Flüchtige Japanträume, in Tusche gezeichnet
Von Stefan Schmöe
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Fotos © Bregenzer Festspiele / Karl Forster, Anja Köhler und Dietmar Mathis
Die Hauptrolle auf der Bregenzer Seebühne spielt, wieder einmal, das Bühnenbild. Dabei ist es gar nicht (wie in vergangenen Jahren der wie ein Ballon aufsteigende Kopf in Rigoletto, die versinkende chinesische Mauer in Turandot oder die zerbrochene Freiheitsstatue in Aida) ein spektakulärer Hingucker, der von Weitem auf sich aufmerksam macht. Michael Levine hat ein überdimensionales Blatt Papier gebaut, eine Tuschezeichnung, leicht gerollt und scheinbar in den See geworfen. Aus der Distanz eher uninspiriert anmutend, entwickelt die Szenerie vor allem durch wechselnde Lichtstimmungen (Franck Evin) ganz erheblichen Reiz. In den besten Momenten der Aufführung wird die Szene zur Seelenlandschaft. Etwa wenn die unglückliche Cio-Cio-San Blüten verstreut, Ausdruck der Hoffnung auf die Rückkehr des amerikanischen Offiziers Pinkerton. An diesem Abend setzen im dritten Akt punktgenau Wind und Regen ein und fegen Blüten und Hoffnungen hinweg, wenn Pinkerton nicht sie, sondern nur das gemeinsame Kind nach Amerika holen wird.
Ein erträumtes Japan als leicht dahingeworfene Tusche-Skizze im See (Foto: © Bregenzer Festspiele / Anja Köhler)
Regisseur Andreas Homoki umgeht geschickt die Gefahr, in folkloristischen Naturalismus zu verfallen. Die Bühne liefert dezent, aber unverkennbar fernöstliches Flair, und die Kostüme (Antony McDonald) geben sich nur bei den Randfiguren (wie dem um die verlassene Cio-Cio-San buhlenden Fürsten Yamadori) märchenhaft und an das japanische Kabuki-Theater angelehnt. In gleicher Art ist der hinzu erfundene Bewegungschor ausgestattet, der die Geister von Cio-Cio-Sans Ahnen darstellen soll, so steht's im Programmheft (und natürlich lässt sich das dramaturgisch ganz gut rechtfertigen, denn das verdeutlicht den Zwiespalt im Spannungsfeld der Kulturen, in dem Cio-Cio-San sich bewegt). Wichtiger war es aber wohl, regelmäßig die große Bühne zu füllen, was in der Choreographie von Lucy Burge auch immer wieder effektvoll umgesetzt wird. Ein gewisses Maß an Show gehört in Bregenz naturgemäß auch dazu, und eine Reihe von schönen Bildern gelingen dem Regieteam durchaus. Dennoch hätte Homoki diese Mittel durchaus sparsamer und konzentrierter einsetzen dürfen - mitunter lenken diese Geister dann doch vom Wesentlichen ab.
Pinkerton und Cio-Cio San, die "Butterfly" (hier: Otar Jorjikia und Barno Ismatullaeva), umgeben von Geistern; Foto: © Bregenzer Festspiele / Karl Forster
Im Vergleich zu den fein durchgearbeiteten "japanischen" Kostümen wirken die Amerikaner grell und grob, wie Fremdkörper: Der Konsul Sharpless im gelben Anzug, Pinkerton in blauer Marineuniform und dessen amerikanische Frau Kate im roten Kleid. Bei ihren Auftritten durchbrechen sie das Bühnenbild, reißen Löcher in das Papier, und hier darf auch die amerikanische Flagge nicht fehlen. Der übliche, eher vordergründige Butterfly-Standard eben, der sich hier auch in der eher wenig ambitionierten Personenregie fortsetzt. Aber die Regie interessiert sich wohl auch mehr für die Binnenperspektive der Hauptfigur. Cio-Cio-San trägt einen federleichten Umhang, der ganz zart und vage den Schmetterling in ihrem Namen andeutet, den "Butterfly". Wenn sie diesen ablegt und im Unterkleid dasteht, dann ist sie jenseits aller Kulturen ganz gegenwärtig eine junge Frau mit allen Hoffnungen (und Enttäuschungen). Und in dieser Aufführung ist es die Sängerin und Darstellerin Anna Princeva, die mit großer szenischer wie stimmlicher Präsenz die Rolle differenziert spielt (da stimmt die Personenführung sehr viel besser), aber vor allem mit großer, leicht eingedunkelter Stimme zwischen substanzvollem Pianissimo und klangvollem, immer sorgsam ausgesungenem Forte bewegend ausgestaltet.
Blütenträume: Suzuki und Cio-Cio San (hier: Annalisa Stroppa und Barno Ismatullaeva); Foto: © Bregenzer Festspiele / Anja Köhler
Dem hat Denys Pivnitskyi als Pinkerton mit wackligem, oft ungenau geführtem Tenor wenig entgegenzusetzen, dazu fehlt es der Stimme nicht nur in der Höhe an Körper und Kraft, wobei er die Schlüsselstellen ganz ordentlich bewältigt. Domen Krišaj singt mit jugendlich volltönendem Bariton einen stimmlich ausgezeichneten, allerdings wenig differenzierten Konsul Sharpless im Dauermezzoforte. Fleuranne Brockway ist eine ordentliche Suzuki mit schöner, klarer Stimme, der es ein wenig an Präsenz fehlt. An die Butterfly von Anna Princeva reichen sie alle nicht heran, und das unterstreicht noch einmal den Fokus ganz auf die Hauptfigur. (Ob das in den anderen Besetzungen - die Hauptpartien sind dreifach besetzt - auch so deutlich ist?) Schade, dass sie sich am Ende so konventionell-pathetisch erdolcht, da hätte man sich von der Regie doch eine originellere Lösung erhofft. Der eigentliche Knalleffekt besteht freilich darin, dass die zur Bühne gewordene Tuschezeichnung scheinbar verbrennt (Videoprojektionen machen's möglich, ein paar echte Stichflammen gibt's obendrauf) und alle Fernost-Träume in Flammen aufgehen.
Sie werden keine glückliche Familie: Pinkerton, Cio-Cio San und das gemeinsame Kind (hier: Otar Jorjikia, Barno Ismatullaeva und Riku Seewald); Foto: © Bregenzer Festspiele / Dietmar Mathis
Wer es in dieser Aufführung mit der Butterfly musikalisch aufnehmen kann, das sind das die hervorragenden Chöre (neben dem Festspielchor der Philharmonische Chor Prag), die ganz ausgezeichneten Wiener Symphoniker und Dirigent Enrique Mazzola. In den dramatischen Passagen bekommt die Musik zupackenden, mitunter fast kratzbürstigen Charakter. Mazzola dirigiert die wiederkehrenden Motive oft bedeutungsvoll wie Leitmotive, und auch in den Klangfarben findet er in manchen liebevoll ausgespielten Details überraschende Parallelen zu Wagners Götterdämmerung und Parsifal. Dabei lässt er die große Linie nie abreißen, nimmt die Arien oder auch den gesummten Chor im Übergang vom zweiten zum dritten Akt mit charmanter Leichtigkeit und gerät nie in Gefahr, sentimental zu werden. Die Bregenzer Tontechnik (Alwin Bösch, Clemens Wannemacher) liefert ein alles in allem sehr gutes Klangbild, das den Klang aus den Lautsprechern verblüffend genau scheinbar von dem Ort aus entstehen lässt, an dem die Sängerinnen und Sänger stehen, und fächert das Orchester (das auf der Bühne des Festspielhauses sitzt) schön auf. Die Lautstärken dürften ein bisschen weniger nivelliert sein, was vor allem bedeutet: Ein Pianissimo sollte auch wirklich leise sein - da, so der Eindruck, wird immer ein wenig hochgepegelt. Wenn die Wellen dazu mitunter lautstark gegen die Seebühne schlagen, dann gehört das eben auch zu den Bregenzer Festspielen.
FAZIT
Das Team um Regisseur Andreas Homoki hat Madama Butterfly geschmackvoll und weitestgehend kitschfrei mit vielen schönen Bildern für die große Open-Air-Bühne arrangiert. Auf sehr gutem musikalischem Niveau präsentiert sich die Produktion damit in ihrem zweiten (und letztem) Jahr festspielreif und kann an diesem Abend auch dem nasskalten Wetter trotzen.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Enrique Mazzola (Premiere)/ Yi-Chen Li
Inszenierung
Andreas Homoki
Bühne
Michael Levine
Kostümr
Antony McDonald
Licht
Franck Evin
Video
Luke Halls
Choreographie
Lucy Burge
Chor
Lukáš Vasilek
Benjamin Lack
Ton
Alwin Rösch Clemens Wannemacher
Wired Aerial Theatre
Tänzer:innen der Bregenzer Festspiele
Statisterie der Bregenzer Festspiele
Bregenzer Festspielchor
Prager Philharmonischer Chor
Wiener Symphoniker
Solisten
* Besetzung der rezensierten Aufführung
Cio-Cio-San (genannt Butterfly)
Elena Guseva
Barno Ismatullaeva
*Anna Princeva
Suzuki
*Fleuranne Brockway
Aytaj Shikhalizada
Annalisa Stroppa
Kate Pinkerton
Hamida Kristoffersen
*Sabine Winter
B. F. Pinkerton
Otar Jorjikia
*Denys Pivnitskyi
Łukasz Załęski
Sharpless
*Domen Krišaj
Brett Polegato
Yngve Søberg
Goro
*Spencer Lang
Taylan Reinhard
Der Fürst Yamadori
*Omer Kobiljak
Patrik Reiter
Onkel Bonze
Levente Páll
*Stanislav Vorobyov
Der kaiserliche Kommissar
Matthias Hoffmann
Dolore, das Kind
Aurel Bos
*Julian Ringer
Riku Seewald
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