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Klangvokal 2023
Musikfestival Dortmund
21.05.2023 - 18.06.2023

Carlo il Calvo

Dramma per musica in drei Akten
Libretto nach Francesco Silvanis L'innocenza giustificata
Musik von Nicola Antonio Porpora

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 25' (eine Pause)

Aufführung im Konzerthaus Dortmund am 18. Juni 2023, 18.00 Uhr

 

 

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Krönender Abschluss des Festivals

Von Thomas Molke / Fotos: © Bülent Kirschbaum

Nicola Antonio Porpora ist zwar heute meist nur noch eingefleischten Opernfans ein Begriff, hat aber wie kaum ein anderer Komponist den eleganten Gesangsstil geprägt, der über Jahrhunderte die italienische Oper dominieren sollte und ihn zu Beginn des 18. Jahrhunderts neben Leonardo Vinci an die Spitze der Opernkultur katapultierte. Dabei schuf er nicht nur rund 50 Opern, von denen die meisten heute leider unbekannt und zum Teil auch verschollen sind, sondern war auch als Ausbilder sehr aktiv. So unterrichtete er beispielsweise den Meisterlibrettisten Metastasio in Kompositionslehre und zählte bedeutende spätere Komponisten wie Johann Adolf Hasse und Joseph Haydn zu seinen Schülern. Nachdem er in den 1720er Jahren zahlreiche Opern unter anderem für Wien, Rom, München, Mailand und Venedig komponiert hatte, ging er 1733 nach London, um dort mit großen Stars wie den Kastraten Senesino und Farinelli sowie der berühmten Sopranistin Francesca Cuzzoni mit der Opera of the Nobility ein Konkurrenzunternehmen zu Händel aufzubauen. Als die Opera of the Nobility jedoch wenige Jahre später genauso wie Händels Unternehmen bankrottging, kehrte er nach Venedig zurück und sanierte sich in Italien mit weiteren Kompositionsaufträgen. Der dritte Auftrag war Carlo in Calvo in Rom. Im Teatro delle Dame kam das Dramma per musica im Frühjahr 1738 mit einer hochkarätigen Sängerbesetzung - Frauen hatten zu der Zeit auf den Opernbühnen in Rom Auftrittsverbot - zur Uraufführung. Max Emanuel Cencic hat dieses Werk nun vor drei Jahren bei seinem neu ins Leben gerufenen Barock-Festival Bayreuth Baroque wiederentdeckt und im Markgräflichen Opernhaus zur umjubelten Aufführung gebracht (siehe auch unsere Rezension). Nun ist das Stück in einer konzertanten, leicht gekürzten Fassung im Konzerthaus Dortmund zum Abschluss des diesjährigen Klangvokal Musikfestivals zu erleben.

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Schlussapplaus: von links: Giuditta (Suzanne Jerosme), Adalgiso (Franco Fagioli), Gildippe (Julia Lezhneva), Eduige (Ambroisine Bré), George Petrou, Lottario (Max Emanuel Cencic) und Berardo (Dennis Orellana), dahinter: Armonia Atenea

Die Oper basiert auf einem Libretto von Francesco Silvani, das erstmals 1698 von Benedetto Vinaccesi unter dem Titel L'innocenza giustificata vertont wurde. Porpora änderte nicht nur den Titel zu Carlo il Calvo, sondern passte auch den Text dem neuen musikalischen Stil an. Die Geschichte spielt im Fränkischen Reich um 840. Kaiser Ludwig der Fromme ist gerade verstorben und hat in seinem Testament verfügt, dass seinem sechsjährigen Sohn Karl (Carlo il Calvo) Gebiete des Reiches zugesprochen werden, die bis jetzt von Lottario, Ludwigs Sohn aus erster Ehe, verwaltet werden. Diesen Machtverlust will Lottario natürlich nicht hinnehmen und verbreitet das Gerücht, dass Carlo nicht der Sohn des verstorbenen Ludwigs, sondern ein Bastard sei. Dem widerspricht Carlos Mutter Giuditta mit großer Heftigkeit und will den Machtanspruch ihres Sohnes nun mit Gewalt geltend machen. Adalgiso, Lottarios Sohn, der Giudittas Tochter Gildippe liebt, verhindert, dass sein Vater Giuditta und ihren Sohn tötet. Gildippe ist hin- und hergerissen zwischen ihren Gefühlen für Adalgiso und der Forderung ihrer Mutter, auf die ursprünglich geplante Hochzeit mit Adalgiso zu verzichten, den Giuditta wie seinen Vater für einen Verräter hält. Nach vielen Verwicklungen gelingt es Adalgiso jedoch, Lottario zur Einsicht zu bringen. Lottario akzeptiert Carlo als künftigen Mitregenten. Zur Unterstützung des Bündnisses dürfen Adalgiso und Gildippe den Bund der Ehe schließen.

Ein Großteil des Ensembles war bereits in der szenischen Produktion in Bayreuth vor drei Jahren zu erleben. Deswegen hat die Aufführung durch die Intensität der Darstellung beinahe szenischen Charakter, auch wenn die Solistinnen und Solisten mit Ausnahme von Julia Lezhneva, die wie in Bayreuth die Partie der Gildippe interpretiert, mit Textbuch auftreten. Wenn sie nicht in der Szene sind, verlassen sie die Bühne und nehmen nicht neben oder vor dem Orchester Platz, wie es bei konzertanten Aufführungen sonst häufig der Fall ist. Der Abend, der in Bayreuth gut fünf Stunden mit zwei Pausen dauerte, ist für die Aufführung in Dortmund um ein paar Passagen und eine Pause gekürzt. Die im Programmheft angegebene Dauer von zwei Stunden und 50 Minuten überschreitet man aber dennoch um mehr als eine halbe Stunde, was nicht zuletzt dem frenetischen Jubel geschuldet sein dürfte, der nach jeder der über 20 Arien zu Recht im Saal ertönt. Hier ist nämlich die Creme de la Creme der Barockszene zu erleben, die den Komponisten Porpora mit jeder einzelnen Arie zelebriert. Was Porpora den einzelnen Sängerinnen und Sängern für Perlen in die Kehle komponiert hat, ist wirklich vom Feinsten und lässt bedauern, dass die Wiederentdeckung seiner Werke meistens nur Barock-Festivals vorbehalten ist.

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Max Emanuel Cencic als Lottario

Max Emanuel Cencic schlüpft erneut in die Rolle des Lottario, der seinen Halbbruder Carlo nicht an seiner Seite als Mitregenten akzeptieren will. In seinen insgesamt fünf Arien begeistert Cencic mit einem dunkel gefärbten Countertenor, der mit scheinbarer Leichtigkeit in dramatische Höhen auszubrechen weiß. Die Koloraturen verziert er mit einer stupenden Beweglichkeit und spielerischen Bögen, mit denen er den intriganten Charakter des erstgeborenen Sohn des verstorbenen Kaisers hervorhebt. Von den Läufen in seiner ersten Arie fühlt man sich regelrecht eingelullt, so wie Lottario auch Giuditta den Anschein geben will, auf ihre Forderungen einzugehen und das Testament seines verstorbenen Vaters zu akzeptieren. Mit spitzen hohen Tönen hält er dann in seiner zweiten Arie dagegen, wenn es zur offenen Auseinandersetzung mit Giuditta kommt. Noch erzürnter zeigt er sich dann, wenn sein eigener Sohn ihm in den Rücken fällt und Giuditta und ihren Sohn beschützt. Auch in dieser Wut lässt er die Koloraturen in schnellen Läufen nur so sprudeln, und zeigt sich absolut siegesgewiss. Als auch der zweite Mordanschlag auf Carlo von Adalgiso vereitelt wird, kommt Lottario auf einmal zur Einsicht. Man mag das dramaturgisch hinterfragen, aber so ist das eben beim obligatorischen Lieto fine. Cencics grandiosen Koloraturen in seiner letzten Arie trösten über manche inhaltliche Unstimmigkeit hinweg.

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Franco Fagioli als Adalgiso

Bei Franco Fagioli, der erneut in die Rolle des Adalgiso schlüpft, kann man sich teilweise gar nicht vorstellen, wie eine menschliche Stimme zu vollbringen vermag, was Fagioli in seinen Arien zelebriert. Schon wenn er in seiner ersten Arie seine Geliebte Gildippe zu beruhigen versucht, begeistert er nicht nur mit stupenden Läufen, sondern punktet dabei auch noch durch enorme Oktavsprünge. Dabei vermittelt er eine Leichtigkeit, so dass man das Gefühl hat, die Töne würden ganz einfach aus ihm herausströmen. Ein weiterer Glanzpunkt ist seine große Gleichnisarie am Ende des ersten Aktes. Hier wechselt Fagioli bruchlos von der Kopf- in die Bruststimme, präsentiert Koloraturen in einer Schnelligkeit und Präzision, dass man vor Begeisterung nahezu das Gleichgewicht verliert und sich in dem besungenen Wirbelwind wähnt, den der weise Steuermann in der Arie auf sich zukommen sieht. Mit welcher Intensität er dann im Streitgespräch mit seinem Vater zu Beginn des zweiten Aktes das "Taci" ("Schweig") präsentiert und dabei den Ton mit einer nicht enden wollenden Länge hält, ist atemberaubend. Erneut schwingt er sich von da in stupende Koloraturen. Auch bei der vierten großen Arie möchte man im Publikum gar nicht aufhören, Fagioli zu bejubeln, wenn er mit stupenden Höhen die Blitze lautmalerisch durch die dunkle Wolkendecke scheinen lässt. Unter die Haut geht auch das großartige Duett mit Julia Lezhneva als Gildippe im dritten Akt, in dem die beiden Liebenden endlich wieder zueinander finden. Hier variiert Fagioli sogar das Rezitativ und spricht den Text zunächst, was die Innigkeit noch unterstreicht.

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Julia Lezhneva als Gildippe

Julia Lezhneva begeistert als Gildippe stimmlich und darstellerisch. Sie tritt ohne Textbuch auf und lässt mit Mimik und Gestik die Sorgen und Ängste der jungen Frau in jeder Bewegung und jedem Blick spürbar werden. Dabei punktet sie durch leuchtende, glasklare Höhen und eine enorme Beweglichkeit in den Koloraturen. Besonders unter die Haut gehen ihre zahlreichen Verzierungen, die sie ohne Begleitung des Orchesters absolut variationsreich präsentiert. In diesen Momenten lauscht das Publikum ihrer Interpretation so angespannt, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. Lange wehrt sie sich gegen ihre Gefühle für ihren Geliebten Adalgiso, was Lezhneva mit exorbitanten Koloraturen zum Ausdruck bringt. Im Duett mit Fagioli kann sie dann aber seinem Charme nicht mehr widerstehen, und es kommt zwischen den beiden zu einem musikalisch und dramaturgisch mehr als glaubhaftem Lieto fine. Dass die beiden am Ende des Duetts endgültig zueinander gefunden haben, versteht man auch dann, wenn man den Text nicht verfolgt, weil Lezhneva und Fagioli diese Szene derart intensiv interpretieren.

Auch Suzanne Jerosme war bereits in Bayreuth als Gildippes Mutter zu erleben. Sie glänzt durch kraftvolle Höhen und große Standhaftigkeit in den Koloraturen, die betonen, dass diese Frau ganz genau weiß, was sie will, und dass sie zu keinerlei Kompromissen bereit ist. Das macht Jerosme auch in ihren entschlossenen Auf- und Abgängen deutlich. Wesentlich spielerischer kommt Ambroisine Bré als jüngere Tochter Eduige daher. Mit weichem Mezzosopran zeichnet sie Gildippes Schwester, die sich zwar mit ihrer Mutter und Schwester einig darüber ist, dass man gegen Lottario vorgehen muss, dabei aber keine eigenen Aktivitäten entwickelt. Dabei verliebt sie sich in Berardo, der den Frauen versichert, Carlo aus der Gewalt Lottarios zu befreien. Als Berardo lässt der junge Sopranist Dennis Orellana aufhorchen, der mit glasklaren Höhen punktet, die jugendlich frisch klingen. Stefan Sbonnik rundet als Asprando das Ensemble mit beweglichem Tenor überzeugend ab. Die musikalische Leitung liegt wie in Bayreuth in den Händen von George Petrou. Mit viel Fingerspitzengefühl führt er das Ensemble Armonia Atenea durch die Partitur und arbeitet die Finessen von Porporas Kompositionsstil mit feinem Gespür für subtile Zwischentöne heraus. So möchte das Publikum am Ende der Vorstellung gar nicht aufhören zu applaudieren und feiert alle Beteiligten mit lang anhaltenden stehenden Ovationen.

FAZIT

Dem Klangvokal Musikfestival gelingt mit diesem Barockjuwel ein in jeder Hinsicht krönender Abschluss des diesjährigen Festivals.

Weitere Rezensionen zum Klangvokal Festival Dortmund 2023

 

Ausführende

Musikalische Leitung
George Petrou

 

Armonia Atenea

 

Solistinnen und Solisten

Lottario
Max Emanuel Cencic

Adalgiso
Franco Fagioli

Gildippe
Julia Lezhneva

Giuditta
Suzanne Jerosme

Eduige
Ambroisine Bré

Berardo
Dennis Orellana

Asprando
Stefan Sbonnik


Weitere
Informationen

erhalten Sie unter
Klangvokal Dortmund
(Homepage)



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