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Semele

Musikalisches Drama in drei Akten (HWV 59)
Libretto nach William Congreve basierend auf Ovids Metamorphosen
Musik von Georg Friedrich Händel


in englischer Sprache mit englischen und deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 25' (eine Pause)

Premiere im Badischen Staatstheater am 17. Februar 2017
im Rahmen der 40. Internationalen Händel-Festspiele
(rezensierte Aufführung: 25.02.2017)

 
 
 
Badisches Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)

Im Blitzlichtgewitter der Macht 

Von Thomas Molke / Fotos von Falk von Traubenberg

Händels Semele lässt sich im Gesamtwerk des Hallenser Komponisten schwer kategorisieren. Von der italienischen Oper hatte sich Händel nämlich nach dem Misserfolg mit Deidamia 1741 endgültig verabschiedet, und so wurde Semele nicht nur konzertant sondern auch in englischer Sprache am 10. Februar 1744 am Covent Garden Theatre in London uraufgeführt. Zu dieser Zeit feierte der Komponist in London große Erfolge mit seinen Oratorien, aber Semele deswegen als Oratorium zu bezeichnen, wird dem Werk eigentlich auch nicht gerecht, da es anders als beispielsweise Messiah oder Belshazzar kein biblisches Thema behandelt, der Chor hierbei gewissermaßen nur eine Pseudo-Funktion einnimmt und nicht mehr zentral im Mittelpunkt steht und außerdem auch die dramatische Struktur des Stückes eher einer Oper ähnelt. Das Libretto war fast vierzig Jahre zuvor von William Congreve für John Eccles verfasst worden, der damit den Versuch starten wollte, nach Henry Purcell erneut eine Oper in englischer Sprache zu etablieren. Zu einer Aufführung dieses Werkes kam es allerdings nicht, und nach Händels Rinaldo interessierte sich sowieso niemand mehr für die Renaissance einer englischsprachigen Oper. Diese bittere Erfahrung musste dann auch Händel selbst machen, als er die Vorlage bearbeitete. Seine Semele erfreute sich beim Publikum keiner großen Beliebtheit und geriet sehr schnell in Vergessenheit. Dank der Händel-Festspiele in Halle, Göttingen, Karlsruhe und London genießt das Werk heutzutage einen solchen Bekanntheitsgrad, das es unter anderem 2001 an der Oper Köln, 2008 am Aalto-Theater in Essen und bei den Salzburger Pfingstfestspielen 2015 mit großem Erfolg zu erleben war (siehe auch unsere Rezension). Ein 2016 im Theater Mönchengladbach uraufgeführtes Opernpasticcio unter dem Titel The Gods Must Be Crazy greift inhaltlich und musikalisch ebenfalls größtenteils auf Händels Semele zurück (siehe auch unsere Rezension). Nun kann man sich bei der diesjährigen Neuproduktion der Internationalen Händel-Festspiele in Karlsruhe von den Qualitäten dieses Werkes überzeugen.

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"Glückliches" Präsidenten-Paar: Jupiter (Ed Lyon, Mitte hinten) und Juno (Katharine Tier, Mitte hinten)

Der Mythos von Semele, der Tochter des Kadmos (Cadmus), des Königs von Theben, und Harmonia, der Göttin der Eintracht, ist vor allem aus den Metamorphosen Ovids bekannt. Jupiter verliebt sich in die schöne Königstochter und gewinnt ihr Herz, weil sie stolz darauf ist, von einem Gott begehrt zu werden. Doch Jupiters Frau Juno will die Geliebte, die auch noch ein Kind von Jupiter erwartet, vernichten. Also sucht sie Semele in Gestalt einer alten Amme auf und weckt in ihr den Zweifel, ob ihr Geliebter wirklich der Göttervater Jupiter ist. Semele soll einfordern, dass Jupiter sich ihr in seiner ganzen göttlichen Pracht zeigt. Semele lässt sich überzeugen, ohne zu wissen, dass sie beim Anblick des Gottes verbrennen muss, und entlockt Jupiter das Versprechen, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Als sie ihn dann auffordert, ihr als Gott zu nahen, ist ihr Schicksal besiegelt. Jupiter kann noch das ungeborene Kind retten, indem er es bis zur Geburt in seinen Oberschenkel einnäht. Der Sohn Jupiters und Semele wird dann Dionysos (Bacchus) sein. In der Oper kommt Semeles Schwester Ino noch eine größere Bedeutung zu. Einerseits liebt sie Athamas, Semeles Verlobten, und leidet darunter, dass Athamas' Herz zunächst nur für Semele schlägt. Andererseits schlüpft Juno in ihre Gestalt, um Semele zu überreden, Jupiter aufzufordern, sich ihr als Gott zu zeigen. Juno suggeriert ihr in der Oper, dass Semele durch den Anblick selbst Unsterblichkeit erlangen werde.

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Semele (Jennifer France) soll Athamas (Terry Wey) heiraten.

Das Regie-Team um Floris Visser siedelt die mythologische Geschichte in der Gegenwart an. Der Göttervater ist hierbei ein hochrangiger Politiker, der seine Gattin gerne mal mit einer jüngeren Frau, in diesem Fall einer Praktikantin, betrügt und damit seine politische Karriere aufs Spiel setzt. Doch am Ende überwiegt sein Machtwille, und so wird die Affäre dem Blitzlichtgewitter der Presse geopfert, woran die junge Frau wie an den Blitzen eines Gottes zerbricht. Und da die Parallele zu Bill Clinton und Monica Lewinsky damit offensichtlich ist, hat Bühnenbildner Gideon Davey das Oval Office nachgebildet, das durch Einsatz der Drehbühne mal die Front zeigt, mal  Einblick in den Innenraum gewährt. Der Innenraum fungiert dabei zum einen als Tempel, in dem Semele mit Athamas vermählt werden soll, dann als Präsidentenbüro mit großem Schreibtisch und Flachbildschirmen im Hintergrund und schließlich als Liebesnest mit riesigem Bett in der Mitte. Die Schwingtüren, die in den Raum hineinführen, zeigen, dass Privatsphäre in dieser Umgebung keine Chance hat. Das musikalische Vorspiel wird in die Deutung mit einbezogen. Jupiter lässt sich mit seiner Gattin als Präsident feiern und beginnt ein Verhältnis mit seiner Praktikantin Semele, was von seiner Gattin Juno entdeckt wird. Diese will sich der Rivalin entledigen, indem sie kurzerhand mit einem verdienten General, Athamas, verheiratet werden soll. Hier setzt nun die eigentliche Opernhandlung ein.

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Semele (Jennifer France, oben) wird vor der Hochzeit von entführt.

Im weiteren Verlauf setzt Visser auf zahlreiche Spezialeffekte, die die ersten beiden Stunden bis zur Pause quasi wie im Flug vergehen lassen. Da fährt auf dem äußeren Ring der Drehbühne eine schwarze Limousine vor, in der Semele zum höchsten Gott gebracht wird. Die Hochzeitsgesellschaft wird nicht nur von explodierenden Leuchtkörpern aufgeschreckt, sondern durch das Dach dringen auch schwarz vermummte Männer ein, die Semele in ihrem Hochzeitskleid aus der Gesellschaft entführen, um sie zum Olymp (auf das Dach des Oval Office) zu bringen, wo sie dann auf ihren Geliebten Jupiter wartet. Die beiden Drachen, die Semele vor der Außenwelt schützen sollen, sind zwei Kriegshubschrauber, die Iris ihrer Chefin Juno auf den Flachbildschirmen zeigt. Wenn dann die Affäre mit Semele durch die Presse publik gemacht wird, verfolgt der anlässlich der diesjährigen Festspiele neu gegründete Festspielchor in Kostümen, die die US-amerikanische Bevölkerung in ihrer ganzen ethnischen Vielfalt zeigt, das Geschehen in Zeitungen und auf dem Bildschirm. Dagegen wirkt Semeles Untergang im Blitzlichtgewitter der Presse eher unspektakulär, auch wenn damit der Ansatz konsequent zu Ende gedacht wird. Jupiter lässt sich erneut mit seiner Gattin vom Volk feiern und wirft beim jubelnden Schlusschor über die Geburt des Weingottes Bacchus bereits ein Auge auf sein nächstes Opfer.

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Traute Zweisamkeit: Semele (Jennifer France) und Jupiter (Ed Lyon)

Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf hohem Niveau. Jennifer France stattet die Titelpartie mit leuchtendem Sopran und beweglichen Koloraturen aus. Bereits in ihrer großen Arie im ersten Akt, "Endless pleasure, endless love", in der sie ihrer Freude darüber freien Lauf lässt, dass Jupiter sie vor der Hochzeit mit dem ungeliebten Athamas befreit hat, punktet sie mit strahlenden Koloraturen. Eine Steigerung gelingt ihr noch im dritten Akt in der großen Arie "Myself I shall adore". Der Spiegel, der ihr hier von Juno in Gestalt ihrer Schwester Ino gereicht wird, wird durch Fotos ersetzt, die von der schwangeren Semele geschossen werden und ihr göttliche Unsterblichkeit vorgaukeln. Hier trägt France in zahlreichen Posen Semeles Selbstverliebtheit zur Schau und wirkt so, als wenn die halsbrecherischen Koloraturen dabei wie von selbst aus ihr heraussprudeln. Dass sie auch zu einer Furie werden kann, beweist sie in der anschließenden Auseinandersetzung mit Jupiter, wenn sie ihm in der scharf angelegten Arie "No, no! I'll take no less" deutlich macht, dass sie sich auf keinen Kompromiss einlassen wird. Ed Lyon hält als Göttervater Jupiter mit einem höhensicherem Tenor dagegen, der sich in den Koloraturen durch enorme Beweglichkeit auszeichnet. Zu nennen sind hier seine beiden großen Arien im zweiten Akt, in denen er einerseits beklagt, wie viel Semele ihm abverlangt, und er ihr andererseits in absoluter Verliebtheit ewige Freude verspricht. Darstellerisch überzeugt er als erfolgsverliebter Politiker, dem man auch optisch den Verführer junger Mädchen abnimmt.

Katharine Tier begeistert als eifersüchtige Gattin Juno mit beweglichem Mezzo und enormer Autorität, so dass man sich keineswegs mit ihr anlegen möchte. Großartig spielt sie die Balance zwischen Präsidentengattin und Furie aus, die, wenn die Kameras auf sie gerichtet sind, gute Miene zum bösen Spiel macht, aber sobald sie mit ihrer Dienerin Iris allein ist, diese rücksichtslos mit "Hence, Iris, hence away" über die Bühne jagt und selbst in ein schwarzes Kämpferinnen-Outfit schlüpft. Auch dem Gott des Schlafes Somnus macht sie mehr als deutlich, welche Erwartungen sie an ihn stellt, und ist notfalls auch bereit, seinen Traum von Pasithea, die sie zunächst durch eine Nebelwolke erscheinen lässt, wieder platzen zu lassen. Hannah Bradbury überzeugt als Götterbotin Iris mit weichem Sopran, und Yang Xu stattet den Somnus mit profundem Bass aus. Dilara Baştar spielt mit dunklem Mezzo die Leiden von Semeles Schwester Ino überzeugend aus und findet in ihren Eifersuchtsszenen einen durchaus schärferen Tonfall. Terry Wey stattet den Athamas mit weichem Countertenor aus, der dem Liebesleiden des zurückgewiesenen Prinzen gut gerecht wird. Mit Baştar findet er stimmlich nach Semeles Verschwinden zu einem betörenden Duett, auch wenn fraglich ist, ob diesen beiden am Ende wirklich eine glückliche Ehe beschert werden wird. Der von Carsten Wiebusch einstudierte Festspielchor überzeugt genauso wie die Deutschen Händel-Solisten unter der Leitung von Christopher Moulds, der mit differenziertem Spiel die Feinheiten der Partitur wunderbar auslotet. So gibt es am Ende frenetischen Beifall für alle Beteiligten.

FAZIT

Floris Vissers Modernisierung der Geschichte geht in vollem Umfang auf, und auch musikalisch bewegt sich die Aufführung auf hohem Niveau.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christopher Moulds

Regie
Floris Visser

Bühne und Kostüme
Gideon Davey

Licht
Alex Brok

Chor
Carsten Wiebusch

Dramaturgie
Klaus Bertisch

 

Deutsche Händel-Solisten

Händel-Festspielchor

Statisterie und Kinderstatisterie des
Badischen Staatstheaters


Solisten

Semele
Jennifer France

Jupiter
Ed Lyon

Athamas
Terry Wey

Juno
Katharine Tier

Ino
Dilara Ba
ştar

Iris
Hannah Bradbury

Cadmus
Ks. Edward Gauntt

Somnus
Yang Xu

Cupid
Ilkin Alpay


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Badischen Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)



Da capo al Fine

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