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Dr. Pogners Konservatorium kann den Meistergesang nicht vor Wagners Schatten schützen
Von Stefan Schmöe / Fotos: © Thomas Aurin Dies ist eine jener Inszenierungen, bei denen sich auch für den Kenner des Werkes der Blick in die Inhaltsangabe im Programmheft lohnt. Wir befinden uns nämlich, was auf der Bühne nicht explizit erzählt wird, in "Dr. Pogners Konservatorium", einer privaten Musikhochschule. Der Namensgeber, Direktor und Mäzen des Hauses möchte sich aus dem operativen Geschäft zurückziehen und sucht einen Nachfolger. Der soll gleichzeitig Tochter Eva ehelichen, wohl damit der Patriarch auch weiterhin zumindest indirekt Einfluss auf die Geschicke des Instituts nehmen kann. Das Auswahlverfahren für potenzielle Bewerber ist ungewöhnlich - man muss einen Gesangswettbewerb mit etwas unklaren Regeln gewinnen. Handwerker braucht es in diesem Ambiente nicht, die Meistersinger sind die Professoren und haben sogar eine weibliche Kollegin (die gemäß dem Libretto eigentlich Evas Amme Magdalene wäre). Schusterlehrling David soll, auch das kann man nachlesen, deren Meisterschüler sein, ist aber viel eher ein Geist, ein glatzköpfiger Verwandter von Shakespeares Puck aus dem Sommernachtstraum. Direktorentochter Eva hat sich in Quereinsteiger Stolzing verliebt, Gesangsdozentin Magdalene will Unheil abwenden. Im Hintergrund bereitet Meisterschüler David das nächste Meeting vor.Schuhe sind folglich nicht die Sache von Hans Sachs - der bunte Vogel, Dozent für Schlagzeug und Musiktherapie mit Vorliebe für Yoga, hat erst einmal gar keine an. Dafür pflegt er eine erotische Affäre mit der jungen Eva (die Wagner ihm nicht gönnte), die sich inzwischen aber in den feschen Stolzing verliebt hat. Das hindert sie nicht an der schnellen Nummer mit Sachs, aus strategischen Gründen, was allerdings aus dem Ruder läuft und in einer Vergewaltigung endet. Und nur ein paar Minuten später zieht eben dieser Sachs dem Rivalen Stolzing eins mit der Schnapsflasche über, schon die zweite Straftat des Volkstribunen, der sich zu seiner Schlussansprache die Hemdärmel hochkrempelt wie ein Boris Johnson oder Matteo Salvini und auf Händen getragen wird, nachdem er irgendwas von der Bedrohung des Deutschtums gefaselt hat. Stolzing hat sich inzwischen brav eine Krawatte umgebunden, verlässt diese ziemlich unheimliche deutsche Musikwelt aber mit seiner Eva durch den Zuschauerraum, anstatt die Konservatoriumsleitung anzutreten. Was aus Beckmesser, einem netten Vorzeigefunktionär aus Ost-Berlin, wird, wissen wir nicht: Seine Spur verliert sich. So ähnlich steht's auch bei Wagner. Nächtliche Rivalen: Beckmesser (am Flügel) und Sachs Um mal eine Plattitüde 'rauszuhauen: Das Regietrio Jossi Wieler, Anna Viebrock und Sergio Morabito verfremdet die Oper zur Kenntlichkeit. Anna Viebrock hat einen Bühnenraum gebaut, der auf der einen Seite klinisch-nüchterne Hochschultristesse der Gegenwart zeigt (in Top-Zustand, immerhin), auf der anderen die Holzvertäfelung der Münchner Musikhochschule, die in einem ehemaligen Nazi-Repräsentationsbau untergebracht ist (auch hier hilft das Programmheft). So wird die Rezeptionsgeschichte einbezogen, und ganz nebenbei und ohne direkten Bezug taucht ganz kurz, irgendwie wartet man schon darauf, eine Nazi-Uniform auf. Damit ist die Inszenierung historisch-kritisch-opernpädagogisch abgesichert, die Personenregie ist sehr ausgefeilt und gut unterhaltend, und das Programmheft, das Morabito gemeinsam mit Hausdramaturg Sebastian Hanusa gestaltet hat, erhellend und teilweise sogar leidlich amüsant (so gibt es verschiedene Gutachten zu Stolzings "Aufnahmeprüfung" in das Konservatorium). Hier drückt kein realer Schuh, hier soll eine Fußreflexzonenmassage auf der Yogamatte die Beziehungskrise zwischen Sachs und Eva heilenWirklich glücklich wird man freilich nicht; zu sehr kämpft die Regie - vergeblich - darum, dem langen schwarzen Schatten Wagners zu entkommen und eine ironisch-selbstbewusste Gegenposition einzunehmen. Natürlich passt der Text oft nicht, worüber man leichter hinweghören könnte, wäre die Inszenierung nicht oft detailversessen realistisch (etwa wenn Sachs die Kopfverletzung Stolzings sachgerecht verarztet). Sicher war es der Plan, die Geschichte im Grunde konventionell, aber mit einem zeitgemäßen und hinreichend distanzierenden "framing" zu erzählen (so fahren die Wände des Konservatoriums im zweiten Akt auseinander und deuten ganz klassisch Wagners Raumdisposition an). Nur denkt man als Betrachter ständig: warum erzählen sie es dann nicht gleich in einem historischen oder wenigstens abstrakten Raum? Warum der Umweg über die (natürlich völlig unglaubwürdige) Konservatoriums-Geschichte, die nicht wirklich interessant ist? Es hat in den letzten Jahren (Jahrzehnten) eine Reihe von gebrochenen Erzählvarianten gegeben, darunter die Bayreuther Lesart von Barrie Kosky, dem Chef der benachbarten Komischen Oper. Im Vergleich zu dessen Witz und Souveränität wirkt Wielers-Viebrocks-Morabitos Variante angestrengt und bemüht. Juroren bei außerplanmäßiger Aufnahmeprüfung: Sachs und die Meistersinger Zumal ihr die Musik in den Rücken fällt, zumindest an diesem Abend, an dem John Fiore am Pult des sehr guten Orchesters der Deutschen Oper steht (eigentlich dirigiert Markus Stenz die Produktion) und eine großformatige, durch und durch romantische Interpretation abliefert. Üppiger Mischklang, keine Scheu vor Pathos (etwa beim "Wach auf"-Chor), durchaus der Wille zur orchestralen Überwältigung - da ist nichts von kritischer Distanz zu hören, im Gegenteil. Das ist nicht immer sängerfreundlich und fördert ein Forcieren, beim klangprächtigen, nicht immer präzisen Chor (Einstudierung: Jeremy Bines) sowieso - der Schluss des zweiten Aufzugs gerät unangenehm lärmend. Aber Fiore hat große Momente, viel sommernachtsträumende Klangzauberei, und dann auch die ganz großen Gefühle (bei denen man denkt: Richard Strauss hat eigentlich alles hier abgekupfert). So das bewegende Quintett im dritten Aufzug mit der ganz wunderbaren Heidi Stober als großformatige, jugendlich-dramatisch leidende Eva und dem sehr nuanciert darauf reagierenden Klaus Florian Vogt als Stolzing, dessen Stimme an Substanz und Volumen gewonnen hat, gleichwohl trompetenhaft hell ist und die Aufschwünge im Preislied mit faszinierender Leuchtkraft gestaltet. Johan Reuter ist ein viriler, nicht altväterlicher Sachs, der im "Wahn"-Monolog eher mit den eigenen Gefühlen als mit dem Weltgeschehen beschäftigt ist. Ya-Chung Huang gibt einen auch stimmlich sehr agilen, schön phrasierenden David, Annika Schlicht eine solide, aber unauffällige Magdalene. Beeindruckend klingt ist der klangschöne, elegant artikulierende Beckmesser von Philipp Jekal, etwas unscharf der Pogner des (laut Ansage massiv hitzegeplagten) Albert Pesendorfer. Unbedingt erwähnenswert ist die hinreißend lakonische Art, mit der Virginie Gout-Zschäbitz an der Harfe die Beckmesser-Lieder begleitet.
Großes Hörtheater, das überwältigend ganz klassische Meistersinger erzählt. Die Inszenierung bemüht sich angestrengt um angemessene Distanz und hat manche kluge Idee, muss sich letztendlich aber einigermaßen hilflos Wagners Riesenwerk mit allen seinen Problemen geschlagen geben. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ko-Bühnenbild
Ko-Kostümbildnerin
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Hans Sachs
Veit Pogner
Kunz Vogelgesang
Konrad Nachtigall
Sixtus Beckmesser
Fritz Kothner
Balthasar Zorn
Ulrich Eißlinger
Augustin Moser
Hermann Ortel
Hans Schwarz
Hans Foltz
Walther von Stolzing
David
Eva, Pogners Tochter
Magdalena
Ein Nachtwächter (eingespielt)
Lehrbuben
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