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"Geburtsstunde" der Oper in großartiger Besetzung Von Thomas Molke / Foto: © Petra Coddington Der Anfang der zweiten Novemberwoche scheint im Ruhrgebiet musikalisch ganz im Zeichen des mythologischen Sängers Orpheus zu stehen. Nachdem Cecilia Bartoli am Montag in der Philharmonie Essen mit Glucks Orfeo ed Euridice in der Titelpartie brillierte (siehe auch unsere Rezension), kommt einen Tag später Julian Prégardien ins Konzerthaus Essen, um im Rahmen der Reihe "Konzertante Oper" Monteverdis Orfeo zu präsentieren, was obendrein eine Klammer zur zeitgenössischen Oper Begehren von Beat Furrer bildet (siehe auch unsere Rezension), mit der die Reihe in dieser Spielzeit im Oktober eröffnet wurde. Nach einer zeitgenössischen Deutung des Mythos durch Furrer folgt nun also im Konzerthaus die "Ur-Oper aller Opern". Denn auch wenn Claudio Monteverdis L'Orfeo nicht den Beginn des Musiktheaters der Neuzeit im eigentlichen Sinne markiert, war seine am 24. Februar 1607 anlässlich der Geburtstagsfeierlichkeiten eines Förderers der Accadmia degli Invaghiti, Francesco IV. Gonzaga, uraufgeführte Favola in musica stilbildend für die Gattung, die sich in den folgenden Jahrhunderten zur vollen Blüte entfalten sollte. Die zuvor entstandenen Werke von Jacopo Peri und Giulio Caccini, beide unter dem Titel L'Euridice, galten eher als eine "neue Art von Schauspiel", während bei Monteverdi La Musica als allegorische Figur auftritt und ein Werk einleitet, in dem es keine gesprochenen Texte mehr gibt. Julian Prégardien als Orfeo Die Handlung basiert auf dem berühmten in Ovids Metamorphosen und Vergils Georgica überlieferten Mythos über den thrakischen Sänger Orpheus, der seine bei der Hochzeit verstorbene Frau Eurydice aus der Unterwelt zurückholt, sie allerdings erneut verliert, weil er dem Verbot des Unterweltgottes Pluto, sich bis zum Erreichen der Oberwelt nicht nach seiner Gattin umzudrehen, nicht gehorcht. Während bei Ovid der thrakische Sänger nach dem erneuten Verlust Eurydices der Liebe abschwört und von zahlreichen Bacchantinnen aus verschmähter Liebe umgebracht wird, so dass er als Schatten nun erneut mit seiner Eurydice im Elysium wandeln kann, und sich in der berühmten späteren Fassung von Christoph Willibald Gluck die Götter durch Orpheus' erneute Klage schließlich erweichen lassen und ihm die geliebte Eurydice trotzdem zurückgeben, unterscheidet sich Monteverdis Fassung in einigen Punkten von beiden Varianten. Hier tritt am Ende Apollo auf, um seinen Sohn Orpheus in den Himmel aufsteigen zu lassen. Von dort aus kann er zukünftig Eurydices Ebenbild in der Sonne und den Sternen erblicken. Ins Konzerthaus ist nun Stéphane Fuget mit dem 2018 von ihm gegründeten lyrischen Ensemble Les Épopées gekommen, das sich mittlerweile einen renommierten Namen für historische Aufführungspraxis erworben hat. Die Solistinnen und Solisten übernehmen mit Ausnahme von Prégardien als Orfeo mehrere Partien und bilden auch den Chor. Ensemble: von links: Vlad Crosman, Paul Figuier, Isabelle Druet, Claire Lefilliâtre und Gwendoline Blondeel So schlüpft beispielsweise die belgische Sopranistin Gwendoline Blondeel, die eigentlich die Euridice verkörpert, im Prolog in die Rolle der allegorischen Figur La Musica, die vom Helicon, der Heimat der Musen, herabgestiegen ist, um von Orpheus und seinem Schicksal zu berichten. Dabei glänzt sie im großen Monolog mit strahlendem Sopran. Die Musikerinnen und Musiker des Ensembles Les Épopées unter der Leitung von Fuget stellen schon bei der eröffnenden "Toccata" ihre Begeisterung für Alte Musik unter Beweis und zaubern einen faszinierenden Klang, bei dem das Blech mit den Streichinstrumenten und den Holzbläsern in einen wunderbaren musikalischen Dialog tritt. Im Gegensatz zur Ouvertüre bei Glucks Oper macht hier die fröhliche Stimmung am Anfang Sinn, weil Euridice anders als bei Gluck noch nicht tot ist. Im Kreis der Hirten erlebt sie mit ihrem Orfeo zunächst fröhliche Tage, die in einer feierlichen Hochzeit gipfeln, bei der die Hirten und Nymphen in ausgelassenen Tänzen und Liedern feiern, dass Orfeo nach einer langen Zeit des Leidens mit seiner Euridice endlich sein Glück gefunden hat. Umso drastischer gestaltet Monteverdi den Bruch zum zweiten Akt. Mit einem dunklen Ton des Orchesters tritt eine Botin, La Messagiera, auf, die schlechte Nachrichten bringt. Während Euridice auf einer Wiese Blumen für ihren Kopfschmuck gepflückt hat, ist sie auf eine Schlange getreten und an dem Gift der Schlange gestorben. Isabelle Druet gestaltet die Szene als Messagiera mit dunkel gefärbtem Mezzosopran und großer Tragik. Julien Prégardien ist als Orfeo fassungslos. Sein bis jetzt wunderbar geführter lyrischer Tenor verliert seine Lieblichkeit und geht von einer bitteren Klage in sehr scharfe Töne über, die die Wut des Sängers spürbar machen. Den Tod der Gattin will er nicht akzeptieren. So beschließt er, in die Unterwelt hinabzusteigen, um seiner Gattin ins Totenreich zu folgen. Auch für diesen Abstieg findet Monteverdi eine ganz eigene Klangfarbe, die den Ort der Finsternis lautmalerisch hervorragend umsetzt. Nun tritt bei Monteverdi der Fährmann Caronte auf. Luigi De Donato präsentiert ihn mit scharfem Bass, mit dem man sich nicht anlegen möchte. Sehr bestimmt macht er deutlich, dass er Orfeo keinen Eintritt ins Totenreich gewähren wird. Doch Prégardien zeigt sich wieder von seiner lyrischen Seite und lullt den Fährmann mit zartem Gesang ein. Hier begeistert auch die Harfenistin mit intensivem Spiel. Nach der Pause ist man dann im Totenreich angekommen. Hier treten nun zuerst Proserpina und Plutone auf. De Donato schlüpft auch mit großer Autorität und dunklem Bass in die Rolle des Unterweltgottes. Claire Lefilliâtre legt die Partie der Proserpina mit weichem, warmem Sopran an, der zeigt, wie sehr Orfeos Gesang das Herz der Göttin bewegt hat, die ja eigentlich gegen ihren Willen in der Unterwelt verweilt. Doch auch Plutone lenkt ein, aus Liebe zu seiner Gattin. Er will Orfeo unter einer Bedingung seine Gattin zurückgeben. Orfeo darf sich auf dem Weg nicht nach ihr umdrehen. Während Gluck musikalisch im Folgenden in den schillerndsten Farben die Auseinandersetzung zwischen Orfeo und Euridice schildert, die schließlich dazu führt, dass Orfeo das Gebot missachtet, folgt Monteverdi eher Ovid, bei dem vor allem Orfeos Angst und fehlendes Vertrauen dazu führen, zu seiner Gattin zurückzublicken, und so ein glückliches Ende verhindern. Ähnlich wie bei Ovid entsagt auch bei Monteverdi Orfeo jedweder Liebe zu einer anderen Frau. Dennoch erspart Monteverdi ihm ein grausames Schicksal wie im Mythos. Stattdessen tritt Cyril Auvity als Apollo mit hellem Tenor auf und lässt seinen Sohn in den Himmel aufsteigen. Prégardien wechselt erneut stimmlich von scharfen Tönen zu einem jubelnden Gesang, weil er nun seine Euridice in den Sternen sehen kann. Das Orchester und die Solistinnen und Solisten werden zu Recht für diese großartige Interpretation mit stehenden Ovationen gefeiert. FAZIT Die Aufführung macht deutlich, wieso Monteverdis Werk für die weitere Entwicklung der Oper stilbildend war und somit als "Geburtsstunde der Oper" gefeiert wird.
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Ausführende
Musikalische Leitung und Cembalo Les Épopées
Orfeo Euridice / La Musica
Plutone / Pastore / Caronte / Spirito Apollo / Pastore / Spirito Proserpina / Ninfa Messagiera / La Speranza Eco / Pastore / Spirito
Pastore Spirito
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