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Was teilt dieser Ring uns mit?
Von Christoph Wurzel / Fotos: Bernd Uhlig Erleichterung an der Deutschen Oper Berlin. Mit der nunmehr möglich gewordenen zyklischen Aufführung des Ring des Nibelungen ist eine enorme Kraftanstrengung vollbracht. Sehr unsanft wurde der geplante Zyklus dieser Ring-Produktion von der Pandemie zuerst einmal zerschlagen. Die Reihenfolge seiner vier Teile kam gehörig durcheinander. Nach dem ersten Lockdown hatte als erster Teil im September 2020 Die Walküre Premiere, gefolgt nach neun Monaten von Rheingold. Götterdämmerung und Siegfried folgten (in dieser Reihenfolge) im Herbst diesen Jahres, bis im November der Ring innerhalb zweier aufeinander folgender Wochen nun in der richtigen Reihenfolge zum Zyklus zusammengesetzt werden konnte - und zudem in voller Ausnutzung der Publikumskapazität. Ob sich Stefan Herheims Regieentwurf als ganzer betrachtet auch als künstlerischer Erfolg erweist, kann erst jetzt bilanziert werden. Einen geschlossenen Deutungshorizont spannt Herheims Konzept nicht, sondern schafft eher kleinteilig Assoziationsräume und bietet zahlreiche Anspielungen nicht zuletzt auf die Rezeption von Wagners Leben und Werk. Die Abende müssen also jeweils von der Kraft und Präsenz der einzelnen Szene leben. Gespannte Erwartungen hinterließ die erste Premiere, die als leidenschaftliches Familiendrama inszenierte Walküre (siehe unsere Rezension). Die darin gesetzten szenischen Leitmotive (Koffer, Konzertflügel, Tücher und zahllose Statisten) konnten noch neugierig machen, wie sich Herheims Ideen zum Ring produktiv auswirken und sinnstiftend weiter entwickeln würden. Das Rheingold überzeugte als sarkastische Slapstick-Komödie (siehe unsere Rezension). Auch die beiden folgenden Teile besitzen jeweils eigenen Charakter - Siegfried als witzig verspieltes Märchenstück und die Götterdämmerung als zynisch fatalistische Betrugs- und Mordgeschichte. Götterdämmerung: Thomas Lehmann (Gunther) und Clay Hilley (Siegfried) In den Details erschöpfen sich im Laufe der vier langen Abende allerdings Herheims Regiemittel mehr und mehr. Die Ideen laufen sich tot, weil sie kaum weiter entwickelt werden. Auf- und Abtritte aus dem Konzertflügel, ob zugeklappt als Walkürenfelsen, aufgeklappt als Siegfrieds Scheiterhaufen, feuerrot beleuchtet als Schmiedeofen für sein Schwert und so weiter. Unter dem inflationären Gebrauch der Mittel droht das Interesse daran zu ermüden. Sind die weißen Tücher auch probater Untergrund für projizierte Kulissen wie Berge, Wolken und Feuer, so wirken sie zu oft auch als Verlegenheitslösungen oder Lückenfüller. Zudem ist ihr Einsatz nicht unproblematisch, wenn sie plötzlich ein unfreiwilliges Eigenleben entfalten und dahin wehen, wo sie erkennbar nicht hingehören. Ostentativ vermeidet die Regie jeden Bühnennaturalismus und stellt die Handlung bewusst als Spiel dar. Dies ergibt durchaus gelungene Szenen wie im 1. Akt Götterdämmerung der Monolog Hagens ("Hier sitz ich zur Wacht") von einem Platz in der ersten Publikumsreihe aus. Von dort führt er über den Orchestergraben hinweg auch den Dialog mit Alberich ("Schläfst du mein Sohn"). Die neben ihm sitzende Dame im grünen Kleid stellt sich bald als Waltraute heraus, die auf seinen Wink hin die Bühne betritt, um Brünnhilde aufzufordern, den Rheintöchtern den Ring zurückzugeben. Natürlich verweigert die Walküre dies, was exakt in Hagens Berechnung passt, selbst an den Ring zu gelangen. Vollends verknüpft sind Publikum und Bühnengeschehen im 2. Akt Götterdämmerung, der als Kulisse das Foyer der Deutschen Oper zeigt. Wo noch wenige Minuten zuvor das Publikum flanierte und ein Glas Sekt genoss, sieht es sich jetzt auf der Bühne im identischen Raum gleichsam gespiegelt. Am Beginn des Rheingold waren noch die Kofferträger in ihrer abgetragenen Kleidung staunend auf die Bühne getreten, nun haben sie sich in das aktuelle Opernpublikum im feinen Dress verwandelt. Gaben diese Figuren, dargestellt von über 30 Statistinnen und Statisten, am Anfang auch Rätsel auf, welcher Art von Umherziehenden sie sein könnten, so sind sie nun als Etablierte im gegenwärtigen Kulturbetrieb angekommen. Und im Frack, nicht mehr im Bärenfell wie in Siegfried, bricht der mythische Held mit Gunther zu Brünnhilde auf. Auch er hat sich in einen Zeitgenossen verwandelt. Die Götterdämmerung wird in unsere Gegenwart verlegt und die Götter treten ab. Üppig altgermanisch kostümiert haben sie von der Hinterbühne aus unbewegt dem Untergang ihrer Welt zugesehen. Zu Brünnhildes Schlussgesang steigen sie vom Podest herunter, treten an Siegfrieds Scheiterhaufen heran, legen ihre Kostüme ab und machen sich geräuschlos davon. Siegfried: Clay Hilley (Siegfried) Überhaupt eine Menge Statisten beansprucht diese Ring-Inszenierung: nicht allein Götter, Kofferträger oder Opernbesucher, sondern auch - wie soll man sie nennen? - Liebe-Darsteller. Immer wenn es erotisch wird, tauchen sie auf. Schon im Rheingold symbolisierten sie den Urzustand ungezwungener Liebe, im Siegfried werden sie zu einer Gruppe von Lichtanbetern, die sich hingebungsvoll ineinander verschränken oder zu einem esoterisch anmutenden Wohlfühl-Kreis versammeln. Die erotische Strahlkraft derartiger Tändelei erlischt allerdings schnell, weil Leute in Unterwäsche auf Dauer das Aufkommen erwünschter Gefühle eher töten als wecken. Die Berliner hatten schnell einen Spitznamen einen Spitznamen für diese Produktion parat: der Feinripp-Ring. Aber jenseits solcher Überfrachtung und mancher Peinlichkeiten gelingen Herheim dann, wenn er allein intensiver Personenführung vertraut, durchaus auch suggestive Szenen. In Siegfried baut er die Wissenswette zu einem spannenden Wortduell zwischen Mime und dem Wanderer aus oder in der Götterdämmerung teilt er bei Brünnhildes Überwältigung durch Gunther in Gestalt und Stimme Siegfrieds den Text auf beide Sänger auf. Wie bereits im Rheingold so leben auch an den weiteren Abenden viele Szenen von ironischer Distanzierung, von Witz und Humor; allerdings mal mehr, mal weniger überzeugend wie die Science-Fiction-Parodie bei Siegfrieds Drachenkampf oder (sehr dick aufgetragen) beim Waldweben die Erscheinung von Siegfrieds Eltern in Gestalt zweier Schutzengel. Götterdämmerung: Nina Stemme (Brünnhilde) Komik beziehen die Szenen eher durch das fulminante Spieltalent vieler Darsteller. Thomas Blondelles Loge im Rheingold ist glänzend, Clay Hilleys Siegfried nicht minder. Tölpelhaft, tapsig, omnipotent, aber auch ungemein verletzlich: alle Facetten der Figur stellte er überzeugend dar. Aber nicht nur als schauspielerisches Naturtalent erwies sich der junge amerikanische Heldentenor. Mit fantastisch großer Stimme und makellos artikuliert stemmte er an beiden Abenden mühelos seine Rolle. Diese Stimme kann strahlen, kann sich lyrisch verströmen, durchdringt den Raum ohne Schärfe und bleibt dabei immer wohlklingend - ein neuer, unverbrauchter Wagner-Tenor der Extraklasse. Das ergab mit Nina Stemme als Brünnhilde ein großartiges Paar. Wie sehr diese Sängerin mit der Partie gleichsam verschmolzen ist, wurde hier zum Ereignis. Konditionsstark blieb sie an allen drei Abenden stimmlich hochdramatisch bis zum Schluss und darstellerisch ungemein bühnenpräsent. Mehr noch als die Regie konnte dieser Ring durch seine Sängerbesetzung überzeugen. Da gibt es nicht wenige Entdeckungen wie den aus Taiwan stammenden Ya-Chung Huang, der seine facettenreiche Stimme als Mime auch darstellerisch exzellent ergänzte, ebenso wie der Amerikaner Thomas Lehman in der Rolle als verklemmt unsicherer Gunther und Aile Asszonyi als beschwipst unbedarfte Gutrune, die am Ende zur tragischen Figur wird. Jordan Shanahan (gebürtig auf Hawaii) war im Kostüm des Horrorclows Joker ein optisch unheimlicher Alberich und im Duett mit Albert Pesendorfer als zynisch kalkulierendem Hagen waren beide die nachtschwarzen Unheilsbringer. Ian Paterson gab angemessen einen rauen, ermüdeten Wanderer und Judith Kutasi bewährte sich nach dem Rheingold als Erda mit ihrer wohlklingenden Altstimme. Okka von der Damerau war eine überragende Waltraute, stimmlich hochdifferenziert und darstellerisch mit großer Ausstrahlung. Auch die Besetzungen der Nornen und der Rheintöchter waren erstklassig. Siegfried: Ya-Chung Huang (Mime) Donald Runnicles' Verdienst war ein sängerfreundliches Dirigat. Nie überdeckte das Orchester die Stimmen. Große Spannung allerdings mochte sich nicht durchgängig entfalten. An vielen Stellen war die musikalische Struktur nicht genug transparent, der Fluss mitunter spannungslos. So mancher Wackler im Blech fiel unangenehm auf. Stark war der Chor in Götterdämmerung. Magie und Zauber scheinen bei diesem Ring nicht intendiert zu sein, vielmehr Skepsis und Distanz. Wenn laut Regieanweisung am Schluss "die Männer und Frauen in höchster Ergriffenheit dem wachsenden Feuerschein am Himmel zusehen", dann findet in dieser Inszenierung das Gegenteil statt: Bei kaltem Arbeitslicht kommt eine Reinigungsfrau im Kittel auf die nackte Bühne und fegt ungerührt die Reste der Aufführung zusammen. FAZIT Die Regie hinterlässt zwiespältige Eindrücke. Gelungene Szenen stehen neben verstörenden, erheiternde neben ermüdenden. Vieles bleibt offen, was dieser Ring uns mitteilen will. Anders als Dirigent und Orchester können die Sängerinnen und Sänger in vielen Rollen nicht nur überzeugen, sondern begeistern. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Solist*innen
Das Rheingold
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