Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
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Osterfestspiele Baden-Baden 2024
Die Kammerkonzerte Aufführungen vom 26. bis zum 30. März 2024 |
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Faszinosum Kammermusik Von Christoph Wurzel / Fotos: © Monika Rittershaus Bei den Osterfestspielen in Baden-Baden sind die Musikerinnen und Musiker der Berliner Philharmoniker nicht allein in der Oper und den Sinfoniekonzerten (siehe unsere Rezension), sondern auch in wechselnden Formationen bei zahlreichen Kammerkonzerten beschäftigt. Vierzehn waren es in diesem Jahr, von denen wir einen Teil besuchen konnten. Orientiert sind diese meist an der Entstehungszeit der jeweils gespielten Oper und durch einen Roten Faden programmatisch miteinander verbunden. In diesem Jahr hatte Elektra, das wohl modernste und kühnste Bühnenwerk von Richard Strauss Premiere (siehe unsere Rezension), so stand vornehmlich Kammermusik aus der musikalischen Zeitenwende um 1900, dem Übergang der Musik zur Moderne auf dem Programm. Das bedeutete viel Musik der Komponisten um Arnold Schönberg. Ihnen stellten die Programme der Kammerkonzerte in erhellendem Kontrast Musik von Franz Schubert gegenüber. Denn auch Franz Schubert war ein Neuerer. Auch in seiner Musik spiegelt sich ein Übergang, der Übergang von klassischer Formstrenge zur Vielfalt romantischer Individualstile. Von Schubert erklangen Werke aus allen Schaffensperioden seines mit gerade 31 Jahren überaus kurzen Komponistenlebens. Drei seiner Streichquartette als Kompositionsschüler von Antonio Salieri standen auf den Programmen. Das Brahms-Ensemble der Berliner Philharmoniker stellte die Nummern 1 und 5 vor: Quartette, die noch ganz den klassischen Formenkanon erfüllen. Einfache Motive, kurze Melodiefolgen und überschaubare Bauformen prägen diese Werke. Doch die philharmonischen Musikerinnen und Musiker ließen auch emotionale Grundströmungen erkennen, wie den leisen Trauergestus im g-Moll-Quartett, aber auch die vorwärtsstürmende Energie eines Erlkönig, der ersten Liedkomposition des 18-jährigen Schubert. Das Venus Quartett (an jedem Pult eine Musikerin) präsentierte Schuberts 4. Quartett in der aufgewühlten Stimmung des 1. Satzes bereits als deutlich emotionaleres Werk. Am Beginn tastet sich Schubert nach dem Vorbild von Mozarts Dissonanzenquartett scheinbar harmonisch unentschieden vor, bevor sich gleichsam ein Drama für vier Stimmen entwickelt. Mit energischem Strich, changierend in den Klangfarben und schwungvoll im wienerischen Trio konnte das Ensemble begeistern. Mit Schwung: Das Venus-Quartett im Malersaal Baden-Baden: Kotowa Machida, Violine - Rachel Schmidt, Violine - Julia Gartemann, Viola - Solène Kermarrec, Violoncello Als vollkommen unabhängig von Vorbildern und kompromisslos expressiv stellten mit dem Konzertmeister Noah Bendix-Balgley als Primarius die Musiker den Quartettsatz c-Moll mit seinen unvermittelten Übergängen von harscher Chromatik zum melodischen Sich-Verströmen in kompromissloser Expressivität vor. Moderat in den Stimmungen und besonders seiner gesanglichen Schönheit (dem berühmten Andante mit Ohrwurmqualität) erklang das Rosamunde-Quartett. Hier beeindruckte die junge Geigerin Johanna Pichlmair am ersten Pult mit ausnehmender Klangschönheit. Weit über die Grenzen aller Kammermusik für Streicher ging Schubert in seinem Quintett C-Dur hinaus. Das Werk, wenige Monate vor seinem Tod entstanden, umspannt mit seiner Dauer von fast einer Stunde den denkbar weitesten Bogen an Emotionen, die seinerzeit in Musik ausgedrückt wurden. Das von Cornelia Gartemann angeführte Ensemble lotete diese Bandbreite faszinierend aus: die aufwühlenden Kontraste des ersten Satzes, die himmlische Ruhe im Adagio, über die musikantische Ausgelassenheit des Scherzos mit dem zurückgenommenen, fragenden Trio bis hin zum tänzerisch beschwingten Allegretto-Finale mit seiner fulminanten Schlussstretta. Ebenfalls grenzüberschreitend ist Schuberts Oktett, nicht allein mit seiner Länge von sechs Sätzen. Die Besetzung für Streicher und Bläser nimmt fast schon sinfonischen Charakter an. Dem Philharmonischen Oktett (besetzt mit Solisten der ersten Pulte des Orchesters) gelang eine grandiose Aufführung, getragen von großer Ausgewogenheit der Stimmen und Klangfarben. Dem Hornisten Stefan Dohr gelangen mit seinem Instrument berückende Piani. Wundervoll ließen die Musiker die Stimmungen klingen: Adagio-Seligkeit wie lastende schwarze Romantik oder deftige Kirmes-Fröhlichkeit. Mit enormer Wandlungsfähigkeit arbeiteten sie die Variationen des viertes Satzes heraus: eine Stunde als Glanzstück der Interpretation. Beim "Rosamunde"-Quartett: Johanna Pichlmair, Violine - Angelo de Leo, Violine - Tobias Reifland, Viola - Uladzimir Sinkevich, Violoncello im Malersaal Über zwei Lieder von Gustav Mahler in einer Bearbeitung für Flöte und Klavier, von Emanuel Pahud charmant und mit wundervollem hellem, klaren Ton gespielt, ging es musikhistorisch dem Epochenbruch der Jahrhundertwende 1900 zur Wiener Moderne entgegen. Als Schwager war Alexander Zemlinsky vor allem familiär Arnold Schönberg verbunden. Um wenige Jahre älter als dieser sowie Anton Webern und Alban Berg, ging er im Stil seiner Kompositionen nicht so weit wie die Trias der "Neuen Wiener Schule" mit ihrer Abkehr von der herkömmlichen Tonalität bis hin zur Zwölftönigkeit. Wie sehr Zemlinskys 1. Streichquartett noch den Geist von Johannes Brahms atmet, machte das Venus Quartett in seiner Darbietung deutlich: große Klangfülle, intensive Themenverarbeitung, aber auch in Ausdruck und Temperament bereits Grenzen andeutend. Der letzte Satz geriet zu regelrecht vulkanischer Musik. Noch recht unbefangen in der Tradition von Brahms komponierte Anton Webern 1899 die Zwei Stücke für Cello und Klavier. Ludwig Quandt und Éric Le Sage ließen die Impressionen als pure Ausdrucksmusik klingen. Traumhaft das zarte Glissando im Cello und behutsam die filigrane Klavierbegleitung. Den noch spätromantischen Langsamen Quartettsatz für Streichquartett hat Webern als Hausaufgabe seiner Studien bei Arnold Schönberg ganz im Stile von Johannes Brahms geschrieben, außerordentlich klangsinnlich und "mit bewegtem Ausdruck" gespielt vom Brahms Ensemble der Berliner Philharmoniker. Wohl am radikalsten entfernte sich Webern bereits wenige Jahre später vom spätromantischen Stil. Seine Sechs Bagatellen für Streichquartett op. 9 von 1911 sind in ihrer aphoristischen Kürze von kaum mehr als einer Minute je Satz bewundernwert dicht im Gehalt, kleinste Einheiten in mikrotischen Abstufungen der Dynamik und Spieltechnik. Äußerste Sensibilität ist gefragt und extrem genaues Zusammenspiel. Noah Bendix-Balgley (Violine), Marlene Ito (Violine), Naoko Shimizu (Viola) und Ludwig Quandt (Violoncello) oblag diese Aufgabe, die sie grandios erfüllten. Eine Stecknadel hätte man fallen hören. Gegenüber derart artifizieller Selbstbeschränkung wie bei Webern ist Alban Bergs Musik breit angelegt. In den hier vorgestellten Frühwerken, den Vier Stücken für Klarinette und Klavier und dem Streichquartett op. 3 geht er auch bereits über die traditionelle Harmonik und Tonalität hinaus (der Begriff "atonal" war ursprünglich verunglimpfend gemeint), setzt reichlich Klangverfremdungen und ungewohnte Spieltechniken ein, aber diese Musik ist erzählend und reich in ihrem emotionalen Gehalt. Wenzel Fuchs an der Klarinette und die philharmonischen Quartettspieler spürten diese reichen Facetten intensiv nach. Vor allem in der Lyrischen Suite (Alexander Zenlinsky gewidmet) ließen sie die expressive Dramatik dieser sechs Sätze vehement Klang werden, entsprechend den charakteristischen Satzbezeichnungen wie Allegro jiovale, Trio estatico oder Largo desolato. Auch wer das versteckte Programm der heimlichen Leidenschaft des Komponisten zu einer verheirateten Frau nicht kannte, musste sich von diesem Spiel beeindrucken lassen. Professionelle Lockerheit: Emmanuel Pahud, Flöte - Wenzel Fuchs, Klarinette - Daishin Kashimoto, Violine - Ludwig Quandt, Violoncello - Éric La Sage, Klavier Als musikalischer Provokateur dieser Zeit schlechthin galt Arnold Schönberg, der ebenfalls mit spätromantischen Großformen angefangen hat und erst langsam über die freie Atonalität zur Zwölftontechnik fand. Aber als Kopf dieser Bewegung der Neutöner (auch bald wegen seiner jüdischen Abstammung) galt er als Hassobjekt konservativer Musikliebhaber. Provokant in der Tat ist seine Kammersymphonie Nr. 1, die bei einer Aufführung in Wien 1913 zu einem veritablen Skandal geführt hat, der als "Watschenkonzert" in die Musikgeschichte einging. Ursprünglich für 15 Soloinstrumente komponiert wurde in Baden-Baden eine Bearbeitung von Anton Webern für fünf Instrumente gespielt; von Emmanuel Pahud (Flöte), Wenzel Fuchs (Klarinette), Daishin Kashimoto (Violine), Ludwig Quandt (Violoncello) und Éric La Sage (Klavier) in professioneller Gelassenheit, die sichtlich Freude am Musizieren ausstrahlte. Die nervös-quirlige Provokation dieser Musik vermochten die Spieler so zu heiteren Gefühlen beim Publikum wandeln. Ein höchst willkommener Fremdkörper in all den gennnten Programmen war ein freundliches Trio von Joseph Haydn. Für London geschrieben atmete es in der Interpretation durch Emanuel Pahud (Flöte) und Éric Le Sage den Geist der "guten alten Zeit" der Wiener Klassik. FAZIT Was gibt es Schöneres als ein zufriedenes Publikum? |
Die Programme und Ausführenden26. März 2024 Franz Schubert Alexander Zemlinsky Venus-Quartett
27. März 2024 Anton Webern Franz Schubert Alban Berg Noah Bendix-Balgley, Violine* *Webern und Schubert 27. März 2024 Franz Schubert Cornelia Gartemann, Violine 27. März 2024 Franz Schubert Philharmonische Oktett
28. März 2024 Alban Berg Franz Schubert Simon Routier, Violine* *Berg
29. März 2024 Franz Schubert Anton Webern Franz Schubert Brahms Ensemble
30. März 2024 Joseph Haydn Alban Berg Anton Webern Gustav Mahler Arnold Schönberg Emmanuel Pahud, Flöte
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