Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



La traviata

Oper in drei Akten
Libretto von Francesco Maria Piave nach dem Roman Die Kameliendame von Alexandre Dumas d. J.
Musik von Giuseppe Verdi

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 25' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Wuppertal am 26. Februar 2023
(rezensierte Aufführung: 02.04.2023)


Wuppertaler Bühnen
(Homepage)
Aller guten Dinge sind drei


Von Thomas Molke / Fotos: © Björn Hickmann

Verdis La traviata zählt nicht nur zu den erfolgreichsten Opern der Musikgeschichte und wurde 2010 vom Deutschen Fernsehen sogar zur "beliebtesten Oper aller Zeiten" gekürt, sondern hat auch für die Wuppertaler Bühnen in den letzten Jahren eine besondere Bedeutung gehabt. Als Generalmusikdirektorin Julia Jones Ende der Spielzeit 2020/2021 die Wuppertaler Bühnen verließ, hatte sie sich zum Abschluss gewünscht, dieses Werk, das gemeinsam mit Rigoletto und Il trovatore als sogenannte "Trilogia popolare" Verdis Weltruhm begründet hat, in einer szenischen Aufführung zu dirigieren. Die Corona-Pandemie verhinderte dieses Vorhaben, so dass es zum Ende der Spielzeit nur zum Live-Stream einer konzertanten Aufführung aus der Historischen Stadthalle kam (siehe auch unsere Rezension). Zu Beginn der folgenden Spielzeit war das Opernhaus wegen eines Hochwasserschadens nicht bespielbar, so dass man erneut auf die Historische Stadthalle ausweichen musste und im November eine konzertante Aufführung der Oper auf den Spielplan stellte (siehe auch unsere Rezension). Nun verlässt Opernintendant Berthold Schneider zum Ende der Spielzeit die Wuppertaler Bühnen und lässt es sich nicht nehmen, neben anderen Produktionen, die in den sechs Jahren seiner Intendanz das Haus geprägt haben, La traviata endlich auch szenisch herauszubringen. Besonders wehmütig mag an dieser Produktion stimmen, dass Ralitsa Ralinova, Sangmin Jeon und Simon Stricker , die seit dem Online-Stream die Hauptpartien singen, ebenfalls zum Ende der Spielzeit Wuppertal den Rücken kehren.

Bild zum Vergrößern

Gastone (Mark Bowman-Hester, links) stellt auf dem Ball Alfredo (Sangmin Jeon, 2. von links) und Violetta (Ralitsa Ralinova, mit Barone Douphol (Zhive Kremshovski)) einander vor (im Hintergrund: Damen und Herren des Chors).

Für die Inszenierung hat man Nigel Lowery verpflichtet, der in Wuppertal bereits beim Olympia-Akt in Offenbachs Hoffmanns Erzählungen und in Salvatore Sciarrinos Il canto s'attrista, perché? Regie führte. Violettas Salon, in dem im ersten Akt ein rauschendes Fest gefeiert wird, konzipiert er dabei als eine Art Theater. Der Vorhang erinnert an ein Etablissement wie Moulin Rouge. Vor dieser Theaterbühne sieht man eine hüfthohe Mauer, vor der die Herren des Chors zunächst als Zaungäste das Geschehen auf der Bühne beobachten. Sie treten allesamt als alte Männer mit grauen Haaren und fahlen Gesichtern auf, die in diesem Etablissement erotische Abenteuer suchen. Die Damen des Chors sollen wohl die Tänzerinnen darstellen, mit denen sich in der damaligen Zeit die Herren nach den Vorstellungen vergnügt haben. Die gelben knappen Kostüme, die einen Dienstmädchen-Charme versprühen, sind teilweise aber nicht sehr vorteilhaft gewählt. Als weitere Ebene führt Lowery einen Schmetterling (Lisenka Milène Kirkcaldy) ein, der im ersten Akt von Gastone (Mark Bowman-Hester), der optisch an einen Zirkusdirektor erinnert, mit einem Netz gejagt wird. Im dritten Akt fängt er den Schmetterling und schneidet ihm die Flügel ab, was wohl als Metapher auf Violettas kurzes glanzvolles Leben gedeutet werden soll, sich aber genauso wenig erschließt wie der "Inkubus im roten Mantel" (Ramazan Kirca), der wie ein Clown das ganze Geschehen begleitet.

Bild zum Vergrößern

Violetta (Ralitsa Ralinova) begegnet dem Tod (Sebastian Campione als Dottore Grenvil).

Sieht man jedoch von diesen Kleinigkeiten ab, bleibt Lowery nah an der Vorlage und lässt die Solistinnen und Solisten strahlen. Und das tun sie nach den konzertanten Aufführungen auch in dieser szenischen Umsetzung. Ralitsa Ralinova kann als Idealbesetzung für die Titelpartie bezeichnet werden und scheint die Rolle regelrecht zu durchleben. In feuerrotem, langem Kleid strahlt sie beim Fest im ersten Akt zunächst pure Lebensfreude aus, wenn sie auf Alfredo trifft und voller Kraft in das berühmte Trinklied einstimmt. Doch die ersten Anzeichen von Violettas Krankheit lassen sich nicht verbergen, was von Ralinova bewegend interpretiert wird. Mit großer Dramatik gestaltet sie ihre große Arie "È strano" im ersten Akt, in der sie sich über ihre Gefühle für Alfredo bewusst wird. Dabei liegt sie zunächst auf dem Boden und beginnt mit zarten, nahezu zerbrechlichen Tönen, bevor sie mit glasklaren Koloraturen und sauber ausgesungenen Höhen in der anschließenden Cabaletta "Sempre libera degg'io" neue Kraft schöpft. Im zweiten Akt wirkt sie in ihrem strengen Kostüm nahezu bieder und hat das Leben als Kurtisane abgestreift. Der pompöse Saal des ersten Aktes, der auf der Bühne dargestellt wird, ist mit Wänden bedeckt, die ein ruhiges Leben auf dem Land suggerieren. Im Hintergrund sieht man schattenhaft die Umrisse einer Trauerweide, die das bevorstehende Ende der Idylle bereits andeutet. Ralinova lässt bei ihrem intensiven Zusammenspiel mit Alfredos Vater Germont das Publikum ein Wechselbad der Gefühle durchleben, bevor sie im dritten Akt scheinbar in ihr altes Leben zurückkehrt. Doch das feuerrote Kleid kann nicht über ihr Schicksal hinwegtäuschen. Am Schluss erscheint sie als todkranke Frau. Da bedarf es noch nicht einmal eines Bettes. Ein einfacher Tisch reicht aus, die letzten Stunden ihres Lebens zu beschreiben. Die große Abschiedsarie "Addio, del passato" geht in Ralinovas Interpretation unter die Haut. In den gesprochenen Passagen präsentiert sie sich absolut fragil, und wenn sie am Ende der Oper in den Armen des Doktors (Sebastian Campione), der schon in den vorherigen Akten wie Gevatter Tod über die Bühne geschlichen ist, ihr Leben aushaucht, bleibt kaum ein Auge trocken. Man wird Ralinova in Wuppertal sehr vermissen.

Bild zum Vergrößern

Alfredo (Sangmin Jeon, vorne rechts mit Simon Stricker als Giorgio Germont im Hintergrund) will nicht glauben, dass Violetta ihn verlassen hat.

Gleiches gilt für Sangmin Jeon, der - man möchte sagen, wie bereits gewohnt - mit strahlendem Tenor begeistert. Schon in seiner ersten großen Arie im ersten Akt, "Un di, felice, eterea", wenn er Violetta auf der Feier seine Liebe gesteht, begeistert er mit exakt angesetzten Spitzentönen, die das Publikum in keinem Moment angstvoll zittern lassen. Auch darstellerisch nimmt man ihm den verliebten, dabei aber auch recht naiven jungen Mann in jedem Moment ab. In der Mittellage verfügt Jeon über eine weiche und sehr geschmeidige Stimmführung. Das berühmte Trinklied "Libiamo" stimmt er mit strahlenden Höhen an, wobei der Wuppertaler Opernchor ihn kräftig auftrumpfend unterstützt. Im zweiten Akt lässt Jeon dann tenoralen Glanz verströmen, wenn er mit sauberen Höhen in der Arie "De' miei bollenti spiriti" sein Glück mit Violetta besingt. Umso unbarmherziger präsentiert er sich dann auf dem Fest bei Flora, auf dem er Violetta vor allen Gästen demütigt. Am Schluss findet er stimmlich mit Ralinova zu einer bewegenden Innigkeit, die unter die Haut geht. In Violettas Sterbeszene steht er jedoch wie sein Vater und Annina vor der Mauer in einem gewissen Abstand zu Violetta, die auf der Bühne stirbt, was der Szene eine weitere Tragik verleiht.

Bild zum Vergrößern

Giorgio Germont (Simon Stricker, Mitte) überredet Violetta (Ralitsa Ralinova), mit dem Barone Douphol (Zhive Kremshovski, rechts) zurück nach Paris zu gehen.

Simon Stricker begeistert als Alfredos Vater Giorgio Germont mit profundem Bariton und unterstreicht darstellerisch die Härte und den patriarchalischen Charakter der Figur. Unmissverständlich macht er Violetta klar, dass sie nicht für seinen Sohn bestimmt ist, obwohl er die aufrichtigen Gefühle der jungen Frau erkennt. Aber er kann nicht über seinen Schatten springen, und zwingt sie, auf Alfredo zu verzichten. In einem bewegenden Duett bringt Ralinova mit weichem Sopran die Vorsätze des alten Germont durchaus ins Wanken. Zu spät erkennt er, welchen Fehler er gemacht hat. Strickers Interpretation der großen Arie "Di provenza il mare, il suol" bildet einen weiteren musikalischen Höhepunkt, wenn er versucht, seinen Sohn davon zu überzeugen, dass eine Trennung von Violetta die einzige Lösung für ihn ist. Wenn er im dritten Akt sein Vorgehen bereut, ist er es, der der Demütigung Violettas durch Alfredo ein Ende bereitet. In der Schlussszene bittet er Violetta sogar um Vergebung und schließt sie wie eine Tochter in die Arme. Das Trio Ralinova, Jeon und Stricker dürfte neben der Beliebtheit der Oper ein weiterer Garant für die ausverkauften Vorstellungen in Wuppertal sein.

Doch auch die kleineren Partien sind gut besetzt. Hyejun Kwon gestaltet Violettas Freundin Flora Bervoix mit weichem Mezzosopran und ist optisch und darstellerisch der Titelfigur nahezu ebenbürtig. Eindrucksvoll gestaltet sie die kleine Auseinandersetzung mit dem Marchese d'Obigny, von dem sie sich auf ihrem Fest im dritten Akt hintergangen fühlt. Dabei unterstreicht sie beängstigend, wie fragil ihre Position in der Gesellschaft ist. Timothy Edlin gibt den Marchese als arroganten Herren der oberen Gesellschaft, der bei Frauen wie Flora und Violetta lediglich ein kurzzeitiges Vergnügen sucht. Dabei überzeugt er mit beweglichem Bariton. Zhive Kremshovski verleiht dem Barone Douphol einen dunkel gefärbten Bass. Der um den Extrachor erweiterte Opernchor unter der Leitung von Ulrich Zippelius überzeugt durch homogenen Klang, auch wenn Lowery zur Personenregie beim Chor nicht allzu viel einfällt. Johannes Witt führt das Sinfonieorchester Wuppertal mit sicherer Hand durch die Partitur, so dass es am Ende großen und verdienten Applaus für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Die Produktion ist schon allein wegen der Besetzung absolut sehens- und hörenswert. Man sollte die Gelegenheit nutzen, Ralinova, Jeon und Stricker in ihren Paraderollen noch einmal in Wuppertal erleben zu können.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Johannes Witt

Inszenierung, Bühne und Kostüme
Nigel Lowery

Chor
Ulrich Zippelius

Dramaturgie
Marc von Reth

 

Sinfonieorchester Wuppertal

Opernchor und Extrachor der 
Wuppertaler Bühnen


Solistinnen und Solisten

*rezensierte Aufführung

Violetta Valery
Ralitsa Ralinova

Flora Bervoix
Hyejun Kwon

Annina
*Anna-Christine Heymann /
Ute Elisabeth Temizel

Alfredo Germont
Sangmin Jeon

Giorgio Germont
Simon Stricker

Gastone
Mark Bowman-Hester

Barone Douphol
Zhive Kremshovski

Marchese d'Obigny
Timothy Edlin

Dottore Grenvil
Sebastian Campione

Giuseppe
Giorgi Davitadze

Diener / Kommissionär
Hak-Young Lee

Schmetterling
Lisenka Milène Kirkcaldy

Inkubus im roten Mantel
Ramazan Kirca

 

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Wuppertaler Bühnen
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum

© 2023 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -