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Ein Flughafensommernachtstraum
Von Stefan Schmöe /
Fotos von Sandra Then
Alle Flüge sind gestrichen: Der Titel Flight ist erst einmal irreführend, denn Fliegen kann gerade niemand. Diese Geschichte erzählt von Menschen, die am Flughafen gestrandet sind, weil wegen eines Sturms kein Flugzeug mehr starten oder landen kann. Vom Fliegen, auch im metaphorischen Sinn, träumen sie derweil alle. Da sind Tina und Bill, das jungverheiratete Pärchen, das voller Hoffnung in den Urlaub fliegen will, der ihre kriselnde Beziehung heilen soll. Da sind die namenlose hochschwangere Frau und ihr Mann auf dem Weg nach Minsk, wo eine bessere Zukunft auf sie wartet (glaubt er) oder vielleicht auch nicht (glaubt sie) - und im letzten Moment bleibt sie zurück, während er das letzte noch startende Flugzeug besteigt. Da ist die "ältere Frau" (so steht's auf dem Besetzungszettel), 52, die vergeblich auf die Ankunft ihres sehr viel jüngeren Verlobten wartet, eine Urlaubsliebe ohne Bestandsgarantie. Da sind Flugbegleiterin und Flugbegleiter, ein sexbesessenes Paar, das sich in jeder freien Minute zurückzieht und mit zerzauster Kleidung wieder auftaucht. Und da sind die Controllerin, die diesen Wartebereich beaufsichtigt und von demjenigen träumt, der gar nicht hier sein dürfte und als Heimatloser dennoch da ist und das Zentrum der Oper bildet: Ein namenloser Flüchtling ohne Papiere, der sich seit Wochen (oder vielleicht viel länger) im Durchgangsbereich aufhält und vor dem Offizier der Einwanderungsbehörde versteckt. Diese Figur beruht tatsächlich auf einer wahren Begebenheit (Steven Spielberg hat dessen Geschichte in seinem Spielfilm Terminal aufgegriffen).
Was folgt, ist eine Art moderner Sommernachtstraum. In der Ausnahmesituation zeigen sich Ängste und Hoffnungen, und es geschehen Dinge, die am hellrationalen Tag so nicht denkbar wären. Regisseurin Adriana Altaras und ihr Team (Bühne: Christoph Schubiger, Kostüme: Nina Lelipina, Video: Rasmus Rienäcker) springen geschickt zwischen einer realistischen Erzählweise und surrealen Momenten hin und her und lassen das Personal immer wieder aus der Geschichte heraustreten. Dadurch halten sie das Stück in einem Schwebezustand zwischen Wirklichkeit und Traum, was im Libretto von April de Angelis auch so angelegt ist - da wechseln sich fast filmisch genaue Dialoge mit langen Reflexionen und Monologen ab. Die Handlung besitzt komische Momente, hat aber in der allgegenwärtigen Suche nach einer anderen, besseren Wirklichkeit einen elegischen Grundton.
Der Flug nach Minsk wird noch planmäßig abgefertigt - aber die schwangere Frau (rechts im Bild) wird ihren Mann allein fliegen lassen
Jonathan Dove (*1959), dessen Oper Marx in London 2018 in Bonn uraufgeführt wurde, ist mit dem 1998 als Auftragswerk für das Glyndeborne Festival enstandenen Flight ein repertoiretaugliches Werk gelungen, das vielfach nachgespielt worden ist. Die gefällige, durch und durch tonale, aber nicht anbiedernde Musik ist schillernd farbig und abwechslungsreich, vielleicht hier und da überinstrumentiert und in manchen sich wiederholenden Wechseln zwischen aufgepeitscht angespannten und introvertiert ruhigen Passagen auch redundant, aber auf jeden Fall unterhaltsam. Vor allem aber ist Flight ein tolles Ensemblestück mit großen, fast gleichwertigen Gesangspartien, die sich immer wieder in Ensembles zueinander finden und in dieser Bonner Produktion durchweg sehr gut besetzt sind.
Die Partie des Flüchtlings ist für einen Countertenor geschrieben (klangschön und präsent: Benno Schachtner), was seine Sonderrolle auch vokal unterstreicht. In höchste Höhen schraubt sich der Sopran der Controllerin (beeindruckend sicher und mit lyrischer Emphase: Sophia Theodoridis), wodurch ihre übergeordneten Stellung innerhalb dieser Gesellschaft auch musikalisch nachgezeichnet wird. Ava Gesell singt und spielt eine kecke und selbstbewusste Tina, Samuel Levine gibt ihren leicht missmutigen jungen Ehemann Bill. Bei den sich immer wieder ergebenden Streitigkeiten schlagen die beiden gerne in einem Ratgeber im Paperback-Format nach - ein modernes Paar eben. Was der Ratgeber nicht voraussieht: Im Laufe der Nacht hat Bill unerwartet eine leidenschaftliche Liebesszene mit dem Flugbegleiter (Carl Rumstaedt), von der Regie keineswegs versteckt. Dessen Partnerin, die Flugbegleiterin (Tina Josephine Jäger) trägt's mit Fassung.
Es geht um die ganz großen Dinge wie Geburt: Niederkunft auf offener Bühne
Die im Vergleich zu diesen beiden Paaren interessanteren Charaktere sind die ältere Frau (mit vielen Zwischentönen: Susanne Blattert) und die Hochschwangere (mit apart eingedunkeltem Mezzosopran: Sarah Mehnert), die im dritten Akt ihr Kind zur Welt bringt. Damit weitet sich die an sich banale Flughafengeschichte zu den ganz großen Themen hin: Liebe und Trennung, immer wieder Sex, Geburt und Tod (in der Erzählung des Flüchtlings). Wenn die Regie der Geburtsszene durch den Aufmarsch der biblischen Heiligen drei Könige theologisches Gewicht verleihen und gleichzeitig die Szene ironisch-revuehaft karikieren möchte, so gelingt das bestenfalls halb; wenn bei der Erzählung des Flüchtlings vom Warten auf seinen (toten) Bruder hinter den riesigen Glaswänden der Blick auf die Erde aus dem All erscheint und ein Astronaut vorbeifliegt, ist eine kosmische Dimension erreicht (und das Bild zwingender als das der doch eher nach rheinischem Karneval aussehenden Könige). Der Beamte der Einwanderungsbehörde (mit profundem Bass: Christopher Jähnig) ist gerührt und wird fortan wegschauen, anstatt den Flüchtling zu inhaftieren. Und es gibt noch mehr happy end: Der Gatte der Schwangeren und inzwischen Entbundenen (gewohnt souverän: Mark Morouse) kommt reumütig aus Minsk zurück, und das Paar findet wieder zueinander. Unter der souveränen Leitung von Kapellmeister Daniel Johannes Mayr spielt das Beethoven Orchester ganz ausgezeichnet. Viel Applaus.
Nach dem grandios gelungenen Kraftakt mit Moses und Aron ein paar Wochen zuvor geht die Oper Bonn als Kontrast die großen Themen unseres Daseins mit Jonathan Doves Flight in unterhaltsamer Leichtigkeit an - und zeigt mit einer tollen Ensembleleistung, dass zeitgenössische Oper durchaus Relevantes zu erzählen hat.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video
Licht
Solisten
Refugee
Controller
Bill
Tina
Stewardess
Older Woman
Steward
Minsksman
Minskwoman
Immigration Officer
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