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Von Hoffnung und Liebe Von Thomas Molke / Fotos: © Leszek Januszewski
Neben den zahlreichen außergewöhnlichen Handlungsballetten, mit denen der Dortmunder Ballettdirektor Xin Peng Wang in den vergangenen Jahrzehnten den Ruhm der Tanzsparte weit über die Region hinausgetragen hat, sieht Wang es auch als seine Aufgabe, durch das Engagement von renommierten Gastchoreographinnen und Gastchoreographen seinem Ensemble die Möglichkeit zu geben, ihr eigenes Tanzvokabular zu erweitern und sich andere Stile zu erarbeiten. Zu seinem 20-jährigen Jubiläum in Dortmund war es ihm ein großer Wunsch, David Dawson, der derzeit zu den gefragtesten Choreographen weltweit zählt, nach Dortmund zu holen. Bereits im Alter von 19 Jahren wurde er 1991 mit dem Professional Level Prize des Prix de Lausanne ausgezeichnet. Es folgten 11 Jahre als Solotänzer in Birmingham, London, Amsterdam und Frankfurt, bevor er sich ab 2002 vollständig dem Choreographieren widmete. Fans des klassischen Handlungsballetts in NRW dürften sich noch an die großartige Inszenierung seiner Giselle erinnern, die er für das Semperoper Ballett Dresden 2008 kreierte und 2014 als Co-Produktion zwischen dem Aalto Ballett Essen und der Ballettsparte am Musiktheater im Revier neu einstudierte (siehe auch unsere Rezensionen in Essen und Gelsenkirchen). Auch abstraktere Choreographien wie A Million Kisses to My Skin oder A Sweet Spell of Oblivion waren in Essen in dem Ballettabend P4ssions bzw. in Gelsenkirchen in den Ballettabenden B3 vertanzt und Old, New, Borrowed, Blue zu erleben. Nach Dortmund kommt er nun mit zwei Kreationen, die in der Corona-Pandemie entstanden sind. Sae Tamura und Guillem Rojo i Gallego in Metamorphosis One Den Anfang macht die rund 35-minütige Choreographie Metamorphosis, die für das Dutch National Ballet entstand. Dawson bezeichnet es in einem Interview als das "vielleicht ehrlichste und wahrhaftigste Ballett", das er je kreiert habe. Aufgrund der durch die Pandemie auferlegten Einschränkungen durchlief das Stück verschiedene Phasen der Entwicklung. Die Premiere am 29.04.2021 konnte dann auch nur digital stattfinden. In diesem Werk durchleuchtet Dawson, was wir alle während der Pandemie erlebt haben, und versucht, allen Beteiligten Hoffnung zu geben und zu helfen, ihren Weg durch diese schwierige Zeit der auferlegten Isolation zu finden. Mit der gemeinsamen Erarbeitung einer Produktion brachte er die Tänzerinnen und Tänzer und die übrigen am Schaffensprozess beteiligten Abteilungen mit einem Ziel zusammen, etwas Gemeinsames zu schaffen, auch wenn es zunächst nur digital war. Als Musik wählte Dawson die fünf Klavierstücke Metamorphosis One bis Metamorphosis Five, die Philip Glass 1988 inspiriert von Franz Kafkas Novelle komponiert hat. Die Klavierstücke werden live aus dem verdunkelten Orchestergraben von Ana-Maria Dafova eindringlich interpretiert, allerdings über Lautsprecher verstärkt, so dass man stellenweise den Eindruck hat, die Musik wäre vom Band eingespielt. Ohne Verstärkung wäre der Flügel aus dem Graben allerdings vielleicht zu leise gewesen, und auf der Bühne kann man ihn wegen Platzmangels nicht positionieren. Sae Tamura in Metamorphosis Five Der Bühnenraum ist dunkel und relativ kahl gehalten. Aus dem Schnürboden hängen in mehreren Reihen Leuchtstoffröhren herab, die die kühle Atmosphäre unterstreichen. Auf der rechten und linken Seite der Bühne befindet sich eine Reihe von Scheinwerferbatterien, die ebenfalls ein fahles Licht auf die Bühne werfen. Darüber sind weitere Leuchtstoffröhren angebracht. Man hat das Gefühl, dass die Lichtgestaltung während der fünf Teile von Metamorphosis über die Bühne wandert. Die weißen Kostüme der Tänzerinnen und Tänzer bilden einen starken Kontrast zu dem schwarzen Hintergrund und stehen vielleicht für die Hoffnung oder das Licht am Ende des Tunnels. Am Anfang sieht man eine Tänzerin (Sae Tamura) vorne links und einen Tänzer (Guillem Rojo i Gallego) hinten rechts auf der Bühne in großem Abstand, wie man ihn zur Zeit der Pandemie wahren musste. Allmählich nähert sich der Tänzer der Tänzerin. Es kommt zu einer flüchtigen, zarten Berührung, bevor die beiden zu den beinahe meditativen Klängen von Glass ein bezauberndes Pas de deux im neoklassischen Stil präsentieren. Tamura begeistert dabei mit filigranem Spitzentanz, Gallego mit kraftvollen Hebefiguren. Der Bewegungsablauf ist dabei absolut elegant und virtuos. Am Ende von Metamorphosis One sammeln sich sechs Tänzerinnen und Tänzer im Hintergrund der Bühne und leiten bei Metamorphosis Two in ein homogenes Ensemble über, das ebenfalls durch große Eleganz überzeugt. Im ähnlichen Stil folgen die beiden weiteren Teile von Metamorphosis, bis bei Metamorphosis Five Tamura allein auf der Bühne steht und ein bezauberndes Solo präsentiert, bevor sie von Gallego schließlich beim Fallen des Vorhangs von der Bühne getragen wird. Das Publikum zeigt sich von der Virtuosität der Tänzerinnen und Tänzer absolut begeistert. Daria Suzi und Javier Cacheiro Alemán in Affairs of the Heart Die Pause ist dann fast länger als die beiden Choreographien im einzelnen, weil ein aufwändiger Bühnenbildumbau erforderlich ist. Für den zweiten Teil wird ein Bühnenbildelement benötigt, das so hoch ist, dass es während des ersten Teils nicht auf der Hinterbühne gelagert werden kann und somit in der Pause erst zusammengesetzt werden muss. Im zweiten Teil des Abends folgt die Kreation Affairs of the Heart, die für das Bayerische Staatsballett in München entstand und dort am 26.03.2022 zur Uraufführung kam. Das Stück war eigentlich bereits für einen früheren Zeitpunkt geplant, musste jedoch wegen der geltenden Corona-Bedingungen verschoben werden, so dass der Entstehungsprozess sich über einen Zeitraum von zwei Jahren hinzog, was Dawson die Möglichkeit gab, seine Ideen immer wieder zu überarbeiten und weiterzuentwickeln. Die Musik für Affairs of the Heart stammt von dem kanadischen Komponisten Marjan Mozetich, der 1997 ein Violinkonzert unter diesem Titel kreierte. Mozetich versucht darin, den Selbstmord eines guten Freundes zu verarbeiten. Stilistisch lässt sich eine Nähe zu Glass' Minimal Music erkennen. Dawson geht es in diesem Teil aber weniger um den Verlust als um die verschiedenen Formen der Liebe, die er von vier Paaren und fünf Solo-Tänzerinnen und Solo-Tänzern durchleuchten lässt. Im Gegensatz zum ersten Teil tragen die Tänzerinnen und Tänzer nun graue Kostüme. Die Rückwand ist eine Art Leinwand, auf der sich mehrere schwarze Balken befinden, die wohl mit kleinen farbigen Leuchtdioden ausgestattet sind. Während des Tanzes verschieben sich diese Balken langsam und erzeugen faszinierende farbliche Räume, die immer wieder einen neuen Hintergrund entstehen lassen und damit eine andere Stimmung erzeugen, was mit der jeweiligen Gefühlswelt korrespondiert, in der sich die Liebenden befinden. Die Tänzerinnen und Tänzer begeistern mit eleganten und virtuosen Bewegungen. Dabei wechselt das Vokabular zwischen absolut synchronen Abläufen und leicht versetzten Schritten und Drehungen, die von einer enormen Ästhetik gezeichnet sind. Ensembles werden von Pas de deux abgelöst und gehen in einzelne Soli über, die jeweils verschiedene Formen der Liebe beschreiben. Koji Ishizaka führt die Dortmunder Philharmoniker mit großem Fingerspitzengefühl durch die Partitur und gibt Shinkyung Kim an der Solovioline viel Raum, durch virtuoses Spiel zu glänzen und dabei die verschiedenen Stationen der Liebe plastisch auszuleuchten. So gibt es auch für diesen Teil tosenden Applaus für alle Beteiligten, in den sich der Choreograph David Dawson einreiht, der die Erarbeitung nicht nur seinen beiden Assistenten Christiane Marchant und Raphaël Coumes-Marquet überlassen hat, sondern für die Endproben selbst angereist ist. FAZITDawsons Bewegungssprache ist absolut elegant anzusehen und wird vom Ballett Dortmund mit großer Virtuosität und Leidenschaft umgesetzt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Choreographie
Lichtdesign Metamorphosis
Kostüme
Choreographische Assistenz
Klavier Tänzerinnen und Tänzer *Premierenbesetzung
Metamorphosis 1
Metamorphosis 2
Metamorphosis 3
Metamorphosis 4
Metamorphosis 5 Affairs of the Heart
Musikalische Leitung
Bühnenbild
Kostüme
Choreographische Assistenz Dortmunder Philharmoniker
Solovioline Tänzerinnen und Tänzer *Premierenbesetzung
*Daria Suzi /
*Javier Cacheiro Alemán /
*Manuela Souza /
*Georgia Allardice /
*Yingyue Wang /
*Paulina Bidzińska /
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