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Amadigi di Gaula

Oper in drei Akten (HWV 11)
Libretto von unbekannter Hand
Musik von Georg Friedrich Händel

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 15' (eine Pause)

Premiere in der Oper Halle am 24. Mai 2024
im Rahmen der Händel-Festspiele Halle (Saale) 

 

 



(Homepage)

Virtuelle Zauberwelt in Zeiten der KI

Von Thomas Molke / Fotos: © Anna Kolata

Die Geschichten um den hehren Ritter Amadis von Gallien haben lange Zeit den europäischen Büchermarkt beherrscht, bevor eine auch heute noch bekannte Parodie der erfolgreichen Romanserie den Todesstoß versetzte, indem sie den Ritterroman als Gattung ins Lächerliche zog: Miguel de Cervantes' Don Quijote. Erst Ende des 17. Jahrhunderts erlebte Amadis seine Wiedergeburt auf der Opernbühne, als Jean-Baptiste Lully auf persönliche Anregung Ludwigs XIV. die literarische Vorlage von Garcí Rodriguez de Montalvo vertonte. 15 Jahre später wurden in einer Komposition von André Cardinal Destouches aus Amadis ein griechischer Ritter, aus der angebeteten Oriane die Prinzessin Niquée von Theben und aus den bösen Zauberern Arcalus und Arcabonne ein Prinz von Thrakien, der mit Amadis um die Gunst der schönen Niquée buhlt, und eine mächtige Zauberin Melisse, die ebenfalls in den Ritter verliebt ist. Der Librettist Antoine Houdar de la Motte orientierte sich bei dieser Fassung am 9. Buch von Feliciano de Silva, einer Ergänzung der ursprünglich von Montalvo verfassten vier Bücher. Auch Händel, der nach dem durchschlagenden Erfolg mit seiner Oper Rinaldo 1712 zum Starkomponisten in London aufgestiegen war, wählte diese Version als Quelle aus. Dabei wandelte er den Ritter wieder in einen gallischen Helden um und ersetzte Niquée durch Oriana. Sein Amadigi wurde 1715 als fünfte Oper für das Londoner Publikum nicht zuletzt wegen der herausragenden theatralischen Bühneneffekte mit einem funktionstüchtigen Springbrunnen und einem großen Feuerbogen auf der Bühne ein riesiger Erfolg. Dass das Werk heutzutage eher selten auf dem Spielplan steht, mag der Tatsache geschuldet sein, dass die zahlreichen Effekte eine zentrale Rolle für das Stück spielen und die eigentliche Geschichte bisweilen in den Hintergrund treten lassen.

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Oriana (Serafina Starke, Mitte mit dem Ballett Halle) wartet auf ihren Geliebten Amadigi.

Die Handlung enthält die für die barocke Opera seria typischen Gefühlsverstrickungen und unerwarteten Wendungen. Der gallische Ritter Amadigi wird mit seinem Freund Dardano, einem Prinzen aus Thrakien, im magischen Garten der Zauberin Melissa gefangen gehalten, weil diese sich erhofft, die Liebe des jungen Ritters zu gewinnen. Doch Amadigi ist auf der Suche nach Oriana, die auch von Melissa entführt worden ist. Dardano, der ebenfalls in Oriana verliebt ist, entwickelt sich zu Amadigis Rivalen und vereitelt zunächst die Flucht seines Freundes, indem er den Plan Melissa verrät. Die Zauberin verspricht Dardano im Gegenzug Hilfe bei Oriana und lässt Amadigi durch ein Trugbild glauben, dass Oriana ihn mit Dardano betrüge. Amadigi ist zwar von Oriana enttäuscht, aber trotzdem nicht bereit, Melissa zu lieben. So verleiht die Zauberin Dardano Amadigis Gestalt, um Amadigi die Geliebte tatsächlich in den Armen eines anderen vorfinden zu lassen. Aber auch dieser Plan misslingt, da Amadigi nur den Nebenbuhler tötet und die Geliebte verschont. Schließlich ruft Melissa Dardanos Geist aus der Hölle, der allerdings mittlerweile geläutert ist und die Zauberin nicht weiter unterstützt. Als sie versucht, Amadigi und Oriana zu töten, kann sie das Schwert nicht gegen die Liebenden erheben und begeht schließlich Selbstmord. In einem Wolkenwagen schwebt Orianas Onkel, der Zauberer Orgando herab, um den Liebenden das Ende der Prüfungen zu verkünden und sie miteinander zu vereinen.

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Gefangen in der virtuellen Realität: Amadigi (Rafał Tomkiewicz)

Das Regie-Team um Louisa Proske überlegt, wie man in der heutigen Zeit eine Zauberwelt glaubhaft auf die Bühne bringen kann, und wird in der virtuellen Realität fündig. Im digitalen Zeitalter der KI können Realitäten geschaffen werden, die dem, was in der Oper passiert, entsprechen und dabei ermöglichen, die Betrachtenden zu blenden. Daher siedelt Proske die Geschichte in einem riesigen Rechenzentrum an, in dem Melissa mit den Rechnern faszinierende Welten entstehen und wieder zerfallen lässt. Jorge Cousineau hat dafür eindrucksvolle Video-Projektionen entworfen, die mal auf die Rückwand geworfen werden, mal auf einem Gaze-Vorhang vor den Figuren schimmern, oder teilweise auch als Trugbilder der Figuren auf einzelne Gegenstände des Bühnenbildes erscheinen. Kaspar Glarners Bühnenbild besteht aus riesigen blinkenden Rechnern, die die Bühne beherrschen und ständig in Arbeit blinken, um die von Melissa erzeugten Welten abzubilden. In einzelnen Sequenzen werden diese Rechner in Cousineaus Projektionen aufgenommen, so dass sie einen Raum mit einer unendlichen Tiefe entstehen lassen, in die das Publikum regelrecht hineingesogen wird. Die Kostüme, für die ebenfalls Glarner verantwortlich zeichnet, sind passend zu der künstlichen Ritterwelt gehalten, in die die Figuren eintauchen. Melissa erinnert als Zauberin dabei an Schneewittchens Stiefmutter aus dem Walt-Disney-Klassiker. Dabei trägt sie bei fast jedem Auftritt ein neues Kleid in anderer Farbe oder verwandelt sich auf der Bühne mit Hilfe ihrer Dienerinnen und Diener, die eindrucksvoll von sechs Tänzerinnen und Tänzern des Ballett Halle dargestellt werden.

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Melissa (Franziska Krötenheerdt, Mitte) beschwört die Mächte der Finsternis (Ballett Halle).

Bevor die Aufführung beginnt, sieht man eine riesige Drohne inmitten der Rechner, die beginnt, relativ laut zu surren und sich in den Schnürboden zu bewegen. Wenn das Händelfestspielorchester zur musikalischen Einleitung ansetzt, hat man zunächst die Sorge, das Summen der Drohne könne den musikalischen Genuss stören, wird aber bereits nach den ersten Takten eines Besseren belehrt, da der störende Ton verstummt. Im weiteren Verlauf der Aufführung taucht die Drohne noch einmal auf, um die Figuren zu scannen und somit aus Dardano ein Trugbild Amadigis zu erzeugen oder Oriana und Dardano als Fake News in inniger Umarmung zu zeigen. Mit diesem Ansatz lässt sich auch in einer modernen Welt die mittelalterliche Geschichte glaubhaft und packend erzählen. Für das Ende hat sich Proske dann einen besonderen Coup ausgedacht. Wenn Melissas Zauberreich untergeht - Melissa verschwindet dabei in einem der Rechner -, zerbricht auch die virtuelle Welt und gibt den Blick auf den Hallenser Marktplatz am Dom frei. Als Zauberer Orgando (Deulrim Jo) schwebt die Händel-Statue, die auf dem Marktplatz steht, aus dem Schnürboden herab und kündigt das Ende der Prüfungen für Amadigi und Oriana an. Statistinnen und Statisten schlendern nun als gewöhnliche Hallenser Bürgerinnen und Bürger über diesen Marktplatz, und auch die Tänzerinnen und Tänzer finden sich in Alltagskleidung hier ein. Amadigi legt seine Perücke und den Ritterumhang ab und verwandelt sich ebenfalls in einen modernen Menschen. Die Videoprojektion beginnt, über den Marktplatz zu schwenken und verwandelt sich allmählich in eine Kugel. Soll auch die vermeintliche Realität nur eine Illusion sein?

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Melissa (Franziska Krötenheerdt) versucht, Dardano (Yulia Sokolik) zu instrumentalisieren.

Auch musikalisch lässt der Abend keine Wünsche offen. Yulia Sokolik begeistert mit kraftvollem Mezzosopran als unglücklich liebender Dardano. Ein Höhepunkt ist ihre Arie im ersten Akt, "Agitato il cor mi sento", in der Dardano erkennt, dass sein Freund Amadigi ein Rivale um die Gunst Orianas ist. Sokolik glänzt hierbei mit beweglichen Koloraturen in einer dunklen, melancholischen Färbung. Erwähnt werden muss auch die große Verzweiflungsarie "Pena tiranna" im zweiten Akt, die stark an die berühmte Arie "Lascia ch'io pianga" aus Rinaldo erinnert. Der thrakische Prinz hat darin seine Hoffnung auf Oriana aufgegeben. Franziska Krötenheerdt stattet die böse Zauberin Melissa mit spitzen Koloraturen aus, wenn sie am Ende des zweiten Aktes mit "Desterò dall'empia Dite" die Mächte der Unterwelt ruft, um Amadigi und Oriana zu quälen, oder wenn sie mit "Vane lungi dal mio petto" im dritten Akt versucht, ihre Liebe zu Amadigi aus ihrem Herzen zu vertreiben. Auch optisch fasziniert Krötenheerdt mit eindrucksvoller Mimik und Gestik in den großartigen Kostümen von Glarner. Beim Tod der Zauberin zeigt sich Krötenheerdt sehr wandlungsfähig, wenn sie mit bewegenden zarten Tönen von Amadigi Abschied nimmt und im Rechner verschwindet.

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Amadigi (Rafał Tomkiewicz; Mitte) und Oriana (Serafina Starke, Mitte) feiern ihre Freiheit (auf dem Sockel: Orgando (Deulrim Jo), rechts und links: Ballett Halle).

Serafina Starke stellt optisch und mit hell leuchtendem Sopran als Oriana einen gelungenen Kontrast zu der bösen Zauberin dar. Berührend setzt Starke ihre Arie zu Beginn des dritten Aktes an, wenn sie bereit ist, für ihren Geliebten Amadigi in den Tod zu gehen, zeigt aber auch mit kraftvollen Koloraturen, dass sie alles andere als eine sanft leidende Frau ist. Wenn Amadigi sie im zweiten Akt der Untreue mit Dardano beschuldigt, weiß sie sich stimmlich sehr kraftvoll zur Wehr zu setzen, und auch der Zauberin gegenüber bietet sie in der Arie "Ch'io lasci mai d'amare" kampfbereit die Stirn und lässt sich nicht einschüchtern. Rafał Tomkiewicz glänzt in der Titelpartie mit beweglichem Countertenor, der sowohl in den Tiefen über genügend Volumen als auch in den Höhen über enorme Durchschlagskraft verfügt. Im Ohr bleibt seine große Klagearie "Sussurrate, onde vezzose", wenn er den Verlust seiner geliebten Oriana betrauert und lautmalerisch das Rauschen des Wassers übernimmt. Mit strahlenden Koloraturen begeistert er in der Schlussarie "Sento la gioia", wenn Amadigi mit scheinbarer Leichtigkeit das wiedergewonnene Glück preist. Das Händelfestspielorchester Halle unter der musikalischen Leitung von Dani Espasa rundet den Abend in hoher Qualität musikalisch ab, so dass es am Ende für alle Beteiligten großen, verdienten Jubel gibt.

FAZIT

Louisa Proske findet mit der virtuellen Realität einen großartigen Zugang, die die mittelalterliche Handlung sehr modern erscheinen lässt, ohne sie dabei gegen den Strich zu bürsten. So ist die Aufführung ein Genuss für Augen und Ohren.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Dani Espasa

Regie
Louisa Proske

Bühnenbild und Kostüme
Kaspar Glarner

Video
Jorge Cousineau

Choreographie
Michal Sedláček

Licht
Heiko Reimann

Dramaturgie
Patric Seibert

 

Händelfestspielorchester Halle

Statisterie der Oper Halle


Solistinnen und Solisten

*Premierenbesetzung

Amadigi
Rafał Tomkiewicz

Oriana
Serafina Starke

Melissa
Franziska Krötenheerdt

Dardano
Yulia Sokolik

Orgando
Deulrim Jo

Tänzerinnen und Tänzer
*Laura Busquets Garro
*Ayana Kamemoto
*Roman Soviar
*Jorge Alexey Ruigomez Momene
*Giuseppe Lucenti
Pietro Chiappara
*Ada Marthine Marthinsen
Kanako Ishiko
Sonja Isemer


Weitere
Informationen

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(Homepage)



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