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Blick in den zerbrochenen SpiegelVon Stefan Schmöe / Fotos: Anna KolataLa Bohème ist, das haben die Kolleginnen und Kollegen von "Die Deutsche Bühne" nachgezählt, die "Oper der Saison", jedenfalls was die Zahl der Neuinszenierungen betrifft (nämlich 15). Was so sehr erstaunlich ja nicht ist, schließlich jährt sich der Todestag Giacomo Puccinis zum hundertsten Mal, und zur Konsolidierung der Auslastungszahlen von Theatern ist der Repertoire-Dauerbrenner sowieso ideal. Das Schicksal der schwindsüchtigen Mimí und ihrer verarmten Künstlerfreunde berührt - wobei Armut, auch das berichtet "Die deutsche Bühne", in aktuellen Inszenierungen (das OMM hat sich bisher die in Aachen, Dortmund und Hagen angeschaut) kaum eine Rolle spielt. Falls die nicht automatisch vom Publikum mitgedacht wird. Bohemiens: (v.l.) Rodolfo, Marcello, Schaunard, Colline
In Halle inszeniert Intendant Walter Sutcliffe persönlich. Er setzt einen riesigen Rahmen vor die Bühne, offenbar ein geborstener Spiegel, wie man an ein paar großen Scherben noch erkennen kann, und das Bühnenportal dahinter ist von matt gewordenen Spiegelflächen gerahmt. Das legt einen Hauch von Vergänglichkeit über (oder besser: vor) die Szenerie. Was hier aber gespiegelt werden soll, bleibt einigermaßen unklar. Die Gegenwart in der Vergangenheit jedenfalls nicht, denn Sutcliffe verlegt das Geschehen konsequent in die Jetztzeit. Die vier ziemlich coolen Bohemiens bewohnen eine unaufgeräumte Studenten-WG mit verdreckten Atelierfenstern, Spielwarenhändler Parpignol vertickt illegal gebrauchte Smartphones, und das Café Momus ist eine schicke Bar ohne erkennbares Pariser Lokalkolorit. Dazu passend liefern die Übertitel, die in Halle rechts und links von der Bühne zu sehen sind, eine zeitgemäß flotte und sehr, sehr freie Übersetzung, bei der im "Späti" eingekauft wird, die Geschehnisse gerne als "geil" kommentiert werden und das Feuilleton der Leipziger Volkszeitung als Tischunterlage herhalten muss. Im Dunklen: Mimí
Eine Bohème am Puls unserer Zeit also - mit den bei Modernisierungen dieser Oper üblichen Problemen. Da suchen Rodolfo und Mimí niedlich-romantisch im Dunklen nach dem verlorenen Wohnungsschlüssel der jungen Dame, weil ja die Kerzen ausgegangen sind - dabei könnte man ja auch den Lichtschalter drücken, denn in allen anderen Szenen genießt man durchaus die Vorzüge elektrischer Beleuchtung. An die beißende Kälte mag man angesichts von Musettes hochsommerlichen, sehr knappen Outfits auch nicht so recht glauben. Und Mimìs pink gefärbte Haare passen so gar nicht zum Auftreten von Sängerdarstellerin Anastasiia Doroshenko, die am Ende ganz klassisch auf ein paar schnell hingeworfenen Decken anrührend stirbt. Sei's drum, man erkennt die Geschichte wieder, die in den vielen Nebenaktionen ganz ansprechend ausinszeniert ist und sich einige Freiheiten gegenüber dem Original herausnimmt, in den Schlüsselszenen der konventionell erzählten Haupthandlung allerdings eine genauere Personenregie vertragen könnte. Das Café Momus: Vorne Marcello, rechts Musetta
Die Spiegel-Metaphorik bleibt dabei einigermaßen rätselhaft. Sutcliffe greift das Motiv insofern auf, als er den dritten Akt im Bühnenbild des zweiten, also auch im Café Momus, spielen lässt - der dritte und vierte Akt sind damit die tragische Spiegelung der ersten Hälfte. Mit einem Unterschied: Im zweiten Akt hängt ein riesiger Spiegel über der Bar (Ausstattung: Jon Bausor), der im dritten Akt gegen ein in Blautönen gehaltenes Bild (ist es dasjenige, das Marcello im ersten Akt gemalt hat?) ausgetauscht ist. Solche Querbezüge erscheinen einigermaßen bemüht, wirken andererseits einer allzu großen Beliebigkeit entgegen. Ästhetisch immerhin ist das Stück recht konsequent durchgestaltet. Mimís Tod
Sehr schön dargestellt ist der jugendliche Übermut der vier Bohemiens. Chulhyun Kim singt den Rodolfo mit metallisch strahlendem, höhensicherem Tenor, wobei Lautstärke mitunter vor Eleganz geht - wie auch beim draufgängerisch kraftvollen Bariton von Andreas Beinhauer als Marcello. Ki-Hyun Park steuert einen energischen Colline bei, Michael Zehe einen präsenten Schaunard, und man nimmt diesen jungen Männern das wilde Leben gerne ab. Das ist bei der Mimí von Anastasiia Doroshenko, die darstellerisch wenig von der Flippigkeit ihrer Haarfarbe einbringt, schon ein wenig schwieriger. Sie singt die Partie mit recht großem, nicht allzu mädchenhaftem Sopran. Franziska Krötenheerdt hat für die (sehr sexy dargestellte) Musette ein schönes, leicht eingedunkeltes Timbre, solange sie nicht forciert (wozu sie sich ab und an verleiten lässt). Auf Chor und Kinderchor ist ebenso Verlass wie auf die Staatskapelle Halle, die unter der Leitung von Chefdirigent Fabrice Bollon viele Details schön ausmusiziert, wobei die Musik manchmal allzu sehr auf der Stelle tritt und mehr Zug nach vorne gebrauchen könnte.
Walter Sutcliffe inszeniert eine Bohème, bei der man trotz der Verlegung in die Gegenwart und einiger Freiheiten am Rande weder entscheidende interpretatorische Neuansätze noch eine ausgefeilte Psychologie erkennt, die aber durch ihre ziemlich konventionellen Erzählstruktur souverän funktioniert und auf gutem musikalischem Niveau präsentiert wird. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Lichtdesign
Chor
Kinder- und Jugendchor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Mimì
Musetta
Rodolfo
Marcello
Schaunard
Colline
Benoît/Alcindoro
Parpignol
Hauptmann der Zollwache
Zöllner
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