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Selfie mit ZwergVon Stefan Schmöe / Fotos von Paul Leclair
Partystimmung in Köln: Vor 100 Jahren, ganz genau am 28. Mai 1922, wurde Alexander Zemlinskys Einakter Der Zwerg in Köln uraufgeführt. Darauf folgte im zweiten Teil des Abends die Kölner Erstaufführung von Strawinskys Ballett-Burleske Petruschka, die musikalische Leitung lag seinerzeit in den Händen des großen Otto Klemperer. Die Kölner Oper erinnert sich derzeit gerne an diese Ära, hatte schon den 100. Jahrestag der spektakulären Uraufführung von Korngolds Die tote Stadt mit einer Neuinszenierung feiern wollen (was durch Corona zuerst nur als Stream möglich war und dann verspätet mit Publikum nachgeholt wurde). Jetzt erlebt auch der Doppelabend aus dem Zwerg und Petruschka sein Jubiläumsrevival, und nicht nur die Erinnerung an die Tradition des Hauses liefert gute Gründe dafür, sondern auch die Qualität der beiden zwar nicht vergessenen, aber eher selten gespielten Werke. Der Zwerg: Die Infantin (hier: Kathrin Zukowski) lacht über den Zwerg (auf dem Tisch stehend: Burkhard Fritz)
Für den ersten Teil ist der in NRW derzeit vielbeschäftigte Paul-Georg Dittrich zuständig, der aus dem Essener Aalto-Theater durch eine angestrengte Version von Bartóks Herzog Blaubarts Burg und einen unsäglichen Tannhäuser in schlechter Erinnerung ist (aktuell bereitet er in Münster die Elektra vor). Ganz so schlimm wie an der Ruhr ist sein Debut im Deutzer Staatenhaus (fast direkt am Rheinufer gelegen) nicht ausgefallen, was vielleicht auch an den baulichen Begebenheiten liegt: Hatte er schon beim Blaubart Teile des Publikums auf die Bühne gesetzt (keine ganz neue, in Essen ziemlich albern umgesetzte Idee), so kommt ihm das ehemalige Messegebäude insofern entgegen, als es hier keine vorgegebene Theatersituation gibt und jeder Regisseur erst einmal eine ganz grundsätzliche Raumlösung finden muss, angefangen bei der Positionierung des Orchesters. Das sitzt nun wie eine überdimensionierte Bigband vor einem rosafarbenen Revuetheatervorhang, von dem aus eine Treppe hinunter zur Spielfläche und einem endlos langen Laufsteg mitten durch die Zuschauertribüne im Saal 2, der viel sichtbarer als Saal 1 als Provisorium angelegt ist, zieht. Der Geist der 1920er-Jahre wird also durch einen Hauch Cabaret eingefangen, zu dem ein paar Tischchen rechts und links beitragen, und die Brücke zum Showbusiness der Gegenwart schlägt eine peinliche Mitmachnummer für die armen Besucher, die an der Rampe sitzen. Der Zwerg: Da ist er, der Zwerg (hier: Burkhard Fritz)
Wozu das alles? Die beiden Werke geben das ja nicht zwingend her, aber Dittrich greift die angebliche Partystimmung ("100 Jahre Der Zwerg") in einem Videovorspann auf wie im historischen Wochenschau-Format, deutet Nationalsozialismus und Nachkriegszeit wie auch die jüngere Geschichte der Oper Köln an (wobei das Drama um die endlose Sanierung des Opernhauses am Offenbachplatz irgendwie fehlt). Dittrich schwebt damit wohl ein assoziatives Theater vor, eine Prise Geschichtsbewusstsein als Gewürz zum gegenwärtigen Spiel, was so ganz schlecht gar nicht ist. Zumal er die filmisch heraufbeschworene Partyatmosphäre szenisch im ganz großen (Kindergeburtstags)-Stil aufgreift. Der 18. Geburtstag der spanischen Infantin Donna Clara in märchenhafter Zeit wird zur quietschbunten Party einer in die Jahre gekommenen Generation Selfie, die panische Angst vor dem Altern hat. Der verwachsene Zwerg, den die Infantin als Geschenk erhält und der bei dieser Gelegenheit erstmalig einen Spiegel und damit seine verunstaltete Erscheinung erkennt (so will es das Libretto nach einer Novelle von Oscar Wilde), der ist hier ein eleganter, aber völlig aus der Zeit gefallener Herr aus einer fernen Epoche, in der die Menschheit noch so etwas wie Anstand und Manieren gehabt haben muss. Martin Koch, der in der hier besprochenen zweiten Aufführung in der Titelpartie zu sehen und hören war (in der Premiere sang Burkhard Fritz) trifft in jeder Hinsicht hervorragend den richtigen Ton: Mit seinem nicht zu großen, aber beweglichen und in alles Lagen souveränen Tenor gibt er der dem namenlosen Zwerg musikalische Eleganz und Leidenschaft, die er auch optisch verkörpert. Emily Hinrichs ist eine überzeugend zickige Infantin mit schönem lyrischem Sopran, und Claudia Rohrbach gibt bravourös mit leuchtender Stimme die Lieblingszofe Ghita, die als einzige Mitgefühl mit der verlachten Hauptfigur empfindet. Auch die weiteren Rollen sind durchweg sehr gut besetzt. Der Zwerg: Nicht nur Zofe Ghita fühlt die Schrecken des Alterns - da helfen auch nicht die zwischenzeitlich beworbenen Schönheitsoperationen
Am Ende stirbt der Zwerg, aber vielleicht ist der gar nicht real, sondern ein Katalysator für den unvermeidlichen Selbsterkennungsprozess dieser auf absurde Schönheits- und Jugendideale getrimmten Gesellschaft - die erscheint jedenfalls am Ende in hässlichen Fratzen des Alters. Wobei sich das im Wesentlichen aus agilen Best-Agern bestehende Publikum verwundert die Augen reiben dürfte, welche Horrorvision von den vielleicht nicht unbedingt besten, aber doch für viele ganz erquicklichen Jahren des Ruhestands hier entwickelt wird. Ganz klar ist hier nicht, wer oder was sich gerade worin spiegelt, obwohl das sicher ein Thema der Inszenierung sein soll, wie schon die verspiegelten Säulen des Staatenhauses anzeigen. Dittrichs Ansätze bergen durchaus Spannungspotential: Das Bild, das man von sich selbst hat, und das Bild, das man in der Instagrammgesellschaft abgibt oder abgeben möchte, das wäre ein Thema für eine aktuelle Inszenierung dieser Oper. Nur ist hier fast alles maßlos überdreht und marktschreierisch geraten. Chance vertan. Petruschka: Dar Magier (vorne) erweckt die Puppen zum Leben
Für Petruschka ist dann der Choreograph Richard Siegal mit dem von ihm gegründeten Ballet of difference zuständig. Er nutzt dieselbe Bühnensituation, was ihm aber reichlich egal zu sein scheint, jedenfalls gibt es keine erkennbaren Bezüge mehr zum Raum. Strawinskys Handlungsballett erzählt, wie ein Puppenspieler und sein Assistent drei Marionetten zum Leben erwecken: Die melancholische Kasperlefigur Petruschka, eine Ballerina und einen Mohren. Halt, Mohr geht heutzutage natürlich nicht mehr, und so machen Siegal oder die Oper Köln oder alle zusammen einen Soldaten daraus. Passt auch. Petruschka liebt die Ballerina, die Ballerina liebt den Soldaten, der tötet Petruschka, aber Petruschkas Geist ist unsterblich - so in etwa geht die Handlung. Siegal erzählt das in einer ganz elegant gelungenen Durchmischung aus klassischem Ballett mit viel Tanz auf Spitze und Modern Dance tempo- und energiereich nach, wobei er auf jeglichen folkloristischen Rahmen (eigentlich ein Jahrmarkt) verzichtet und das Corps de Ballett zu "Transhumanist*innen" umdeklariert ("Soft robots, replicants, fluid identities, singularities, affect simulators"). Ob damit eine schöne neue Märchenwelt gemeint ist oder gar die Frage einer Identitätsfindung im postbinärgeschlechtlichen Zeitalter, das wird nicht recht klar, denn das Setting wirkt auch hier ein wenig anbiedernd reißerisch (wenn auch deutlich entspannter als bei Dittrichs Zwerg). Es ist hübsch anzusehen, wie Margarida Isabel de Abreu Neto in einer Mischung aus Pippi Langstrumpf und Sommernachtstraum-Kobold Puck den Petruschka tanzt, Long Zou eine gekünstelt mechanische Ballerina darstellt, Nicoláz Martinéz einen vergleichsweise konventionellen, feurig-draufgängerischen Soldaten gibt und Evan Supple als geisterhafter Magier zwar nicht die Marionettenfäden, aber doch an den Schlaufen der Kostüme zieht. Das Ensemble tanzt engagiert, wobei aber dann doch gerade die Übergänge ziemlich brav einstudiert wirken. Petruschka: Die Ballerina tanzt mit dem Soldaten (vorne), Petruschka (rechts, in grün) schaut zu
Den großen, effektvollen Auftritt durch den Showvorhang hat bei Petruschka eigentlich nur einer, das ist Dirigent Lawrence Renes, und der hat ihn dann auch redlich verdient. Mit dem über weite Strecken ausgezeichneten Gürzenich-Orchester zeichnet er im ersten Teil des Abends Zemlinskys hinreißend funkelnde Partitur an den großen Stellen mit der erforderlichen Opulenz und Süffigkeit nach, gibt ihr aber vor allem kammermusikalische Transparenz und Leichtigkeit. Das setzt sich bei Strawinsky nahtlos fort, und hier trifft Renes hervorragend die Balance zwischen einer zusammenhängenden Großform und der mitunter disparaten Kleinteiligkeit. Was die Orchesterfarben betrifft, kann er es mit den Kostümen (Der Zwerg: Pia Dederichs und Lena Schmid, Petruschka: Flora Miranda) allemal aufnehmen - nur sind die Klangfarben sehr viel feiner und charmanter als die visuellen grellen Farben auf der Bühne.
Musikalisch ein großer, in beiden Teilen beeindruckender Abend. Szenisch wird der Zwerg trotz guter Ansätze auf Kindergeburtstagsniveau und damit unter Wert verhandelt, und Petruschka wird lässig-cool, aber ein wenig oberflächlich getanzt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamDer Zwerg
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Video
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Donna Clara, Infantin von Spanien
Ghita, ihre Lieblingszofe
Don Estoban, der Haushofmeister
Der Zwerg
Erste Zofe
Zweite Zofe
Dritte Zofe
Erste Gespielin
Zweite Gespielin
Petruschka
Musikalische Leitung
Choreographie
Bühne
Kostüme
Licht und Video
Dramaturgie
Tänzerinnen und Tänzer
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