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Große Oper mit kleiner Tortenschlacht
Von Stefan Schmöe /
Fotos von Hans-Jörg Michel
"So muss das Drama also ein Hohlspiegel sein, der die Farben nicht abschwächt, sondern im Gegenteil die Strahlen sammelt und verdichtet, der aus einem Schimmer ein Licht, aus Licht eine Flamme macht." Der Satz, prominent im knappen Programmheft zitiert, stammt aus Victor Hugos Vorwort zu seinem Drama Cromwell von 1827 und gehört zum Kern von Hugos romantischem Programm. Verdi griff das Konzept begeistert auf (Rigoletto basiert auf Hugos Drama Le Roi s'amuse von 1832). Während sein Antipode Richard Wagner im einige Monate früher uraufgeführten Lohengrin die Protagonisten den Konflikt in langen Szenen verhandeln lässt, setzt Verdi auf scharf umrissene Situationen, notfalls um den Preis der Unglaubwürdigkeit: In der dramatischen Zuspitzung liegt, wie der Hohlspiegel die Strahlen zur Flamme bündelt, die höhere Wahrheit. So geht Theater, jedenfalls in der italienischen Oper der Zeit.
Jürgen R. Weber, der in Bonn bereits mit Der Traum ein Leben, Holofernes, Leonore 40/45 und Marx in London opulente Inszenierungen unter Aufbietung etlicher theatraler Mittel gezeigt hat, setzt genau hier an. An einer Neudeutung des Werkes ist ihm wenig gelegen, vielmehr will er die Mechanismen der Oper kraftvoll in Gang setzen. In manchen Szenen sieht das auf den ersten (aber wirklich nur auf den ersten) Blick ganz konventionell aus. Ein paar Kostüme (Ausstattung: Hank Irwin Kittel) wie das der Hauptfigur oder dessen Tochter Gilda würden noch als Kleidung der Renaissance durchgehen, und manchmal wirken die Videoprojektionen (Gretchen fan Weber) wie Illusionsmalerei aus dem 19. Jahrhundert. Doch dann platzt in das im Stil des Historiendramas inszenierte Zwiegespräch zwischen Vater und Tochter die Haushälterin Giovanna wie eine Rockerbraut in schwarzem und sehr knappem Lederoutfit herein, und der liebestolle Herzog von Mantua trägt Sneakers. Die Herren an seinem Hof haben sich überwiegend historisierende, aber irgendwie krude zusammengestückelte Frauenkleider angezogen - oder sie sind beinahe nackt und von Verstümmelungen gekennzeichnet.
Der Herzog interessiert sich für Gilda
Immer wieder werden kleine, von Bilderrahmen gefasste Bühnen (mit üppigen roten Samtvorhängen) hereingefahren: Hier ist alles pralles Theater und will auch als solches erkannt und wahrgenommen werden. Auf der anderen Seite jongliert die Regie mit großen Symbolen. Rigoletto hat Gilda wie einen Singvogel in einen bühnenhohen Käfig gesperrt, um sie vor der Welt zu schützen. Der Auftragsmörder Sparafucile und seine Schwester und Gehilfin Maddalena erscheinen als siamesische Zwillinge. Die Tochter des Grafen Monterone (dessen Fluch gegen Rigoletto die Tragödie auslöst) sitzt allgegenwärtig im Rollstuhl auf der Bühne , mit einer blutüberzogenen Puppe wie einem Fötus auf dem Schoß: Was in Inhaltsangaben (auch hier im Programmheft) verschämt als "entehrt" bezeichnet wird, muss man sich als vollständige physische und psychische Zerstörung der Mädchen, denen der Herzog zu nahe kommt, begreifen. Da allerdings greift Weber womöglich doch in die Handlung ein: Womöglich ist dieser Herzog gar nicht flatterhaft auf amouröse Abenteuer aus, sondern ein Sadist, der Frauen quälen muss. Jedenfalls fließt viel Theaterblut. Das Regieteam entwickelt große, oft schrille und immer wieder ironisch grundierte Bilder. In den besseren Momenten führen diese durchaus nahe an den Kern der Tragödie heran.
Oft allerdings wirkt die Regie aufgeblasen und wichtigtuerisch. Der Kipppunkt ist an diesem Premierenabend die Szene, in der Gilda in das herzogliche Schloss entführt wird und der Herzog sie, nun ja: "entehren" will. Dazu lässt er sich eine Sahnetorte reichen und haut sie ihr ins Gesicht, bevor ein Vorhang gnädig das Weitere verhüllt - und sich beim Premierenpublikum lautstark Unmut Bahn bricht. Weber hat sich in der Vergangenheit nicht als Stückezerstörer gezeigt, sondern als Theaterbesessener - hier gibt er den Provokateur, was nicht gut ankommt. Und die Szene zeigt, dass es der Regie eben doch an ausreichender Substanz fehlt, und wohl auch an Vertrauen in das Werk. Dabei haben Verdi und sein Librettist Francesco Maria Piave ja durchaus Elemente von absurder Komik eingebaut; etwa wenn der chronisch untreue Herzog seinen Wunschkonzertschlager von den "trügerischen Frauenherzen" schmettert oder der Mörder Sparafucile ausgerechnet seine Ehrbarkeit als Argument anführt, den bestellten Mord am Herzog auch ausführen zu müssen. Slapstick ist das allerdings nicht. Eine misslungene Szene müsste keine ganze Regie zerstören, hier leuchtet sie aber wie ein Blitz die Schwachpunkte aus und lässt das Konzept ein Stück weit in sich zusammenfallen.
Rigoletto und die sterbende Gilda
Musikalisch allerdings ist diese Premiere eine Sternstunde für die Bonner Oper. Giorgos Kanaris aus dem hauseigenen Ensemble ist ein eindrucksvoller, stimmgewaltiger Rigoletto mit immenser Bühnenpräsenz, der die Partie zwischen brutaler Überheblichkeit (zwischendurch erdrosselt er den Kameramann, der bis dahin für rätselhafte Live-Bilder von Würmern und Maden zuständig war) bis zu den Extremen auslotet. Anastasiya Taratorkina beeindruckt darstellerisch wie stimmlich als mädchenhaft junge Gilda. Ihr (noch etwas unausgeglichen geführter) Sopran besticht ebenso durch ein intensives Pianissimo wie durch ein dramatisches Forte. Ioan Hotea ist ein jugendlich draufgängerischer Herzog, der über ein schönes Piano verfügt, seinen metallisch strahlenden Tenor aber gerne (und ein wenig zu viel) mit voller Kraft und dann etwas laut aufleuchten lässt. Große Oper also in den Hauptrollen, die allerdings in dieser Aufführungsserie doppelt oder sogar dreifach besetzt sind. Pavel Kudinov gibt einen düster-verhangenen Sparafucile, Charlotte Quadt eine attraktiv dunkel timbrierte Maddalena und Martin Tzonev ein soliden Monterone (leider mit abgeschlagenen Armen und Beinen eine Witzfigur wie von Gnaden der englischen Komikertruppe Monty Python). Zupackend trumpft der Herrenchor auf (Einstudierung: Marco Medved). Das (von ein paar ungenauen Einsätzen abgesehen) gute Beethoven Orchester ist unter der Leitung von Daniel Johannes Mayr ein zuverlässiger Begleiter.
Inszenierungen Jürgen R. Webers bewegen sich ja oft auf einem schmalen Grat - hier verliert die Regie die Balance und stürzt in Richtung Albernheit ab. Gesungen wird allerdings ganz großartig.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Video
Licht
Chor
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Herzog von Mantua
Rigoletto
Gilda
Graf von Monterone
Graf von Ceprano
Gräfin von Ceprano
Marullo
Borsa
Sparafucile
Maddalena
Giovanna
Gerichtsdiener
Page der Herzogin
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