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Die Reise nach Reims
(Il viaggio a Reims)

Dramma giocoso in einem Akt
Libretto von Luigi Balocchi
Musik von Gioachino Rossini

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 55' (eine Pause)

Premiere im Theater Krefeld am 17. März 2024

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Theater Krefeld-Mönchengladbach
(Homepage)
Zeitreise zur Krönungsfeier

Von Thomas Molke / Fotos: © Matthias Stutte

Rossinis Reise nach Reims (Il viaggio a Reims) nimmt im Kanon der wiederentdeckten Werke des Schwans von Pesaro eine besondere Stellung ein. Als "Cantata scenica" hatte Rossini das Stück eigentlich nur für die Krönungsfeierlichkeiten des französischen Königs Karl X. konzipiert und es nach drei Vorstellungen vom Spielplan genommen, um mehr als die Hälfte der Musik für seine spätere Oper Le Comte Ory zu verwenden. Doch noch im 19. Jahrhundert kam das Werk zweimal "zweckentfremdet" auf die Bühne, bevor es in Vergessenheit geriet. 1848 lud es unter dem Titel Andremo a Parigi? auf die Barrikaden nach Paris ein, und 1854 stand es als Il viaggio a Vienna in Wien zur Hochzeit von Kaiser Franz Joseph I. mit Kaiserin Sissi auf dem Spielplan. Eine aufwendige Rekonstruktion in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts beim Rossini Opera Festival in Pesaro führte 1984 zu einer grandiosen Wiederentdeckung mit einer hochkarätigen Besetzung unter der musikalischen Leitung von Claudio Abbado. Danach galt das Stück zunächst als nahezu unaufführbar für "gewöhnliche" Opernhäuser, da bei insgesamt 18 solistischen Rollen mindestens zehn sehr anspruchsvolle Partien zu besetzen sind. Doch das Werk etablierte sich gegen alle Erwartungen als absolute Kultoper bei zahlreichen Festivals, Workshops, Akademien und Konservatorien und hat mit über 600 Aufführungen in mehr als 150 Produktionen mittlerweile einen unaufhaltsamen Siegeszug über die ganze Welt angetreten. In Pesaro ist Il viaggio a Reims seit 2001 in jedem Sommer zweimal im Rahmen des alljährlichen Festival Giovane mit jungen Sängerinnen und Sängern der Accademia Rossiniana in einer Inszenierung von Emilio Sagi zu erleben. Nach dem Theater Aachen im Januar (siehe auch unsere Rezension) hat nun auch das Theater Krefeld-Mönchengladbach diese "Gelegenheitskomposition" in einer neuen szenischen Produktion zunächst in Krefeld auf den Spielplan gestellt.

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Madama Cortese (Heidi Elisabeth Meier), Don Alvaro (Rafael Bruck, Mitte) und Don Profondo (Hayk Deinyan, links) begutachten die Ausgrabungsstätte.

Eine Handlung im eigentlichen Sinne hat die Oper nicht. Eine illustre Reisegesellschaft aus ganz Europa macht im Badehotel "Zur Goldenen Lilie" in Plombières Zwischenstation, um von dort zu den Krönungsfeierlichkeiten des neuen französischen Königs Karl X. nach Reims aufzubrechen. Doch die Reise findet nicht statt, da am Tag der Abreise keine Pferde aufzutreiben sind. So machen die Gäste nach anfänglicher Enttäuschung aus der Not eine Tugend und feiern im Garten des Hotels ihr eigenes Fest. Vorher beschäftigen die leicht exaltierten Gäste allerdings noch ganz andere Probleme. Die modeverrückte französische Contessa di Folleville ist verzweifelt, weil die Kutsche mit ihrer Garderobe verunglückt ist und sie nun nicht weiß, was sie zu den Feierlichkeiten tragen soll. Der russische General Conte di Libenskof ist rasend eifersüchtig auf den spanischen Grande Don Alvaro, weil dieser heftig mit der polnischen Marchesa Melibea flirtet, und will ihn daher zum Duell fordern. Der schüchterne Lord Sidney ist unsterblich in Corinna, eine römische Improvisationskünstlerin, verliebt, bringt es jedoch nicht fertig, ihr offen seine Liebe zu gestehen, ganz im Gegenteil zu dem französischen Offizier Cavaliere Belfiore, der Corinna unverhohlen den Hof macht, obwohl er mit der Contessa di Folleville liiert ist. Der italienische Literat Don Profondo ist als leidenschaftlicher Sammler stets auf der Suche nach skurrilen Antiquitäten, und der Major Barone di Trombonok sieht sich mit "deutscher Gewissenhaftigkeit" als Schatzmeister für die Organisation der Reise in der Pflicht. Diese an sich eher dürftige Geschichte reichert Rossini mit einer unglaublich spritzigen Musik an und komponiert für jede dieser Figuren grandiose Arien und Szenen, die die Charaktere bei aller Verrücktheit liebenswert erscheinen lassen.

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Die Zeitmaschine landet in Krefeld: von links: Isabella (Anna Lautwein), Angela (Lisa Kaltenmeier), Belfiore (Woongyi Lee), Don Prudenzio (Miha Brkinjač), Lord Sidney (Matthias Wippich), Trombonok (Gereon Grundmann), Alvaro (Rafael Bruck), Modestina (Gabriela Kuhn), Corinna (Sofia Poulopoulou), Antonio (George Gamal), Madama Cortese (Heidi Elisabeth Meier) und Don Profondo (Hayk Deinyan).

Da einem heutigen Publikum die historischen Anspielungen und Bezüge der Oper größtenteils unverständlich sein dürften, haben sich moderne Regie-Teams die unterschiedlichsten Handlungsorte überlegt, an die sie das Stück verlegt haben. Während man in Aachen die Geschichte in der Gegenwart auf einer gesperrten Autobahn ansiedelt, wählt das Regie-Team um Jan Eßinger als Ort der Handlung eine archäologische Ausgrabungsstätte an Niederrhein. Dort hat ein Team aus Expertinnen und Experten eine Karosse mit acht lebenden Personen aus dem 19. Jahrhundert gefunden, die sich nach eigenen Aussagen auf dem Weg nach Reims befanden, um an den Krönungsfeierlichkeiten für König Karl X. teilzunehmen. Dafür werden die Figuren des Stückes in zwei Gruppen eingeteilt. Die einen sind die Reisenden aus dem 19. Jahrhundert, die auf dem Weg nach Reims waren und auch in dementsprechenden Kostümen (Benitha Roth) gekleidet sind. Die anderen gehören zum Forschungsteam, das die Reisenden mit Hilfe einer Zeitmaschine ins 19. Jahrhundert zurückschicken will. Doch die Zeitmaschine steckt im Stau auf der Autobahn am Kreuz Neersen. In dieser Ausgangssituation entspinnt Eßinger eine Komödie, die zwar in einigen Punkten stark von Rossinis Vorlage abweicht, aber nicht minder verrückt ist und eine überbordende Situationskomik entfaltet.

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Belfiore (Woongyi Lee) bedrängt Corinna (Sofia Poulopoulou).

Zu den Reisenden gehören neben der Contessa di Folleville, ihrem Geliebten Cavaliere Belfiore, ihrer Zofe Modestina und dem englischen Lord Sidney noch der Barone di Trombonok, Marchesa Melibea, Conte di Libenskof und Delia. Bei den vier letzten nimmt Eßinger in seiner Inszenierung die größten Änderungen der Reisenden vor. Trombonok wird vom Schatzmeister zum Kutscher, der die Kutsche bei dem Unglück gelenkt hat und sich dabei den Arm gebrochen hat. Melibea ist bereits mit Libenskof verheiratet, wobei Delia von der eigentlichen Waisen, die Corinna begleitet, zur schießwütigen Mutter von Libenskof mutiert, die zunächst einen Hasen, dann einen Vogel und schließlich sogar ein Wildschwein erlegt. Zu singen hat sie dabei genauso wenig wie im eigentlichen Stück. Dass Madama Cortese die Chefin des Forschungsinstituts ist, ist bei dieser Deutung eine logische Konsequenz. Ob man die Improvisationskünstlerin Corinna als Computergenie anlegen kann, ist sicherlich Ansichtssache. Witzig hingegen ist die Idee, den spanischen Grande Don Alvaro, der in Melibea verliebt ist, als leitenden Wissenschaftler des Instituts zu zeichnen, der schließlich aus Liebe zu der polnischen Marchesa seine eigene Forschung sabotiert und die Zeitmaschine, die schließlich per Hubschrauber zur Ausgrabungsstätte gebracht wird, zerstört. Mit einer gehörigen Portion Ironie wird diese Maschine nach der Pause am archäologischen Fundort im wahrsten Sinne des Wortes zu Grabe getragen, bevor man dann mit den erlegten Tieren Delias ein Festmahl feiert. Die zerstörte Zeitmaschine kann zwar am Ende niemanden mehr in eine andere Zeit versetzen, spuckt jedoch immerhin bei Corinnas Huldigungsgesang zahlreiche Kronen aus, mit denen sich die Figuren des Stückes dann am Ende allesamt selbst krönen.

Dass die Premiere überhaupt stattfinden kann, ist vor allem der Sopranistin Jeannette Wernecke zu verdanken, die kurzfristig für die erkrankte Heidi Elisabeth Meier als Madama Cortese eingesprungen ist. Dabei gelingt es ihr sogar, sich so in die Produktion einzufinden, als ob sie den Probenprozess begleitet hätte. Selbst in der Choreographie des Chors, der sich an Lord Sidneys Arie anschließt, wirkt sie neben Susanne Seefing als Maddalena und Lisa Kaltenmeier und Anna Lautwein, die als zwei Polizistinnen Angela und Isabella in die Geschichte eingefügt werden, wie ein natürlicher Bestandteil. Ihre Auftrittskavatine "Di vaghi raggi adorno" legt sie mit schlankem Sopran an und punktet mit glockenklaren Koloraturen, die sie beinahe komödiantisch sehr verspielt anlegt. Vielleicht hätten sich die Niederrheinischen Sinfoniker unter der Leitung von Giovanni Conti dabei ein bisschen im fulminanten Spiel zurückhalten sollen, um wie auch an einigen anderen Stellen den Gesang nicht zu überdecken. Auch bei den halsbrecherischen Tempi in den Parlando-Stellen ist die Abstimmung zwischen Orchester und Sängerinnen und Sängern bei der Premiere noch nicht immer ganz perfekt.

Sophie Witte gibt die Contessa di Folleville wunderbar exaltiert und punktet ebenfalls mit halsbrecherischen Koloraturen, nachdem sie zunächst mit leidenden Höhen und großartiger Komik den Verlust ihrer Garderobe beklagt hat. Gabriela Kuhn erträgt als Modestina die Launen ihrer Herrin sehr geduldig und überzeugt mit ironischem Spiel. Besonders beeindruckend ist, wenn Lord Sidney später seine Teetasse auf ihrer Haube abstellt, die sie dann den restlichen Verlauf des Stückes geschickt auf dem Kopf balanciert. Kejti Karaj ist als Marchesa Melibea in ihrem feuerroten Kleid eine Augenweide, so dass es nicht verwundert, dass sich der Forscher Alvaro in sie verliebt, was natürlich Libenskofs Eifersucht hervorruft. Patrick Kabongos Tenor als Libenskof klingt zunächst in den Höhen ein wenig angestrengt, steigert sich allerdings im Laufe des Abends und kann im weiteren Verlauf glänzen. Wunderbar spielt er den Kontrast zwischen eifersüchtigem Liebhaber und wehleidigem Mamasöhnchen aus, dem seine recht dominante Mutter Delia die Richtung vorgeben muss. Karaj verfügt als Melibea über einen satten Mezzosopran, der sehr verführerische Züge annimmt. Große Spielfreude entwickeln die beiden im Versöhnungsduett nach der Pause, in dem sie nicht nur stimmlich brillieren, sondern auch noch auf einem Hochsitz auf der linken Bühnenseite zu einem Schäferstündchen verschwinden. Rafael Bruck trägt es als Alvaro mit Fassung, dass er bei Melibea nicht landen kann und sein Sabotage-Akt somit umsonst war. Stimmlich überzeugt er mit virilem Bariton.

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Lord Sidney (Matthias Wippich, Mitte vorne) gibt sich die Ehre (von links: Libenskof (Patrick Kabongo), Isabella (Anna Lautwein), Belfiore (Woongyi Lee), Alvaro (Rafael Bruck), Modestina (Gabriela Kuhn), Antonio (George Gamal), Madama Cortese (Heidi Elisabeth Meier), Corinna (Sofia Poulopoulou), Don Prudenzio (Miha Brkinjač), Luigino (Kairschan Scholdybajew), Delia (Janet Bartolova), Trombonok (Gereon Grundmann), Zefirino (Arthur Meunier) und Don Profondo (Hayk Deinyan)).

Sofia Poulopoulou begeistert als Corinna schon im Anschluss an das Sextett, wenn sie mit engelhaftem Gesang aus dem Off zur Harfe die Wogen zwischen den beiden Streithähnen glättet, mit kraftvollem, rundem Sopran. Da verwundert es nicht, dass Lord Sidney sich in sie verliebt und auch der Cavaliere Belfiore auf sie aufmerksam wird. Im Duett mit Woongyi Lee als Belfiore liefert sich Poulopoulou einen großartigen Schlagabtausch und weist ihn mit markanten Höhen in seine Schranken. Lee punktet mit tenoralem Schmelz und gibt den Schwerenöter sehr leidenschaftlich. Matthias Wippich verfügt als Lord Sidney über einen profunden Bass und spielt die leichte Unbeholfenheit des Briten mit großem Spielwitz aus. Auch beim "Dell' aurea pianta" ("God Save The King") im Finale punktet Wippich mit herrlicher Komik. Gereon Grundmann verleiht dem Barone di Trombonok profunde Tiefe. Hayk Deinyan bleibt als Don Profondo allerdings ein wenig blass und kann die Komik in der Katalog-Arie "Medaglie incomparabili", in der Profondo die übrigen Mitreisenden karikiert, nicht richtig ausspielen. Die kleineren Rollen werden in der Personenregie von Eßinger ebenfalls aufgewertet und überzeugen allesamt durch große Spielfreude.

Ein weiterer musikalischer Höhepunkt ist das große Ensemble zu 14 Stimmen vor der Pause, in dem zunächst alle verzweifelt sind, weil die Reise nicht fortgesetzt werden kann, dann aber alle jubeln, weil sie beschließen, stattdessen nach Paris zu reisen. Der Brief, den Madama Cortese angeblich von ihrem Mann erhält, wird von dem Vogel gebracht, den Delia zuvor abgeschossen hat. Damit wird motiviert, dass Madama Cortese den übrigen nur etwas vormacht, denn wer schreibt im digitalen Zeitalter der Mobiltelefone noch Briefe? Die Solistinnen und Solisten finden dabei stimmlich zu einem furiosen Finale. Giovanni Conti bringt mit den Niederrheinischen Sinfonikern Rossinis atemberaubende Musik zum Sprudeln. Ein Überraschungsmoment für deutsche Ohren dürfte auch immer wieder sein, dass Rossini im Rahmen der traditionellen Melodien, die die einzelnen Gäste bei der Feier am Ende des Stückes auf ihre Heimat anstimmen, mit der Verwendung der Kaiserhymne, die Haydn Ende des 18. Jahrhunderts komponierte, bereits die Melodie der deutschen Nationalhymne vorweggenommen hat. So vergehen die knapp drei Stunden wie im Flug, und das Publikum feiert das Ensemble mit großem, verdientem Applaus.

FAZIT

Jan Eßinger findet eine kurzweilige, unterhaltsame Lesart für die absolut abstruse Geschichte. Das Ensemble begeistert durch große Spielfreude und macht deutlich, warum dieses verrückte Stück sich so großer Beliebtheit erfreut.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Giovanni Conti

Inszenierung
Jan Eßinger

Bühne und Kostüme
Benita Roth

Dramaturgie
Andreas Wendholz

 

Niederrheinische Sinfoniker

 

Solistinnen und Solisten

*Premierenbesetzung

Folleville
Sophie Witte

Modestina
Gabriela Kuhn

Belfiore
Woongyi Lee

Melibea
Kejti Karaj

Libenskof
Patrick Kabongo

Delia
Janet Bartolova

Sidney
Matthias Wippich

Trombonok
Gereon Grundmann

Cortese
Heidi Elisabeth Meier /
*Jeannette Wernecke

Corinna
Sofia Poulopoulou

Maddalena
Susanne Seefing

Profondo
Hayk Deinyan

Alvaro
Rafael Bruck

Prudenzio
Miha Brkinjač

Luigino
Kairschan Scholdybajew

Zefirino
Arthur Meunier

Gelsomino
Irakli Silagadze

Antonio
George Gamal

Angela
Lisa Kaltenmaier

Isabella
Anna Lautwein

 


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