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Aller guten Dinge sind drei
Verdis La traviata zählt nicht nur zu den erfolgreichsten
Opern der Musikgeschichte und wurde 2010 vom Deutschen Fernsehen sogar zur
"beliebtesten Oper aller Zeiten" gekürt, sondern hat auch für die Wuppertaler Bühnen in den letzten Jahren eine besondere Bedeutung gehabt. Als
Generalmusikdirektorin Julia Jones Ende der Spielzeit 2020/2021 die Wuppertaler
Bühnen verließ, hatte sie sich zum Abschluss gewünscht, dieses Werk, das
gemeinsam mit Rigoletto und Il trovatore als sogenannte "Trilogia
popolare" Verdis Weltruhm begründet hat, in einer szenischen Aufführung zu
dirigieren. Die Corona-Pandemie verhinderte dieses Vorhaben, so dass es zum Ende
der Spielzeit nur zum Live-Stream einer konzertanten Aufführung aus der
Historischen Stadthalle kam (siehe auch
unsere Rezension). Zu
Beginn der folgenden Spielzeit war das Opernhaus wegen eines Hochwasserschadens
nicht bespielbar, so dass man erneut auf die Historische Stadthalle
ausweichen musste und im November eine konzertante Aufführung der Oper auf den
Spielplan stellte (siehe auch
unsere Rezension). Nun
verlässt Opernintendant Berthold Schneider zum Ende der Spielzeit die
Wuppertaler Bühnen und lässt es sich nicht nehmen, neben anderen Produktionen,
die in den sechs Jahren seiner Intendanz das Haus geprägt haben, La
traviata endlich auch szenisch herauszubringen. Besonders wehmütig mag
an dieser Produktion stimmen, dass Ralitsa Ralinova, Sangmin Jeon und Simon
Stricker , die seit dem Online-Stream die Hauptpartien singen, ebenfalls zum
Ende der Spielzeit Wuppertal den Rücken kehren.
Gastone (Mark Bowman-Hester, links) stellt auf
dem Ball Alfredo (Sangmin Jeon, 2. von links) und Violetta (Ralitsa Ralinova,
mit Barone Douphol (Zhive Kremshovski)) einander vor (im Hintergrund: Damen und
Herren des Chors).
Für die Inszenierung hat man Nigel Lowery verpflichtet, der in Wuppertal bereits
beim Olympia-Akt in Offenbachs Hoffmanns Erzählungen und in Salvatore
Sciarrinos Il canto s'attrista, perché? Regie führte. Violettas Salon, in
dem im ersten Akt ein rauschendes Fest gefeiert wird, konzipiert er dabei als
eine Art Theater. Der Vorhang erinnert an ein Etablissement wie Moulin
Rouge. Vor dieser Theaterbühne sieht man eine hüfthohe Mauer, vor der die Herren
des Chors zunächst als Zaungäste das Geschehen auf der Bühne
beobachten. Sie treten allesamt als alte Männer mit grauen
Haaren und fahlen Gesichtern auf, die in diesem Etablissement erotische
Abenteuer suchen. Die Damen des Chors sollen wohl die Tänzerinnen darstellen,
mit denen sich in der damaligen Zeit die Herren nach den Vorstellungen vergnügt
haben. Die gelben knappen Kostüme, die einen Dienstmädchen-Charme versprühen,
sind teilweise aber nicht sehr vorteilhaft gewählt. Als weitere Ebene
führt Lowery einen Schmetterling (Lisenka Milène Kirkcaldy) ein, der im ersten
Akt von Gastone (Mark Bowman-Hester), der optisch an einen Zirkusdirektor
erinnert, mit einem Netz gejagt wird. Im dritten Akt fängt er den Schmetterling
und schneidet ihm die Flügel ab, was wohl als Metapher auf Violettas kurzes
glanzvolles Leben gedeutet werden soll, sich aber genauso wenig erschließt wie
der "Inkubus im roten Mantel" (Ramazan Kirca), der wie ein Clown das ganze
Geschehen begleitet.
Violetta (Ralitsa Ralinova) begegnet dem Tod
(Sebastian Campione als Dottore Grenvil).
Sieht man jedoch von diesen Kleinigkeiten ab, bleibt Lowery nah an der Vorlage
und lässt die Solistinnen und Solisten strahlen. Und das tun sie nach den
konzertanten Aufführungen auch in dieser szenischen Umsetzung. Ralitsa Ralinova
kann als Idealbesetzung für die Titelpartie bezeichnet werden und scheint die
Rolle regelrecht zu durchleben. In feuerrotem, langem Kleid strahlt sie beim
Fest im ersten Akt zunächst pure Lebensfreude aus, wenn sie auf Alfredo trifft
und voller Kraft in das berühmte Trinklied einstimmt. Doch die ersten Anzeichen
von Violettas Krankheit lassen sich nicht verbergen, was von Ralinova bewegend
interpretiert wird. Mit großer Dramatik gestaltet sie ihre große Arie "È strano"
im ersten Akt, in der sie sich über ihre Gefühle für Alfredo bewusst wird. Dabei
liegt sie zunächst auf dem Boden und beginnt mit zarten, nahezu zerbrechlichen
Tönen, bevor sie mit glasklaren Koloraturen und sauber ausgesungenen Höhen in
der anschließenden Cabaletta "Sempre libera degg'io" neue Kraft schöpft. Im
zweiten Akt wirkt sie in ihrem strengen Kostüm nahezu bieder und hat das
Leben als Kurtisane abgestreift. Der pompöse Saal des ersten Aktes, der auf der
Bühne dargestellt wird, ist mit Wänden bedeckt, die ein ruhiges Leben auf dem
Land suggerieren. Im Hintergrund sieht man schattenhaft die Umrisse einer
Trauerweide, die das bevorstehende Ende der Idylle bereits andeutet. Ralinova
lässt bei ihrem intensiven Zusammenspiel mit Alfredos Vater Germont das Publikum
ein Wechselbad der Gefühle durchleben, bevor sie im dritten Akt scheinbar in ihr
altes Leben zurückkehrt. Doch das feuerrote Kleid kann nicht über ihr Schicksal
hinwegtäuschen. Am Schluss erscheint sie als todkranke Frau. Da bedarf es noch
nicht einmal eines Bettes. Ein einfacher Tisch reicht aus, die letzten Stunden
ihres Lebens zu beschreiben. Die große Abschiedsarie "Addio, del passato" geht
in Ralinovas Interpretation unter die Haut. In den gesprochenen Passagen
präsentiert sie sich absolut fragil, und wenn sie am Ende der Oper in den Armen
des Doktors (Sebastian Campione), der schon in den vorherigen Akten wie Gevatter
Tod über die Bühne geschlichen ist, ihr Leben aushaucht, bleibt kaum ein Auge
trocken. Man wird Ralinova in Wuppertal sehr vermissen.
Alfredo (Sangmin Jeon, vorne rechts mit Simon
Stricker als Giorgio Germont im Hintergrund) will nicht glauben, dass Violetta
ihn verlassen hat.
Gleiches gilt für Sangmin Jeon, der - man möchte sagen, wie bereits gewohnt - mit
strahlendem Tenor begeistert. Schon in seiner ersten großen Arie im ersten Akt,
"Un di, felice, eterea", wenn er Violetta auf der Feier seine Liebe gesteht,
begeistert er mit exakt angesetzten Spitzentönen, die das Publikum in keinem
Moment angstvoll zittern lassen. Auch darstellerisch nimmt man ihm den
verliebten, dabei aber auch recht naiven jungen Mann in jedem Moment ab. In der
Mittellage verfügt Jeon über eine weiche und sehr geschmeidige Stimmführung. Das
berühmte Trinklied "Libiamo" stimmt er mit strahlenden Höhen an, wobei der
Wuppertaler Opernchor ihn kräftig auftrumpfend unterstützt. Im zweiten Akt lässt
Jeon dann tenoralen Glanz verströmen, wenn er mit sauberen Höhen in der Arie
"De' miei bollenti spiriti" sein Glück mit Violetta besingt. Umso unbarmherziger
präsentiert er sich dann auf dem Fest bei Flora, auf dem er Violetta vor allen
Gästen demütigt. Am Schluss findet er stimmlich mit Ralinova zu einer
bewegenden Innigkeit, die unter die Haut geht. In Violettas Sterbeszene steht er
jedoch wie sein Vater und Annina vor der Mauer in einem gewissen Abstand zu
Violetta, die auf der Bühne stirbt, was der Szene eine weitere Tragik verleiht.
Giorgio Germont (Simon Stricker, Mitte) überredet
Violetta (Ralitsa Ralinova), mit dem Barone Douphol (Zhive Kremshovski, rechts)
zurück nach Paris zu gehen.
Simon Stricker begeistert als Alfredos Vater Giorgio Germont mit profundem
Bariton und unterstreicht darstellerisch die Härte und den patriarchalischen
Charakter der Figur. Unmissverständlich macht er Violetta klar, dass sie nicht
für seinen Sohn bestimmt ist, obwohl er die aufrichtigen Gefühle der jungen Frau
erkennt. Aber er kann nicht über seinen Schatten springen, und zwingt sie, auf
Alfredo zu verzichten. In einem bewegenden Duett bringt Ralinova mit weichem
Sopran die Vorsätze des alten Germont durchaus ins Wanken. Zu spät erkennt er,
welchen Fehler er gemacht hat. Strickers Interpretation der
großen Arie "Di provenza il mare, il suol" bildet einen weiteren musikalischen
Höhepunkt, wenn er versucht, seinen Sohn davon zu überzeugen, dass eine Trennung
von Violetta die einzige Lösung für ihn ist. Wenn er im dritten Akt sein
Vorgehen bereut, ist er es, der der Demütigung Violettas durch Alfredo ein Ende
bereitet. In der Schlussszene bittet er Violetta sogar um Vergebung und schließt
sie wie eine Tochter in die Arme. Das Trio Ralinova, Jeon und Stricker dürfte
neben der Beliebtheit der Oper ein weiterer Garant für die ausverkauften
Vorstellungen in Wuppertal sein.
Doch auch die kleineren Partien sind gut besetzt. Hyejun Kwon gestaltet
Violettas Freundin Flora Bervoix mit weichem Mezzosopran und ist optisch und
darstellerisch der Titelfigur nahezu ebenbürtig. Eindrucksvoll gestaltet sie die
kleine Auseinandersetzung mit dem Marchese d'Obigny, von dem sie sich auf ihrem
Fest im dritten Akt hintergangen fühlt. Dabei unterstreicht sie beängstigend, wie fragil ihre Position in der Gesellschaft ist. Timothy Edlin
gibt den Marchese als arroganten Herren der oberen Gesellschaft, der bei Frauen
wie Flora und Violetta lediglich ein kurzzeitiges Vergnügen sucht. Dabei
überzeugt er mit beweglichem Bariton. Zhive Kremshovski verleiht dem Barone
Douphol einen dunkel gefärbten Bass. Der um den Extrachor erweiterte Opernchor
unter der Leitung von Ulrich Zippelius überzeugt durch homogenen Klang, auch
wenn Lowery zur Personenregie beim Chor nicht allzu viel einfällt. Johannes Witt
führt das Sinfonieorchester Wuppertal mit sicherer Hand durch die Partitur, so
dass es am Ende großen und verdienten Applaus für alle Beteiligten gibt.
FAZIT
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung, Bühne und Kostüme Chor Dramaturgie
Sinfonieorchester Wuppertal Opernchor und
Extrachor der Solistinnen und Solisten*rezensierte Aufführung Violetta Valery Flora Bervoix Annina Alfredo Germont Giorgio Germont Gastone Barone Douphol Marchese d'Obigny Dottore Grenvil Giuseppe Diener / Kommissionär Schmetterling Inkubus im roten Mantel
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- Fine -