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"... damit die Scheidung der schönste Tag in Ihrem Leben wird"
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Karl und Monika Forster
Für solche Konstellationen muss man das Ruhrgebiet lieben: Am Samstag in der Aalto-Oper in Essen Richard Strauss, Arabella, große Gefühle im zuckersüßen Spätromantik-Sound: "Aber der Richtige, wenn's einen gibt für mich auf der Welt, der wird einmal dasteh'n, und keine Fragen werden mehr sein." Tags darauf im Musiktheater im Revier im benachbarten Gelsenkirchen dann Paul Hindemith, Neues vom Tage, fast zeitgleich entstanden, und da ist es gleich bei den ersten gesungenen Worten vorbei mit der Einigkeit der Jungvermählten: "Ekel!" "Scheusal" "Kanaille". Jetzt geht es darum, wie man den Ehegatten respektive -gattin nach der Hochzeit wieder los wird. Kontrastprogramm also, das die Bandbreite der Oper um 1930 schön einfängt. (Und natürlich die Bandbreite der Ehe. Frisch verheiratete und frisch geschiedene Paare haben übrigens kostenlosen Eintritt zu dieser Produktion.)
Ausgerechnet beim handfesten Ehekrach erhalten Eduard und Laura unerwartet Besuch vom Ehepaar M.
Ein Scheidungsgrund muss her, und damit bewegen sich Hindemith und Librettist Marcellus Schiffer keineswegs nur auf dem Niveau des Boulevardtheaters, sondern mitten in der Sozialpolitik der Weimarer Republik, denn tatsächlich war eine Ehescheidung nur mit handfesten Argumenten durchsetzbar - eine Gesetzesvorlage, die "Zerrüttung der Beziehung" als ausreichenden Grund akzeptierte, wurde 1929 ins Parlament eingebracht, scheiterte dann aber. In der Oper ist es die büro für familien angelegenheiten GmbH, die geschäftsmäßig außereheliche Rendezvous inszeniert, damit es mit der Scheidung klappt. Nur blöd, dass der schöne Herr Herrmann, einzige Produktivkraft des Unternehmens inmitten eines Heeres von (ihn vergötternden) Sekretärinnen, sich offenbar regelmäßig wirklich in seine Kundinnen verliebt, so auch im Falle des Ehepaares M., das trotzdem wunschgemäß getrennt wird. Aber auch der schönen Laura kann er nicht widerstehen, mit der er sich im Museum vor der 3000 Jahre alten Venus-Statue verabredet, die vom - Scheidungsabsichten hin oder her - unerwartet eifersüchtigen Gatten Eduard prompt zerschmettert wird. Laura und Eduard werden ein Fall für die Regenbogenpresse. Zur Scheidung kommt es nicht, denn die Gesellschaft braucht die beiden für das, was der Titel der Oper verspricht: Neues vom Tage.
Im Kunstmuseum: Der schöne Herr Herrmann probt auf der Bank (mit schlafendem Museumswächter) den Ehebruch; Eduard schleicht sich eifersüchtig heran. Die angeblich 3000 Jahre alte Venus-Statue wacht über allem.
Das Regieteam (Inszenierung: Sonja Trebes, Bühne: Dirk Becker, Kostüme: Jula Reindell, Video: Moritz Hils) erkennt das tagesaktuelle Potential des Stoffes - social media ermöglicht natürlich eine ungleich schnellere Verbreitung von Klatsch und Tratsch und schafft im Nu eine große Öffentlichkeit, und die Nachricht von der nicht verschlossenen Badezimmertüre in Lauras Hotelzimmer verbreitet sich im Chat rasend schnell und führt zur Spontanorgie. Aber die Regie bewegt sich virtuos zwischen den verschiedenen Zeiten, greift stilistisch die Revue der 1920er-Jahre ebenso auf, wie sie auf den Jackie-Kennedy-Onassis-Hype der 1960er anspielt, ohne sich festlegen zu wollen. Das Phänomen "Öffentlichkeit" ist eben nicht an eine Ära gebunden, sondern wechselt nur die Formate. Die Lust am (erotischen) Skandal lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen, und so geht es bei der Orgie in Lauras Badezimmer geradezu bacchantisch zu, mit angehängten Geschlechtsteilen aller Formen und Größen. Das verspielte Grundkonzept, das mit wenigen, dafür prägnanten Requisiten genug Realität und viel Phantasie zulässt und die offensichtlichen Gegenwartsbezüge präsent hält, geht gut auf und sorgt für rund zwei Stunden gute Unterhaltung mit dem unguten Gefühl, dass das alles gar nicht so weit hergeholt ist.
Rendezvous in der badewanne: Der schöne Herr Herrmann kümmert sich über die Maßen gut um Kundin Laura. Die Öffentlichkeit schaut zu.
Eleonore Maguirre verkörpert nicht nur stimmlich sehr attraktiv die Laura, die ihres Gatten Eduard (den Piotr Prochera mit charmantem Unschuldsblick überzeugend singt und spielt) überdrüssig ist. Herrlich überdrehte Charakterstudien für das befreundete Ehepaar M. liefern Almuth Herbst als schrille, in die Jahre gekommene Diva und Tobias Glagau als schüchtern-biederer Gatte ab. Martin Homrich gibt mit souveränem Charaktertenor den schönen Herrn Herrmann komödiantisch als selbstverliebten Geck, der eher seiner Präsenz als der vermeintlichen Schönheit wegen das Geschehen beherrscht. Und das Ensemble des Musiktheater im Revier, der auch stimmlich agile Chor und Extrachor sowie die Statistinnen und Statisten zeigen ungeheure Spielfreude mit viel Tempo. Die Neue Philharmonie Westfalen unter der Leitung von Giuliano Betta könnte Hindemiths hypernervöse Musik, in der die Hektik der 1920er-Jahre mitklingt, sicher noch rhythmisch prägnanter spielen, kann aber insgesamt überzeugen.
Kein happy end trotz wiedererwchter Zuneigung: Die Gesellschaft erwartet von Laura und Eduard "Neues vom Tage"
Ein wenig verflacht die Aufführung gegen Ende, wenn die Regie die Spirale des Irrsinns immer weiter treibt. Die sechs Manager, die Eduard mit lukrativen Verträgen zwecks Vermarktung der inzwischen prominent gewordenen Ehekrise aus der Finanzmisere (so eine Venusstatue hat ihren Preis) erretten, sind irgendwie im queeren Bereich verortet, was nicht wirklich überzeugt, und das Finale in der Fernsehshow ist ein wenig vorhersehbar geworden. Sei's drum - der Spannungsbogen trägt das noch. Und die szenisch verunglückte Essener Arabella schlägt man mit so viel Spielwitz ohnehin um Längen.
Eine sehens- wie hörenswerte Produktion: In dieser amüsanten Form gehört Neues vom Tage unbedingt ins Repertoire.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Choreographie
Bühne
Kostüme
Video
Chor
Licht
Dramaturgie
Solisten
Laura
Eduard, ihr Ehemann
Der schöne Herr Hermann
Herr M.
Frau M.
Hoteldirektor, Fremdenführer, Standesbeamter
Zimmermädchen
Oberkellner
Sechs Manager
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