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Da Vinci Mode

Ein Projekt mit Eigenkreationen für das NRW Juniorballett
Choreographien von Gaj Žmavc, Marijn Rademaker, Douglas Lee und Marco Goecke

Proportions in Palette (Uraufführung)
Choreographie und Musik von Gaj Žmavc

The Full Length (Uraufführung)
Choreographie von Marijn Rademaker, Musik von Peter Tschaikowsky

Troupe (Uraufführung)
Choreographie von Douglas Lee, Musik von Nicolas Sàvva

Blushing
Choreographie von Marco Goecke, Musik von Tom Waits, Garbage u. a.

Aufführungsdauer: ca. 2 h (zwei Pausen)

Premiere im Opernhaus Dortmund am 14. Juni 2024



Theater Dortmund
(Homepage)

Von Gemälden inspirierte Eigenkreationen

Von Thomas Molke / Fotos: © Leszek Januszewski

Als besonderer Verdienst des am Ende der nächsten Spielzeit nach über 20 Jahren scheidenden Ballettintendanten Xin Peng Wang darf sicherlich die Gründung des NRW Juniorballetts 2014 bezeichnet werden. Mit dem auf zwei Jahre ausgerichteten Ausbildungsprogramm, das in dieser Form international einmalig ist, hat die Stadt nicht nur ihren Ruf als international bedeutendes Zentrum für den Tanz gefestigt, sondern sich auch als Kaderschmiede für Tänzerinnen und Tänzer etabliert. So führte der Weg vieler ehemaliger Tänzerinnen und Tänzer zu namhaften Compagnien wie zum Stuttgarter Ballett, zum Staatsballett München oder zum Nederlands Dans Theater. Ein anderer Teil erweiterte auch die Compagnie in Dortmund, die sich unter Wang zu einem Aushängeschild für die Stadt entwickelt hat und der auch international viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Zum Ende der zweijährigen Ausbildung präsentieren die Mitglieder des NRW Juniorballetts eine Produktion, die in der Regel häufig auf einer Tournee Premiere feiert und dann bei Gastspielen in ganz Deutschland gezeigt wird. In diesem Jahr findet diese Premiere im Opernhaus statt. In vier Choreographien, davon drei Eigenkreationen für das NRW Juniorballett, zeigen die jungen Tänzerinnen und Tänzer die ganze Bandbreite des modernen Ausdruckstanzes. Dass einige Reihen im Opernhaus frei blieben, mag der Tatsache geschuldet sein, dass zeitgleich das Eröffnungsspiel der Fußball-Europameisterschaft stattfand, das die deutsche Nationalmannschaft gegen Schottland 5:1 für sich entscheiden konnte.

Der Titel des Abends, Da Vinci Mode, mag eine Anspielung auf Dan Browns Bestseller Da Vinci Code sein, der 2006 mit Tom Hanks sehr erfolgreich verfilmt wurde und mit seinen Verschwörungstheorien heftige Kritik in Kirchenkreisen auslöste. Brown vertritt darin die These, dass der Maler Leonardo Da Vinci in seinem Gemälde Das Abendmahl die Theorie kodiert habe, dass der Leib Maria Magdalenas der legendäre Heilige Gral gewesen sei, der die Nachkommenschaft Jesu hervorgebracht habe. Wie Brown in seinem Buch versucht, ein Bild von Leonardo Da Vinci zu deuten, haben auch drei Choreographen die Aufgabe gehabt, ein Gemälde auszuwählen, dessen Interpretation sie mit dem NRW Juniorballett in Tanz umsetzen. Den Anfang macht dabei der slowenische Tänzer, Choreograph und Komponist Gaj Žmavc, der seit 2023 zum Ballet Artistic Director des Klaipedos Valstybinis Muzikinis Teatras in Litauen ernannt worden ist. Er widmet sich nicht einem speziellen Gemälde Leonardo Da Vincis, sondern lässt sich von seiner Persönlichkeit und seinem außergewöhnlichen Geist inspirieren. In Anlehnung an die Farbpalette eines Malers nennt er seine Kreation Proportions in Palette.

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Ned Manning-Lourey in Proportions in Palette

Mit vier Tänzerinnen und drei Tänzern versucht er, die Ausdrucksmöglichkeiten der Farben einer Palette in Bewegung umzusetzen. Dabei verzichtet er darauf, die Tänzerinnen und Tänzer farblich voneinander abzuheben. Die Kostüme, für die er gemeinsam mit Stephanine Ricciardi verantwortlich zeichnet, sind relativ farblos in zwei unterschiedlichen Strukturen gezeichnet. Fünf Tänzerinnen und Tänzer tragen ein hautenges Kostüm mit bräunlichen Farben und einem langen schwarzen senkrechten Strich auf dem Rücken. Zwei Tänzer tragen über der Brust einen schwarzen waagerechten Strich, was eher formale als farbliche Unterschiede zeigt. Der einzige Bezug zu einer Farbpalette besteht darin, wie die Tänzerinnen und Tänzer zu Beginn der Kreation auf der Bühne angeordnet sind. Das Licht von Tim Waclawek lässt sie in einem runden Kreis wie die Tupfer auf einer Farbpalette stehen. Nun versucht Žmavc die Farben durch Musik zum Klingen zu bringen, die er selbst komponiert hat. Dabei geht er von einem musikalischen Thema aus, das immer wieder variiert wird und damit eine neue "Farbe" entstehen lässt. Diese wird von einzelnen Tänzerinnen und Tänzern in einer Mischung aus klassischer Ästhetik und modernem Ausdruck mal in Soli, dann in kleinen Pas de deux und Pas de trois umgesetzt, je nachdem wie die einzelnen Farben zum Einsatz kommen. Das ist optisch sehr ansprechend, der Bezug zu den Farben wirkt allerdings ein wenig willkürlich.

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The Full Length: von links: Samuel Bassler, Ned Manning-Lourey und Luke Talirz

Nach der ersten Pause widmet sich der niederländische Choreograph Marijn Rademaker dem Gemälde Der Schrei von Edvard Munch. Rademaker ist in Dortmund kein Unbekannter. Im April 2021 drehte er für das Ballett Dortmund in Zusammenarbeit mit den Dortmunder Philharmonikern seinen ersten Tanzfilm Verklärte Nacht, der beim Inspire Dance Film Festival als bester Spielfilm ausgezeichnet wurde. Seine Kreation The Full Length weckt zunächst Erwartungen an eine abendfüllende Choreographie. Das Stück dauert allerdings nur gute 15 Minuten. Dabei ist es in drei Teile gegliedert und zeigt zur Musik von Peter Tschaikowsky drei Tänzer auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Was zunächst sehr ernst klingt, wird von Samuel Bassler, Luke Talirz und Ned Manning-Lourey äußerst spielerisch und mit viel Humor umgesetzt und erinnert im Bewegungsablauf bisweilen an Slapstick. Besonders komisch wird die Choreographie, wenn zwei Tänzer nacheinander die gleiche Bewegung ausführen und der dritte Tänzer diesen parallelen Ablauf durchbricht, häufig nur mit kleinen Nuancen wie einer geänderten Blickrichtung. Mit kraftvollen Sprüngen und teils ineinander verschlungenen Körpern setzen die drei Tänzer die Musik Tschaikowskys unterhaltsam um, und man fragt sich, was diese humorvolle Kreation überhaupt mit Munchs Gemälde zu tun hat. Erst ganz am Schluss kommt die Auflösung, wenn die drei Tänzer sich ineinander verschlungen auf den Boden fallen lassen und zu einem Schrei ansetzen, der dem Bild nachempfunden ist.

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Troupe: von links: Jane Crow, Jihan Jun, Milivoje Andrejevic und António Ferreira

Die dritte Uraufführung, die ebenfalls nur gute 15 Minuten umfasst, stammt von Douglas Lee, der schon drei Choreographien für das Ballett Dortmund kreierte. 2013 wurde in dem dreiteiligen Ballettabend Drei Farben Tanz seine Choreographie PianoPiece uraufgeführt (siehe auch unsere Rezension). 2019 schuf er für den Ballettabend Visionen die Kreation She Wore Red (siehe auch unsere Rezension), und zuletzt war 2022 in dem Ballettabend New London Moves seine Kreation Maquette als Uraufführung zu erleben (siehe auch unsere Rezension). Als choreographische Assistentin steht ihm für die neue Uraufführung Troupe Jelena-Ana Moody zur Seite, die in den ersten beiden genannten Kreationen selbst mitgetanzt hat. Lee nimmt für Troupe Pablo Picassos L'acrobat als Ausgangspunkt. Das Bild stammt zwar nicht aus Picassos "blauer Periode", die Lee aber wohl dennoch für die Kostüme der vier Tänzerinnen und Tänzer auswählt. In unterschiedlichen Blautönen bringen sie erstmals an diesem Abend "etwas Farbe ins Spiel" und zeigen in starkem Ausdruckstanz, welches Maß an körperlicher Kraft, Beweglichkeit und Kontrolle zwei Kunstformen verbindet, die zunächst völlig unterschiedlich erscheinen. Als Musik wählt Lee Musik von Nicolas Sàvva aus, die im Stil der Minimal Music gehalten ist. Die Tänzerinnen und Tänzer leisten Außergewöhnliches in diesem kurzen Stück und gehen bis an ihre Grenzen, so dass klar ist, wieso eine weitere Pause erforderlich ist.

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Blushing: Samuel Bassler

Der vierte und letzte Teil des Abends stellt in doppelter Hinsicht einen Bruch mit den vorherigen Stücken dar. Zum einen handelt es sich nicht um eine Uraufführung für das NRW Juniorballett. Zum anderen steht die Kreation in keinem Bezug zu dem Thema, das die ersten drei Stücke verbindet. Man fragt sich folglich, wieso Marco Goeckes Blushing nach einer zweiten Pause angehängt wird und der Abend nicht einfach nach den drei Choreographien endet. Wäre er mit knapp 80 Minuten für einen abendfüllenden Abend zu kurz gewesen? Immerhin wäre man noch rechtzeitig zum Anpfiff des Fußballspiels auf dem Friedensplatz zum Public Viewing gewesen. Goecke schuf Blushing 2003 für die Noverre-Gesellschaft und wurde anschließend dafür mit dem Prix Dom Perignon in Hamburg ausgezeichnet. Er versucht darin, eine Alltagssituation, das Erröten, in seine eigene Bewegungssprache umzusetzen, durch die er mit den Tänzerinnen und Tänzern kommuniziert. Zu Beginn sieht man einen dunkel gekleideten Mann in einem Lichtkegel, der sich zunächst gar nicht bewegt und dann plötzlich wie ein kleines Kind, das seinen Willen nicht bekommt, wütend auf und ab springt. Im weiteren Verlauf treten Tänzerinnen und Tänzer mal einzeln, dann paarweise oder als Gruppe auf und bewegen sich in teils abgehackten, dabei aber extrem schnellen und heftigen Bewegungen über die Bühne. Dabei zeigen sie dem Publikum häufig ihren Rücken. Mal laufen sie, dann robben sie sitzend vorwärts oder rückwärts. Auf Musik wird größtenteils verzichtet. Stattdessen geben nur laute Atem- oder Klatschgeräusche den Rhythmus vor. Anschließend erklingt eine Beschallung durch die Gruppe Garbage, zu der sich die Tänzerinnen und Tänzer expressiv bewegen. Teilweise wird auch Musik von Tom Waits unter diese recht unangenehme Klangkulisse gemischt. Bisweilen setzen die Tänzerinnen und Tänzer einen Finger wie eine Pistole an die Schläfe und sinken in sich zusammen, als ob sie von einem Schuss getroffen wären. Eine Antwort auf die Frage, wieso ein Mensch errötet, gibt die Choreographie nicht. Trotzdem scheint sich einem Teil des Publikums auch Goeckes befremdliche Kreation zu erschließen, da das NRW Juniorballett auch nach dem letzten Stück mit großem Jubel gefeiert wird. Was die körperliche Leistung betrifft, haben die jungen Tänzerinnen und Tänzer den Applaus allerdings auch verdient.

FAZIT

Die ersten drei Kreationen bilden eine nachvollziehbare und beeindruckende Einheit zum Thema des Abends. Goeckes Choreographie hingegen wirkt in diesem Zusammenhang wie ein Fremdkörper. Die jungen Tänzerinnen und Tänzer leisten Außergewöhnliches und empfehlen sich für eine viel versprechende Karriere in großen Compagnien.


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Produktionsteam

Licht
Tim Waclawek

Proportions in Palette

Choreographie, Kostüme und Visual Effects
Gaj Žmavc

Kostüme und Choreographische Assistenz
Stephanine Ricciardi

Tänzerinnen und Tänzer

*Premierenbesetzung

*Georgia Allardice /
Matilde Colombo
Jane Crow /
*Katia Battaggia
Jihan Jung
Phoebe Kilminster

Samuel Bassler
António Ferreira
Ned Manning-Lourey

The Full Length

Choreographie
Marijn Rademaker

Kostüme
Stephanine Ricciardi

Choreographische Assistenz
Daria Sukhorukova

Tänzerinnen und Tänzer

*Premierenbesetzung

*Samuel Bassler /
Milivoje Andrejevic
*Luke Talirz /
António Ferreira
*Ned Manning-Lourey /
Ryusei Kitamura

Troupe

Choreographie und Kostüme
Douglas Lee

Choreographische Assistenz
Jelena-Ana Moody

Tänzerinnen und Tänzer

*Premierenbesetzung

*Jane Crow /
Matilde Colombo
*Jihan Jung /
Georgia Allardice
*Milivoje Andrejevic /
Luke Talirz
*António Ferreira /
Samuel Bassler
 

Blushing

Choreographie und Kostüme
Marco Goecke

Licht
Udo Haberland
Tim Waclawek

Einstudierung
Nicole Kohlmann

Choreographische Assistenz
Daria Sukhorukova

Tänzerinnen und Tänzer

*Premierenbesetzung

Georgia Allardice
Matilde Colombo
Jihan Jung
Phoebe Kilminster

Milivoje Andrejevic
Samuel Bassler
António Ferreira
*Luke Talirz /
Ryusei Kitamura

 

 


Weitere Informationen
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Theater Dortmund
(Homepage)



Da capo al Fine

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