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Was von Händel
übrigblieb
Die Oper Wuppertal hat es im Moment wirklich sehr hart getroffen. Nachdem in der
letzten Spielzeit nahezu das komplette Programm dem Corona-Lockdown zum Opfer
gefallen ist, hat die im Juli über die Ufer getretene Wupper so große Schäden am
Opernhaus verursacht, dass ein Spielbetrieb dort derzeit nicht möglich ist. Wann die
Spielstätte wieder nutzbar sein wird und in welchem Umfang, steht noch
in den Sternen. Opernintendant Berthold Schneider hat allerdings seinen Traum
von der Realisierung des Tannhäuser in dieser Spielzeit noch nicht
aufgegeben. Für jetzt mussten erst einmal neue Spielstätten gesucht werden, was
Schneider, der ja bereits in seiner Zeit als Künstlerischer Leiter der "staatsbankberlin",
einem interdisziplinären Aufführungsort am Berliner Gendarmenmarkt, großen
Ideenreichtum bewiesen hat, auch gelungen ist. So hat man die
Eröffnungspremiere, Händels Giulio Cesare in Egitto in den Malersaal der
Werkstätten der Wuppertaler Bühnen verlegt. Da das Regiekonzept von Immo Karaman
und Fabian Posca dort allerdings nicht realisierbar gewesen wäre, hat man sich
entschieden die Produktion als "Konzertinstallation" unter dem Titel Julius
Caesar zu spielen. Von Händels im Original gut dreieinhalb Stunden dauernder
Oper bleibt dabei bei einer Kürzung auf knapp zwei Stunden leider nicht allzu
viel übrig.
Giulio Cesare (Yosemeh Adjei, rechts oben mit
Curio (Yisae Choi)) verkündet Cornelia (Joslyn Rechter) und ihrem Sohn Sesto
(Iris Marie Sojer), mit seinem Gegner Pompeo Frieden schließen zu wollen.
Als problematischer erweisen sich allerdings die Eingriffe in die Handlung und
die Struktur der Geschichte. Erzählt wird in Händels Oper eigentlich die
berühmte Liebesgeschichte zwischen Gaius Julius Caesar (Giulio Cesare) und der
ägyptischen Königin Kleopatra (Cleopatra) am Ende des römischen Bürgerkriegs.
Cesare hat seinen Gegner Pompeo besiegt und ist diesem nach Ägypten gefolgt, wo
Pompeo mit seiner Gattin Cornelia und dem gemeinsamen Sohn Sesto Zuflucht
gesucht hat. Tolomeo, der dort mit seiner Schwester Cleopatra um die Königskrone
streitet, sucht in Cesare einen Verbündeten, indem er ihm das abgeschlagene
Haupt Pompeos als Geschenk überreicht. Doch diese Sympathiebekundung zeigt nicht
die erhoffte Wirkung, da Cesare sich eigentlich in Ägypten mit seinem
Widersacher versöhnen wollte. Außerdem erliegt Cesare den Reizen Cleopatras und
unterstützt sie beim Streit um die Macht. Daraufhin verübt Tolomeo einen
Anschlag auf den römischen Feldherrn, dem dieser mit einem Sprung ins Meer
entgeht, und lässt Cleopatra einsperren. Doch Cesare entkommt den Fluten des
Meeres und fügt Tolomeos Truppen eine entscheidende Niederlage zu. Tolomeo
selbst wird von Pompeos Sohn Sesto aus Rache für den Vatermord getötet.
Cornelia, Pompeos Witwe, und Cleopatra werden aus der Gefangenschaft befreit.
Cleopatra und Cesare schwören sich ewige Liebe. Dafür darf sie als
tributpflichtige Königin von Roms Gnaden den ägyptischen Thron besteigen.
Sesto (Iris Marie Sojer) verspricht seiner Mutter
Cornelia (Joslyn Rechter), den Tod seines Vaters zu rächen.
Bis zu Cesares Sprung in den Nil und Cleopatras Inhaftierung kann man dieser
Handlung in der Konzertinstallation auch noch folgen. Im Anschluss daran
entscheidet man sich in Wuppertal allerdings andere Wege zu gehen. Man hatte ja eigentlich
geglaubt, dass Peter Konwitschny mit seiner Umdeutung bei den
Händel-Festspielen in Halle den Gipfel der Werk-Untreue bestiegen habe,
indem er die Arien des Sesto, dem abgeschlagenen Haupt des Pompeo in die Kehle
legte und das berühmte Duett Cornelia-Sesto am Ende des ersten Aktes, "Son nata
a lagrimar", in dem Sesto vor den Augen der Mutter in den Kerker zur Hinrichtung
geführt und Cornelia in Tolomeos Harem gebracht wird, von Cornelia und Cleopatra
zum Ende der Oper singen lässt, wenn Cesare erneut in den Kampf zieht und die
beiden Frauen in Ägypten zurücklässt (siehe auch
unsere
Rezension). Doch die szenische Einrichtung von Karin Kotzbauer-Bode geht
noch einen Schritt weiter. Cesare taucht nach seinem Sprung ins Meer gar nicht
mehr auf, und man kann davon ausgehen, dass er in den Fluten wirklich ums Leben
gekommen ist. Sesto wird bei seinem Anschlag auf Tolomeo von diesem getötet, und
die Oper endet mit Cleopatras berühmter Arie "Piangerò la sorte mia", in der sie
auf ihre Hinrichtung wartet. Weinen möchte man da als Zuschauer eigentlich auch,
dass Händels Werk auch strukturell so entstellt werden kann.
Cleopatra (Ralitsa Ralinova) und Tolomeo (Etienne
Walch) kämpfen um die Macht in Ägypten.
Dabei wären die Voraussetzungen in der Ersatzspielstätte eigentlich optimal
gewesen, dem Publikum barocken Genuss und Werktreue zu bieten. Das Publikum sitzt in vier
Blöcken auf drehbaren Plastikstühlen um das Orchester, das in der Mitte des
Raums platziert ist, herum und ist ganz nah am Geschehen. Der Malersaal passt mit
den antik anmutenden Büsten im Regal auf der linken Seite und den großartigen
Bildern an den Rückwänden eigentlich perfekt zum Ambiente der Oper. Julica
Schwenkhagen hat als Raum mehrere Podeste für die Solistinnen und Solisten
gestaltet. Des Weiteren führen zwei Treppen zu weiteren Bühnenelementen empor,
um anzudeuten, wer jeweils das Sagen hat. Tolomeo beobachtet argwöhnisch während
des ersten Aktes in dem Gerüst unter der einen Treppe, wie Cesare sich als
Sieger im Bürgerkrieg auf der anderen Treppe feiern lässt. Die Kostüme von Sarah
Prinz sind modern gehalten, spiegeln dabei aber die Charaktere deutlich wider. Tolomeo wirkt mit seinen zahlreichen Goldketten und der glitzernden Kleidung
recht feminin, während Cleopatra auf sehr viel Sex-Appeal setzt. Cornelia tritt
als Politikerwitwe in dunklem, dezenten Abendkleid auf, während Cesare in seinem
weißen Anzugs-Jackett mit dem schwarzen Kragen ein strahlender Held ist. Damit
wäre alles vorhanden gewesen, um Händels Oper szenisch überzeugend umzusetzen.
Stattdessen entscheidet man sich, die drei Akte durch Lesungen aus
Elias Canettis Masse und Macht und Niccolò Machiavellis Der Fürst
zu unterbrechen. Die Texte hätten zwar sicherlich gut in ein Programmheft zur
Oper gepasst und mögen sich auch inhaltlich auf das Geschehen in der Oper in
irgendeiner Form beziehen. Während der Aufführung stören sie allerdings den
musikalischen Ablauf und reißen das Publikum immer wieder aus der Geschichte
heraus. Da nützt es auch nichts, dass man für diese Texte namhafte
Künstler*innen wie Harald Krassnitzer, Gudrun Landgrebe, Philippine Pachl,
Jürgen Tonkel oder Sascha von Zambelly engagiert hat, deren Diktion man
sicherlich gerne zuhören mag, am richtigen Ort und zur richtigen Zeit, aber
nicht in einer Händel-Oper, wenn dadurch die eh schon gekürzte Musik noch weiter
beschnitten wird.
Vom Ensemble und dem Sinfonieorchester Wuppertal unter der Leitung von Clemens
Flick hätte man nämlich gerne mehr gehört. Ralitsa Ralinova füllt mit
strahlendem Sopran und funkelnden Höhen als Cleopatra den Raum. Auch optisch ist
sie eine Idealbesetzung für die verführerische ägyptische Königin. Glockenklar
klingt ihre Arie "V'adoro, pupille", wenn Cleopatra ihre Reize spielen lässt,
denen in Ralitsas Interpretation nicht nur Cesare erliegen dürfte. Auch sie
macht ihren Herrschaftsanspruch deutlich, wenn sie die Treppe emporsteigt und
auf dem erhöhten Podest majestätisch auf dem Stuhl Platz nimmt. Ein
weiterer musikalischer Glanzpunkt ist ihre Interpretation der berühmten Arie
"Piangerò la sorte mia", mit der in Wuppertal die Aufführung endet. Hier
präsentiert Ralinova die ägyptische Königin als gebrochene Frau, die keinerlei
Hoffnung mehr hat. Joslyn Rechter verleiht Pompeos Witwe Cornelia darstellerisch
und stimmlich mit dunklem Mezzo viel Würde. Bewegend gelingt ihr das große Duett
mit Iris Marie Sojer als Sesto, in dem Mutter und Sohn voneinander Abschied
nehmen. Wenn Tolomeo sie kurz vor Ende der Aufführung in ihrem Harem
degradiert, spielt sie diese Szene erschütternd glaubhaft. Sojer punktet in der
Hosenrolle des Sesto mit kraftvollen Höhen und beweglichen Koloraturen. Von
daher kann man es gar nicht fassen, dass er von Tolomeo niedergestreckt wird.
Aufhorchen lässt Etienne Walch aus dem Opernstudio NRW als Tolomeo, der die
unsympathische Figur mit beweglichem Countertenor und durchschlagenden Höhen
präsentiert. Dagegen bleibt Yosemeh Adjei hingegen in der Titelpartie zumindest
in den schnellen Läufen ein wenig blass. Clemens Flick leitet das
Sinfonieorchester Wuppertal mit viel Körpereinsatz und entfaltet einen barocken
Klang, von dem man gerne in dieser Konzertinstallation mehr gehört hätte.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Szenische Einrichtung
Raum Kostüme Dramaturgie
Sinfonieorchester Wuppertal Statisterie der Oper Wuppertal Besetzung*rezensierte Aufführung Giulio Cesare Cleopatra Cornelia Sesto Tolomeo Achilla Nireno Curio Lesung
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- Fine -