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Ein Kriminalfall - und einer, der dann doch keiner ist
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Jörg Landsberg (© Theater Hagen)
Blaubart ist ein verurteilter Mörder. Hält das symbolistisch geprägte Libretto von Béla Balázs eine juristisch verwertbare Schuld in der Schwebe, so lässt die Inszenierung des Hagener Intendanten Francis Hüsers wenig Zweifel: Der Mann befindet sich in einer Gefängniszelle. Das ist wohl auch gut so, denn die Körpersprache deutet immer wieder die unmittelbare physische Gewalt an. Judith ist eine Psychologin, vielleicht eine gerichtlich bestellte Gutachterin, die im geschäftsmäßigen Business-Look (Ausstattung: Alfred Peter) den Inhaftierten befragt. Wenn es darum geht, die mysteriösen sieben Türen in Herzog Blaubarts Burg zu öffnen, dann lässt sie ihn auf einem Zeichenblock Skizzen anfertigen. Das Publikum sieht diese nicht, aber es sieht die Erschütterung der jungen Frau, und es hört natürlich die plastische Musik. Es wird schnell ein Ringen um Deutung - und um Macht. Hüsers lässt das Stück beginnen wie ein düsteres Krimi-Kammerspiel, Assoziationen an Spielfilme sind sicher erwünscht. Der gesprochene Prolog fällt konsequenterweise weg. Herzog Blaubarts Burg
Das zunächst ziemlich realistische Setting, das schnell sehr statisch zu werden droht, bricht bald auf. Die Wände der Zelle öffnen sich, Judith und Blaubart stehen bald im leeren Raum. Man kann das sicher so deuten, dass sich hier Gedankenräume auftun, oder auch Träume - bei der sechsten Türe, dem See aus Tränen, werden die ziemlich konkret erotisch, wie man in den eingeblendeten großformatigen Videoprojektionen (Bibi Abel, Hans-Joachim Köster) sieht. Ziemlich unverbindlich bleibt dagegen die fünfte Türe, Blaubarts Reich: Videosequenzen aus der Rubrik "Wunder der Erde" zwischen Stonehenge und badenden Elefanten, aber was hier gezeigt wird, lässt sich schwerlich mit der von Blaubart beeinflussbaren Sphäre verbinden. Das sind große Bilder, derweil Blaubart kurz davorsteht, mit einem Stuhl auf Judith einzuschlagen - der Psychopath kann die Aggressionen nur schwer zügeln. Keine Bilder gibt es hinter der letzten Tür, hinter der Blaubarts frühere Frauen warten. Der Mann gibt sein Geheimnis nicht preis, und so bewahrt sich die Regie vor plakativer Eindeutigkeit. Herzog Blaubarts Burg
Das Konzept geht ziemlich gut auf, und das liegt in großem Maße an der sehr genauen Personenregie und im exzellenten Spiel und Gesang der beiden Darsteller. Dong-Won Seo ist ein animalischer und hypernervöser Blaubart, die Hände immer in Unruhe, aggressiv und machtbewusst. Stimmlich imposant, singt er keinen "schönen" Herzog, sondern einen höchst angespannten, expressiven Gewalttäter. Dorottya Láng steht ihm mit lyrischem, gleichzeitig kraftvollem Mezzosopran entgegen, wird aber dennoch keine völlig gleichwertige Gegenspielerin: Hüsers' Regie lässt sie aus dem Dunkel kommen und ins Dunkel abgehen. Das Zentrum bleibt Blaubart, und Seo füllt das famos aus. Im Vergleich zu der verspielt zwischen Psychologisierung und Märchenwelt schwankenden Interpretation von Demis Volpi an der Rheinoper und der angestrengt verallgemeinernden Fassung von Paul-Georg Dittrich in Essen (an Blaubärten ist in NRW derzeit kein Mangel, die Wuppertaler Bühnen werden demnächst als viertes Haus der Region in dieser Spielzeit ihre Interpretation vorstellen) ist Hüsers' Regie die konkreteste und präziseste. Getragen wird sie auch durch die radikale, die Schärfen und Dissonanzen hervorhebende musikalische Ausdeutung von GMD Joseph Trafton am Pult des sehr guten Hagener Philharmonischen Orchesters. Der wunderbare Mandarin
In Düsseldorf (als Konsequenz der Corona-Auflagen) und Essen (als bewusste Entscheidung, das Werk für sich wirken zu lassen) ist Herzog Blaubarts Burg trotz der knappen Spieldauer von etwa einer Stunde allein an einem Abend aufgeführt worden; in Hagen folgt das Ballett Der wunderbare Mandarin, das bei der Kölner Uraufführung 1926 einen handfesten Theaterskandal auslöste - auch damals in Kombination mit der Blaubart-Oper, die bereits 1918 in Budapest (und 1922 erstmals in Deutschland) auf die Bühne kam. Ein Ballett im Milieu der Bordelle - dort wird der titelgebende Mandarin überfallen und getötet, kann aber erst sterben, als das zur Prostitution gezwungene Mädchen ihn in die Arme nimmt - verstieß ebenso gegen die Theaterkonventionen wie die "modern" aufgeladene Musik, die in ihrem kompromisslosen und wilden Gestus mit Strawinskys Sacre du Printemps wetteifert. Auch hier spielt das Hagener Orchester (und singt der für ein paar kurze Passagen erforderliche Chor) unter der Leitung Traftons sehr eindrucksvoll und kostet alle Schärfen und Dissonanzen aus, sodass die Musik wie eine Fortführung und Zuspitzung der Blaubart-Partitur erscheint. Der wunderbare Mandarin
Szenisch geht Kevin O'Day recht frei mit der Vorlage um und macht aus dem vom Librettisten Menyhért Lengyel vorgesehenen Personal (Mandarin, Mädchen, zwei Freier, drei "Strolche") ganz zeitgemäß (die Gendersternchen eingeschlossen) drei Sexarbeiter*innen, vier Kund*innen und vier Schlepper*innnen, die ein einem Etablissement m. (was für "Mandarin" steht, wie man dem Programmheft entnehmen kann) aufeinandertreffen. Dank der Drehbühne wechselt die Ansicht oft zwischen innen und außen (Ausstattung: Thomas Mika). O'Day hat eine rasante Choreographie geschaffen, mit ausladenden Armbewegungen, immer wieder rollen die Tänzer*innen über den Boden, Soli und Gruppen wechseln flott. Im Versuch, das Handlungsballett zu abstrahieren und sich von der konkreten Geschichte abzuwenden hin zu einer allgemeineren Betrachtung des Phänomens "käuflicher Sex", geht allerdings diese Geschichte weitgehend verloren, und sollte O'Day irgendeine sozialkritische Dimension im Sinn gehabt haben, so ist diese zur Unkenntlichkeit verwässert. Vielmehr sieht das, was wohl Gewalt sein soll, nach einer ziemlich wilden Kissenschlacht unter jungen Leuten aus. Alles hier ist sehr cool, selbst der am Ende hoch oben an der Wand aufgespießte Mensch, aber es bleibt unterhaltsam-harmlos, durchaus mitreißend in seinem Schwung, aber eben auch unverbindlich - Musik wie Libretto scheinen austauschbar. Da wird der wunderbare Mandarin ein wenig unter Wert verhandelt.
Musikalisch ein ungemein spannender und hörenswerter Doppelabend mit einem szenisch präzisen und spannenden Blaubart und einem gefälligen, aber ungefährlichen Mandarin. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamHerzog Blaubarts Burg
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Video
Chor
Kinderchor
Dramaturgie
Solisten
Herzog Blaubart
Judith
ProduktionsteamDer wunderbare Mandarin
Musikalische Leitung
Konzept und Inszenierung
Choreographie
Bühne und Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Sex-Arbeiter*innen
Kund*innen
Schlepper*innen
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