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Sex and Crime im alten RomVon Thomas Molke / Fotos: © Matthias JungObwohl Claudio Monteverdis letzte Oper L'incoronazione di Poppea nicht am Anfang der Operngeschichte steht, markiert sie in zweierlei Hinsicht einen Neubeginn der Gattung. Zum einen war das Werk erstmals nicht für ein höfisches Ereignis konzipiert, sondern für ein kommerzielles Theater in Venedig. Das erklärt vielleicht, wieso es hier, was die Handlung betrifft, ziemlich "zur Sache geht", weil man ja schließlich ein zahlendes Publikum anlocken wollte. Zum anderen wird erstmals kein mythologisches Thema gewählt. Stattdessen stehen Personen auf der Bühne, die wirklich gelebt haben, auch wenn die Geschehnisse um den größenwahnsinnigen Kaiser Nero in den 60er Jahren des ersten nachchristlichen Jahrhunderts selbst bei der Uraufführung der Oper schon sehr weit zurücklagen. Die Oper Köln bringt nun eine Produktion heraus, die 2022 für das Festival in Aix-en-Provence in Kooperation mit Palau de les Arts Reina Sofía, der Opéra de Rennes und der Opéra de Toulon entstand (siehe auch unsere Rezension aus Aix-en-Provence). Beim Ablauf der Geschichte nimmt es der Librettist Francesco Busenello mit der Wahrheit nicht ganz so genau und erlaubt sich mit Blick auf die Bühnenwirksamkeit einige Freiheiten beim Umgang mit den historischen Begebenheiten. So war es in Wirklichkeit nicht Neros Lehrer und Erzieher Seneca, der der Liebe des Kaisers zu Poppea im Weg stand, sondern Neros Mutter Agrippina, die für ihre Opposition sterben musste. Seneca wurde von Nero erst einige Jahre später aus dem Weg geräumt, weil sich der Philosoph angeblich an einer Verschwörung beteiligt haben soll. Auch wurde der spätere Kaiser Otho (Ottone) in der Realität nicht in die Verbannung geschickt, weil er versucht hatte, seine ehemalige Geliebte Poppea zu töten, sondern vom Kaiser als Statthalter nach Lusitanien weggelobt, damit letzterer Poppeas Gunst gewinnen konnte. Ansonsten folgt das Libretto um den römischen Kaiser Nero (Nerone), der alle Hindernisse aus dem Weg räumt, um seine Geliebte Poppea zur Kaiserin zu krönen, im Großen und Ganzen der Überlieferung, auch wenn die Oper mit dem berühmten Schluss-Duett "Pur ti miro" verschweigt, dass das Liebesglück der frisch gekrönten Kaiserin nicht lange andauern sollte. Virtù (Adriana Bastidas-Gamboa, links) und Fortuna (Maria Koroleva, rechts) streiten, wer den größeren Einfluss hat. Amore (Camille Poul, Mitte mit dem restlichen Ensemble) schaut zu. Neben weiteren historisch nicht verbürgten Personen kommen in der Oper auch allegorische Figuren wie Fortuna (das Schicksal) und Virtù (die Tugend) zu Wort, die im Prolog darüber streiten, wer von den beiden die größere Macht über die Menschen besitzt. In Ted Huffmans Inszenierung verwandeln sich diese beiden im weiteren Verlauf der Geschichte in Ottavia (Virtù) und Drusilla (Fortuna), was recht passend für die beiden Charaktere ist. Das Bühnenbild von Johannes Schütz zeigt eine Art Probenraum, in dem Requisiten wie Tische und Stühle an den Seiten aufgestapelt sind. In der Mitte befindet sich im hinteren Bereich eine weiße Wand mit einer langen Bank, von der aus die Figuren des Stückes die Geschichte beobachten können. Für Verwirrung sorgt ein zweifarbiges Rohr, das über der Bühne schwebt und von den allegorischen Figuren in Schwingung gebracht wird. Stellenweise müssen sich die Darstellerinnen und Darsteller auch ducken, um nicht von dem Rohr am Kopf getroffen zu werden. Ein tieferer Sinn lässt sich darin nicht erkennen. Amore tritt auf und weist die allegorischen Figuren in ihre Schranken. Mit der folgenden Geschichte will er ihnen beweisen, dass die Liebe die einzige Macht der Welt ist, die alles bestimmt. Wie ein Spielleiter greift Amore immer wieder im weiteren Verlauf in die Handlung ein und manipuliert die Personen des Stückes. Knisternde Erotik zwischen Nerone (Jake Arditti) und Poppea (Elsa Benoit) (links hinten stehend: Amore (Camille Poul), dahinter sitzend: Ottavia (Adriana Bastidas-Gamboa)) Diese werden von Amore für dieses "Experiment" auf die Bühne geholt und verlassen diese im weiteren Verlauf auch in der Regel nicht. So sind alle Darstellerinnen und Darsteller während des ganzen Stückes auf der Bühne, beobachten von der Seite oder aus dem Hintergrund das Geschehen, und so wird offen gelassen, ob ihr Handeln vielleicht aus dem resultiert, was sie als Zuschauende wahrgenommen haben. In der Personenregie verlangt Huffman dem Ensemble einiges ab und macht durch moderne Kostüme (Astrid Klein) deutlich, wie aktuell die Geschichte um "Sex and Crime" im alten Rom auch heute noch ist. Jake Arditti und Elsa Benoit zeigen als Liebespaar Nerone und Poppea dabei vollen körperlichen Einsatz. So sinnlich aufgeheizt ist das Geschehen auf einer Opernbühne selten zu erleben. Dadurch dass Monteverdi auf große Arien verzichtet und mehr oder weniger in einem Parlando-Stil komponiert, lässt sich das zur Musik szenisch hervorragend umsetzen. Dabei zeigen Arditti und Benoit in den Liebesszenen extrem viel Haut. Wenn Nerone dann mit dem Dichter Lucano nach Senecas Tod die Ekstase der Liebe preist, kommt es zu einer erotischen Menage à trois zwischen Arditti, Benoit und Laurence Kilsby als Lucano. Poppea (Elsa Benoit, links) und Arnalta (John Heuzenroeder, Mitte) träumen von einer glorreichen Zukunft (rechts hinten: Nerone (Jake Arditti)). Neben dem mehr als eindringlichen Spiel des Ensembles lässt auch die musikalische Gestaltung des Abends keine Wünsche offen. George Petrou führt die Musikerinnen und Musiker des Gürzenich-Orchesters Köln äußerst feinfühlig durch die Partitur und arbeitet die unterschiedlichen Farben der Partitur differenziert heraus. Die Continuo-Gruppe, die Petrou am Cembalo I unterstützt, begeistert durch harmonischen Fluss und scheut sich nicht, bei den komischen Figuren wie Arnalta und Nutrice dem Tonfall Ecken und Kanten zu geben. John Heuzenroeder schlüpft sowohl in die Rolle von Poppeas Amme Arnalta, die am Ende der Oper durch die Krönung ihrer Herrin zur Hofdame aufsteigt, als auch in die Rolle der Nutrice, die sich um Ottavias Wohl kümmert. Mit hoch angesetztem Tenor und komödiantischem Spiel setzt er szenische Höhepunkte, wenn er sich als alte Nutrice gleich mit vier Männern vergnügt, um dann mitgeteilt zu bekommen, dass er als alte Frau den Zenit schon lange überschritten habe. Akzente setzt er auch im Schlussgesang der Arnalta, die sich wünscht, im nächsten Leben schon reich geboren zu werden. Drusilla (Maria Koroleva) liebt Ottone (Paul-Antoine Bénos-Djian). Jake Arditti, Paul-Antoine Bénos-Djian und Laurence Kilsby haben die Partien des Nerone, Ottone und Lucano bereits in Aix-en-Provence interpretiert und begeistern auch in Köln auf ganzer Linie. Arditti verfügt über einen in den Höhen kraftvoll strahlenden Countertenor, der dem ambivalenten Charakter des Kaisers mehr als gerecht wird. Auch darstellerisch nimmt man ihm den unberechenbaren Herrscher in jeder Sekunde ab. Bénos-Djian stattet die Partie des Ottone mit dunkel gefärbtem Countertenor aus, der die Leiden des betrogenen Mannes mit warmer Stimmführung zeichnet. Besonders eindrucksvoll gelingt ihm der innere Kampf, wenn er sich überlegt, ob er seine ehemalige Geliebte Drusilla für den Mordanschlag auf Poppea missbrauchen soll. Kilsby punktet als Lucano mit leuchtendem Tenor und intensivem Spiel vor allem in der Menage à trois vor der Pause. Elsa Benoit verfügt als Poppea über einen strahlenden Sopran, der in den Höhen glänzt. Im Gegensatz zu ihrer betörenden, lieblichen Stimme steht die Abgebrühtheit der Figur, die genau weiß, wie sie vom Kaiser ihren Vorteil erlangen kann. Ottavia (Adriana Bastidas-Gamboa, links) will, dass Ottone (Paul-Antoine Bénos-Djian) Nerone tötet (rechts: Camille Poul als Amore). Adriana Bastidas-Gamboa ist mit dunklem, kraftvollem Mezzosopran eine ideale Besetzung für die Partie der Ottavia, die standhaft ihre Leiden erträgt. Empört weist sie den Vorschlag ihrer Amme zurück, sich selbst auch einen Liebhaber zu suchen. Christoph Seidl gibt mit profundem Bass einen großartigen Philosophen Seneca, der nicht wahrhaben will, dass sein Zögling Nerone ihm entgleitet und ihn schließlich zum Selbstmord auffordert. Maria Koroleva stattet die Partie der Drusilla mit lieblichem Sopran aus. Camille Poul verfügt als Amore über einen beweglichen Sopran. Armando Elizondo und William Socolof runden das Ensemble in weiteren kleinen Rollen überzeugend ab. FAZIT Ted Huffman bringt die Geschichte mit einem spielfreudigen Ensemble absolut packend und immer noch hochaktuell auf die Bühne.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung Szenische Einstudierung Bühne Adaption Bühne Kostüme Bewegungscoach Licht Einrichtung Licht Dramaturgie
Gürzenich-Orchester Köln Solo Violoncello Barockharfe Cembalo I Cembalo / Orgel / Regal Laute / Theorbe I Laute / Theorbe II Viola da Gamba Kontrabass / Violone Solistinnen und Solisten*Premierenbesetzung Poppea
Nerone Virtù / Ottavia
Ottone Seneca
Arnalta / Nutrice / Famgilare I / Damigella Fortuna /
Drusilla Amore / Valletto Lucano / Soldato I / Famigliare II Liberto / Soldato II Littore / Famigliare III
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