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Diesem Tristan kann auch keine Isolde helfen
Von Stefan Schmöe / Fotos von Hans Jörg Michel
So einsam starb Tristan noch nie. Keine Isolde weit und breit, die ihn zu seinen letzten Tönen in die Arme schließen kann - das kurze Wiedersehen bleibt Vision eines Sterbenden wie überhaupt alles, was im dritten Aufzug von Tristan und Isolde geschieht. Oben auf einem hochgefahrenen Podest sieht man Kurwenal erst am Krankenbett sitzen, dann um den Verstorbenen trauern, später eine feierliche Trauerrede halten; parallel dazu erlebt man unten Tristans Fieberphantasien. Regisseur Dorian Dreher entkoppelt die Zeitebenen und lässt eine Realhandlung schemenhaft als Kommentar ablaufen (auch wird der Tod des Eltern, die Übergabe des Säuglings an Ziehvater Marke angedeutet), während die innere Handlung in Tristans Monologen im Zentrum steht. Das funktioniert überraschend gut, denn es unterstreicht den Gegensatz zwischen innerer und äußerer Sphäre. Die verlassenen Bar, an der Tristan in Gedanken seine Biographie durchlebt, wird zudem zur eingängigen und visuell überzeugenden Chiffre für Einsamkeit. Daniel Frank in der Titelrolle bewältigt mit hellem, kraftvollem und höhensicherem Tenor seine Partie beeindruckend, wobei lyrische Phrasen nicht seine Sache sind und das Timbre recht eindimensional bleibt. Den von Beginn an verlorenen, mit sich und seiner eigenen Innenwelt beschäftigten Außenseiter gibt er aber durchweg überzeugend. Tristan und Isolde
Geprägt ist die Regie von den Randbedingungen: Während der Pandemie hatte die Rheinoper bei Eberhard Kloke eine Neufassung der Oper für reduzierte Orchesterbesetzung in Auftrag gegeben, die unter Wahrung von Abstandsregeln im Orchestergraben spielbar ist. Kloke hat aber nicht einfach eine ausgedünnte Version erstellt, sondern eine Bearbeitung von ganz eigenem künstlerischen Wert. Tristan ist von Beginn an das Englischhorn, das im dritten Aufzug die "alte Weise" spielt und damit von Wagner eine dramaturgisch zentrale Rolle zugeschrieben bekommt, an die Seite gestellt, Isolde ein Streichquartett. Diese Musiker spielen sichtbar auf der Bühne, und damit war schon während der Konzeption dieser Fassung (in die der Regisseur sowie Dirigent Axel Kober eingebunden waren) festgelegt, dass auch die szenische Interpretation mit diesen Brechungen umgehen muss und keinen rein narrativen Ansatz verfolgen kann. So gibt es in Drehers Inszenierung immer wieder Momente, in der vom szenischen Spiel auf die Musik überblendet wird, und das kommt der Intention des Komponisten durchaus nahe: Das Entscheidende, nicht mit Worten Auszudrückende findet in der Musik statt. Und wenn Tristan und Isolde quasi konzertant im zweiten Aufzug die Nacht der Liebe besingen, wirkt das nicht hilflos, sondern angenehm unaufgeregt. Oben sieht man derweil Kurwenal und Melot und ein Liebespaar eingefroren stehen. Auch hier gibt es verschiedene, nebeneinander herlaufende Zeitschichten. König Marke
Dieser Tristan ist ein von Geburt an Verlorener, ein Todessüchtiger, der seine Isolde eher als Katalysator für das Geschehen braucht denn als Partnerin. Da bedarf es keiner realen Verletzung (Melot mag ein unsympathischer Schnösel sein, was Dmitri Vargin gut und mit leichter, beweglicher Stimme zum Ausdruck bringt - aber eine Waffe nimmt er nicht in die Hand). Tristan stirbt, weil er es will, und er stirbt an sich und seiner Todessehnsucht. Isolde geht in ihrer Vorstellung von Liebe auf, ihr Tod ist eine Apotheose. Dazu kommt ein Teil des Orchesters zum Liebestod auf die leere Bühne, ein "Klangband" für Isolde, wie Kloke es bezeichnet. Auch hier steht die Musik auch visuell im Zentrum. Alexandra Petersamer, die hier ihr Rollendebut gibt, ist keine ganz junge Isolde, auch stimmlich nicht (was für diese Fassung doch spannend wäre). Zu Beginn bleibt ihr gedeckter Sopran recht pauschal im Ausdruck und mitunter angestrengt in der Höhe, aber sie singt sich frei und gestaltet zunehmend differenzierter und natürlicher, bliebt weich im Klang und ohne Schärfe, bei manchen Tönen noch etwas wacklig, da fehlt es wohl noch an Erfahrung mit der Partie, aber insgesamt gelingt ihr der Abend sehr überzeugend. Tristan und Englischhorn an der Bar
In der reduzierten Orchesterbesetzung - die aber keineswegs kleinformatig klingt - gestaltet Dirigent Axel Kober ganz großartig einen "sprechenden" Tristan, unterstreicht die Phrasierungen der Sänger und erzeugt große Spannung, die mehr aus dem Gesang erwächst als aus einer symphonischen Begleitung. Fabelhaft gelingt der Auftritt König Markes am Ende des zweiten Aufzugs. Der ungemein klangschöne, sehr genau und nuanciert deklamierende Hans-Peter König ist eine Wucht; ein sehr menschlicher, gutherziger und nahbarer, gleichzeitig imposanter und tief getroffener Marke. Und Kober und die insgesamt guten Duisburger Philharmoniker tragen ihn, die Musik bleibt auch in dieser oft allzu statischen Szene im Fluss, kommentiert den Text mit eben dieser unbestimmten Liebes- und Todessehnsucht, die wohl auch Marke in seinem Innersten erahnt. Das ist ganz großes Musikdrama. Und Klokes Bearbeitung erhält nicht nur hier eine Legitimation, die weit über eine "Pandemie-Notlösung" hinaus geht. Isoldes Liebestod mit Klangband
Zum ersten Mal werden jetzt alle drei Aufzüge an einem Abend gespielt - als die Hygieneregeln eine Pause untersagten, spielte man jeweils einen Aufzug an einem Abend (siehe unsere Rezension des ersten Aufzugs). Vor dem ersten und zweiten Aufzug lässt Kloke jeweils ein paar Takte vom Beginn des dritten Aufzugs spielen, was Sinn ergab, um jeden Akt als Einzelwerk zu spielen und den Bezug zum Tod Tristans hervorzuheben. Aber auch jetzt beim Tristan an einem Abend behält die Idee ihre Berechtigung, verschiebt sie doch die Perspektive hin zu Tristan und dessen nachtdunkler Weltsicht. Die "alte Weise" wird zum Klangsymbol für das Unbewusste, die Vorerfahrungen. Kirsten Kadereit-Weschta am Englischhorn spielt bravourös, wird neben Tristan und Isolde zur dritten Hauptfigur, oft auf der Bühne präsent. Sehr differenziert klingt das Streichquartett (Tonio Schnabel, Johannes Heidt, Mathias Feger und Fulbert Slenczka). Richard Sveda singt einen pointiert klaren, sehr präsenten Kurwenal, Katarzyna Kuncio eine mitunter flackernde, insgesamt recht ordentliche Brangäne. Im halb besetzten Duisburger Theater (wie schade; einen Tag später hätte man alle Plätze verkaufen dürfen) feierte das Publikum die erste große Wagner-Produktion nach den Lockdowns mit Ovationen.
Der Rheinoper gelingt eine sehr eigene, fesselnde und bewegende Version von Tristan und Isolde, die dem Werk näher kommt als die meisten anderen "originalen" Produktionen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Tristan
Isolde
Brangäne
Kurwenal
Melot
Ein junger Seemann
Ein Hirt
Ein Steuermann
Stimme im Entrée
Englischhorn
Streichquartett auf der Bühne
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