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Mehr Abstraktion wagen
Von Stefan Schmöe / Fotos von Altin Kaftira
Ein Mann sitzt vor einer metallisch schimmernden Mauer, in sich versunken (Bühne: Curt Allen Wilmer und Leticia Gañán aus dem Kollektiv EstudiodeDos). Schwebende elektronische Klänge des schweizer Komponisten Domenico Melchiorre (* 1982) und ein düsteres Halbdunkel prägen die Atmosphäre. Dann beginnt er zu tanzen, ein Solo in ausladenden, geschwungenen Bewegungen, wobei der Körper wiederholt organisch fließend auf dem Boden abrollt. Iratxe Ansa und Igor Bacovic legen in dieser faszinierenden, von Márcio Moto beeindruckend getanzten Eingangssequenz die von Kreisen und Bögen bestimmte Bewegungssprache ihrer Choreographie Moto perpetuo ("ständige Bewegung") fest. An die Stelle von Vertikale und Horizontale (die man im dritten Teil des Abends noch ausgiebig sehen wird) und der himmelwärts orientierten Leichtigkeit des klassischen Balletts treten geschwungene, wenn man so will: in sich kreisende Abläufe, die mit großer Souveränität choreographiert und durchweg beeindruckend getanzt sind. ![]()
Tatsächlich ist die an Richard Serras stählerne Kunstwerke erinnernde Bühnenskulptur (wobei ihr notgedrungen deren gravitätische Schwere fehlt) keine Mauer, sondern eine Art dreifach gestaffeltes Tor, um die gemeinsame Mittelachse drehbar. Der Mann klopft dagegen und die Skulptur verschiebt sich, öffnet weiteren Tänzerinnen und Tänzer den Weg auf die Bühne. Was folgt, könnte ein Traum sein - oder ein Raum von Möglichkeiten des Lebens. Die anfänglich braunroten Alltagskostüme weichen bald sehr knappen Latexbodies für die Damen und ebensolchen Hosen, am Bund bereits neckisch eingerissen, für die Herren (Kostüme: Stefanie C. Salm). Spielten zuvor die Geschlechtszugehörigkeiten kaum eine Rolle, so entwickelt sich jetzt ein laszives Spiel. Dazu erklingt aus dem Orchestergraben die dritte Symphonie von Philip Glass, eine Komposition für Streichorchester. Durch Drehungen der Bühnenelemente ergeben sich ständig neue Perspektiven, und trotz einiger Vordergründigkeiten entwickelt die Choreographie einen ganz eigenen Sog. Am Ende des rund halbstündigen Stücks sitzt der Mann dann wieder allein vor seiner Mauer. Auch das ist ein Aspekt des ewigen Kreislaufs. ![]() Moto perpetuo: Màrcio Mota, Phoebe Kilminster, Skyler Maxey-Wert Die zweite Uraufführung des Abends verantwortet der junge südafrikanische Choreograph Mthuthuzeli November, der im klassischen Ballett ausgebildet ist und zunächst auch neoklassisch choreographiert hat, wie er im Programmheft angibt. In Ivocation ("Anrufung") greift er das Tanzvokabular seiner Heimat auf, das nicht akademisch geprägt ist, sondern seine Wurzeln in tradierten Ritualen hat. So beruht diese Choreographie auf der Erinnerung an eine Zeremonie in der Hütte von Novembers Vater. Die Ausstattung dazu hat November gemeinsam mit Yann Seabra (Kostüme) und Helena du Mesnil de Rochemont (Bühne) entworfen. Man sieht eine angedeutete zeltartige Hütte aus Schilfgras, und Tänzerinnen und Tänzer agieren in hautfarbenen Kostümen mit einer Art Baströckchen. Im Zentrum steht ein Mann mit langen schwarzen Haaren (Joaão Miranda), der ein Schamane sein könnte, und später gesellt sich ein zottiges Wesen in blauen und roten Farben dazu (Long Zou). Die Gruppe steht oft im Kreis um den Schamanen und dieses Wesen herum und stampft breitbeinig mit den Füßen. Das hat Kraft und Urwüchsigkeit, erhält aber durch die Ausstattung einen unangemessen folkloristischen Beigeschmack. Dabei hätte November durchaus mehr auf die Suggestivkraft der Bewegungen vertrauen können. Für die Transformation auf eine Theaterbühne hätte womöglich ein größeres Maß an Abstraktion geholfen. ![]()
Weitere Probleme kommen mit der Musik, die November gemeinsam mit Alex Wilson komponiert hat: Herausgekommen ist ein ziemlich konventionelles, filmmusikartig eingänglich harmonisiertes Orchesterstück, das immer wieder wie eine sehr, sehr weichgespülte Paraphrase auf Strawinskys Jahrhundertwerk Le sacre du printemps wirkt. (Leider "klappern" bereits die ersten Akkorde, und die Düsseldorfer Symphoniker spielen unter der Leitung von Thomas Herzog nicht nur diese Komposition, sondern auch zuvor die Symphonie von Glass und später John Adams Fearfull Symmetries zwar klanglich opulent, aber mit wenig rhythmischer Schärfe und allzu oberflächlich routiniert.) Hat man dazu auch noch die Bilder von Pina Bauschs singulärer Choreographie des Sacre vor Augen, zuletzt umwerfend getanzt von Tänzerinnen und Tänzern aus Afrika (unsere Rezension), dann erscheint Novembers Invocation wie ein laues Lüftchen. In den letzten Minuten spielt November Musik der afrikanischen Sängerin Babalwa Zimbini Makwetu ein. Mehr davon wäre musikalisch wohl der überzeugendere Weg gewesen. ![]() Invocation: Long Zou und Ensemble
Den letzten und stärksten Teil des Abends bildet Vers un Pays Sage ("Auf dem Weg in ein weises Land") von Jean-Christophe Maillot. Der Titel bezieht sich auf ein Gemälde von Maillots Vater Jean, der kurz zuvor gestorben war. Das Werk entstand 1995 für Les Ballets de Monte Carlo, als dessen Direktor Maillot seit 1993 amtiert. In der Uraufführung tanzte Raphaël Coumes-Marquet, der inzwischen gemeinsam mit Bridget Breiner das Düsseldorf-Duisburger Ballett am Rhein leitet und für den die Aufführung dieses Werkes eine Herzensangelegenheit ist. Maillot spielt mit der Formensprache des Neoklassizismus, unterläuft diese aber raffiniert mit Alltagsgesten, Anspielungen auf Gesellschaftstänze und andere unkonventionelle Elemente, woraus sich eine verspielte, aber sehr organische Sprache ergibt. Die Kostüme in strahlendem Weiß - knappe Trikots für die Damen, Hosen und T-Shirts für die Herren - wirken auf den ersten Blick streng und zeigen auf den zweiten kleine individuelle Abweichungen. Auch das ist ein witziges Spiel mit den Konventionen, die sich noch in der gleichen Frisur und annähernd gleichen Körpergröße der Tänzerinnen andeutet. Die leere Bühne wird von einer riesigen Leinwand abgeschlossen, die in wechselnden leuchtenden Farben angestrahlt wird. Daraus ergeben sich Bilder von großer Klarheit und starker Wirkung. Der Tanz scheint einem streng durchgeplanten Ablauf zu folgen wie einem unsichtbaren Mechanismus. Am Ende sieht man auf einem transparenten Schirm das Bild, das dem Stück den Namen gibt. Dahinter sinkt eine Tänzerin in den Armen eines Tänzers zu Boden - eine Verbildlichung des Abschieds in einem insgesamt vor Energie nur so strotzenden Werkes. ![]()
Die oft extrem schnelle und energiereiche Choreographie wird vom zwölfköpfigen Ensemble mit hoher Präzision und Eleganz getanzt. Wenn in einer Szene zweimal zwei Tänzerinnen wie siamesische Zwillinge nebeneinander aberwitzig auf Spitze trippeln, dann wird die Musik von John Adams - Fearful symmetries ("beängstigende Symmetrien") suggestiv verbildlicht. Überhaupt hört Maillot sehr genau auf die Komposition und nimmt deren Farbwechsel immer wieder als Impuls für den Tanz auf. So wird Vers un Pays Sage, obgleich ein Stück Trauerarbeit über den Verlust des Vaters (oder gerade deswegen) eine grandiose Feier der Schönheit.
Kaleidoskop ist ein spannender Ballettabend mit drei sehr unterschiedlichen, auch unterschiedlich gewichtigen Choreographien geworden, wobei das 30 Jahre alte Vers un Pays Sage von Jean-Christophe Maillot die beiden Uraufführungen, Ansas und Bacovichs ansehnliches Moto perpetuo und Novembers allzu unentschlossen zwischen den Kulturen pendelnde Invocation in den Schatten stellt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Dramaturgie Düsseldorfer Symphoniker Moto perpetuo
Choreographie
Bühne
Kostüme
Licht
Choreographie, Bühne, Musik
Associated Choreographer
Kostüme
Bühne
Licht
Choreographie
Bühne
Kostüme
Licht
Choreographische Einstudierung
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