt. In der Mitte befindet sich eine verschiebbare barocke Theaterbühne mit pittoresk gemalten Kulissen, die je nach Bedarf hinter der mittleren Rückwand verschwinden kann. Hier feiert George IV. in aufwändig gestalteten und farbenfrohen Kostümen von Giuseppe Palella ein ausgelassenes Fest, bei dem Vincis Oper zur Unterhaltung aufgeführt werden soll und George IV. in die Rolle des milden Titelhelden schlüpft. Zwei Schauspieler (Nate Harter und Connor Powles) treten in barocken Kostümen auf und führen mit einer Art Karikatur der englischen Sprache in die Geschichte ein. Ein Heer von Tänzern ist engagiert, die mal als griechische Soldaten in westlichem Look, dann als indische Krieger in sattem Grün oder als Tänzerinnen im Bollywood-Look die einzelnen Arien mit großartiger Komik untermalen, so dass man kaum Gelegenheit hat, die Übertitel zu verfolgen, da einfach so wahnsinnig viel auf der Bühne passiert. Auch die Ouvertüre wird von Tanz auf der kleinen verschiebbaren Bühne untermalt. Erissena (Jake Arditti) versucht sich hier mit herrlichem Spielwitz als Primaballerina. Erissena (Jake Arditti) und Poro (Franco Fagioli, Mitte) bei Alessandro (Maayan Licht, rechts hinten) (links: Schauspieler und Tänzer) Überhaupt wird Komik in Cencics Inszenierung groß geschrieben. So zeigt er immer wieder mit kleinen Details, mit wie viel Humor er sich der verworrenen Vorlage nähert, ohne sie dabei der Lächerlichkeit preiszugeben. Um bei den Männern, die in Frauenrollen schlüpfen, die weiblichen Attribute zu betonen, wird hier auf üppige Oberweiten bei Cleofide, Erissena und den Tänzerinnen gesetzt. Wenn Cleofide Alessandro mit indischen Geschenken überhäuft, befindet sich unter den golden glänzenden Statuen, die im Liebesspiel gezeigt werden, auch ein überdimensionaler Phallus, den Poro später im Kampf mit Cleofide als Waffe einsetzt. Um die einzelnen Figuren relativ unerwartet auftauchen zu lassen, werden immer wieder riesige Kisten auf die Bühne geschoben, aus denen dann die jeweilige Person herausspringt. Auch mit dem Bild von Elefanten und Kamelen wird gespielt, wenn Poro, Timagene und Gandarte auf riesigen Dreirädern mit Elefanten- bzw. Kamelkopf über die Bühne fahren. Wenn Poro im dritten Akt völlig unerwartet bei Erissena auftaucht, um ihr zu sagen, dass er noch lebt, obwohl ihn alle für tot halten, befindet sie sich gerade auf der Toilette, was ihren Schrecken noch unterstreicht. Der Höhepunkt der Komik ist dann aber das Ende des ersten Aktes, wenn es im großen Duett zwischen Poro und Cleofide zu einem fulminanten Schlagabtausch zwischen Franco Fagioli (Poro) und Bruno de Sá (Cleofide) kommt. Da wechseln die beiden nicht nur musikalisch mal eben in Verdis Traviata und Rigoletto bzw. Mozarts Zauberflöte, sondern reißen sich am Ende auch noch die Perücken vom Kopf, während sie von den Mitspielern angefeuert werden. Cleofide (Bruno de Sá) und Poro (Franco Fagioli) Neben der hervorragenden Inszenierung lässt auch die musikalische Umsetzung keine Wünsche offen und begeistert auf ganzer Linie. Da ist zunächst einmal der Shooting-Star Bruno de Sá als Cleofide zu nennen. Der Sopranist verfügt über derart feminin strahlende Höhen, das man bei seinem Gesang wirklich nicht erkennen kann, dass hier ein Mann singt. Die Spitzentöne sind derart zart und klar angesetzt, dass es bei ihm nichts Verfremdendes hat, wenn er in die Partie der Königin schlüpft. Ein Höhepunkt ist Cleofides Arie im zweiten Akt, "Digli ch'io son fedele", in der sie Poro ihre Treue versichert und mit zarten Tönen unter seinem Misstrauen leidet. Hier geht de Sás Intonation regelrecht unter die Haut. Auch beim Schlagabtausch im Duett am Ende des ersten Aktes weiß er zu glänzen, wenn er die Koloraturen aus der Rache-Arie der Königin der Nacht absolut exakt ansetzt und auch in der kurzen Passage der Violetta aus Verdis Traviata mit strahlenden Läufen punktet. In seiner Auftrittsarie im ersten Akt lässt er mit glasklaren Koloraturen nachvollziehen, wieso sowohl Poros als auch Alessandros Herz für diese Frau schlägt. Franco Fagioli unterstreicht nicht nur mit der Anzahl der Arien, dass die Oper eigentlich nach Poro hätte benannt werden müssen. Auch er präsentiert sich von seiner besten Seite mit virtuosen Läufen und atemberaubenden Koloraturen. Hervorzuheben ist, wie bruchlos ihm ein Wechsel von Brust- zur Kopfstimme gelingt, womit er dem indischen König einen sehr virilen Zug gibt. Ein weiterer Glanzpunkt ist seine Arie im ersten Akt, "Se possono tanto due luci vezzose", in der er seinen Kampf gegen die Eifersucht beschreibt. Hier kommt die musikalische Leiterin Martyna Pastuszka zu ihm auf die Bühne und tritt mit ihm mit der Solovioline in einen bewegenden Dialog. Mit fulminanten Oktavsprüngen begeistert er bei seiner großen Rache-Arie zu Beginn des dritten Aktes, wenn Poro glaubt, dass Cleofide Alessandro nun heiraten wolle. Dass er dabei auch darstellerisch über großartige Komik verfügt, beweist er, da er in der Arie versehentlich auf Erissenas Kleid tritt, und nun die Bemühung, den Rock wieder zu befestigen, in die musikalische Inszenierung einbaut. Happy End mit zwei glücklichen Paaren (von links: Alessandro (Maayan Licht), Poro (Franco Fagioli), Cleofide (Bruno de Sá), Erissena (Jake Arditti) und Gandarte (Stefan Sbonnik), in Hintergrund: Chor) Dass die eigentliche Titelfigur musikalisch etwas blass bleibt, ist keinesfalls Maayan Licht anzulasten. Der israelische Sopranist begeistert mit luziden und weich angesetzten Höhen, die die Sanftmut und Milde Alessandros unterstreichen. Da bietet die Partie der Erissena für Jake Arditti schon wesentlich mehr Potenzial. Anders als bei Cleofide merkt man bei ihm aber auch stimmlich deutlich, dass hier ein Mann eine Frauenrolle spielt. Erissena ist allerdings vom Typ aber auch ganz anders angelegt als Cleofide. Arditti punktet mit beweglichem Countertenor und exaltiertem Spiel. Dabei präsentiert er die Schwester des Königs als recht moderne und bisweilen etwas mannstolle Frau, die sich nichts vorschreiben lassen will. Das macht er auch mimisch am Ende deutlich, wenn Poro beschließt, dass Erissena nun Gandarte heiraten wird. Da sagen Ardittis Augen, dass Erissena mit dieser Entscheidung nicht gerade einverstanden ist. Nicholas Tamagna präsentiert den intriganten Timagene mit viel Spielwitz und weichem Countertenor, der die Windigkeit der Figur unterstreicht. Bei diesem Fest der hohen Stimmen hat es Stefan Sbonnik als Gandarte schon beinahe schwer, mit seinem Tenor mitzuhalten. Aber auch er zeigt sich höhensicher und mit großer Beweglichkeit in den Läufen. Das {oh!} Orkiestra mit der musikalischen Leiterin Martyna Pastuszka ist eine hervorragende Wahl für diese Produktion, weil es die Feinheiten der Partitur differenziert auffächert und den Solisten die Möglichkeit gibt, in voller Pracht zu glänzen. Die Tänzer werden in der Choreographie von Sumon Rudra wunderbar in Szene gesetzt, so dass es am Ende tosenden und verdienten Applaus für alle Beteiligten gibt.
Max Emanuel Cencics bunte Inszenierung und die hervorragende musikalische Umsetzung machen deutlich, wie kurz fünf Stunden sein können.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Choreogaphie
Chor des Bayreuth Baroque Festival Solistinnen und Solisten
Poro, indischer König
Cleofide, indische Königin
Erissena, Poros Schwester
Alessandro, makedonischer König
Gandarte, Poros Feldherr und Vertrauter
Timagene, Alessandros Feldherr
Schauspieler
Tänzer
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- Fine -