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Kloster, Kneipe, Karneval
Von Stefan Schmöe / Fotos von Barbara Aumüller
Wo gibt es heutzutage noch Prinzen? Dem Düsseldorfer fällt die Antwort leicht: Im Karneval natürlich. Dahin schickt dann auch Vasily Barkhatov seine Wassernixe Rusalka, allerdings nicht ins weltstädtisch-elegante Düsseldorf, sondern irgendwo in die trostloseste Provinz: in eine Kneipe an einer Straßenkreuzung weitab der nächsten Stadt. Hier ist die junge Frau Rusalka, eben aus einem Kloster geflüchtet, völlig überfordert und sprachlos im übertragenen Sinn. Sie weiß nicht, wie man sich in dieser Welt verhält, kennt die ungeschriebenen Regeln des Karnevals nicht, und bleibt die Außenseiterin. Das kann niemals gut ausgehen. ![]() Leben im Kloster: Rusalka (2. von links) und Nymphen, die hier bösartige Novizinnen sind
Barkhatov (der an der Rheinoper schon den Fliegenden Holländer aus heutiger Perspektive betrachtet hat - unsere Rezension) erzählt die Geschichte von Rusalka ziemlich genau nach. Dafür übersetzt er die Handlung aus einer spätromantisch-freudianischen Märchenwelt (Dvořáks Oper wurde 1901 uraufgeführt) in die Gegenwart. Die Welt des Teiches, in dem Rusalka lebt, wird zum orthodoxen Kloster. Zur Ouvertüre sieht man, wie sie als kleines Kind dort aufgenommen wird, heranwächst, von anderen Novizinnen gedemütigt wird, Strafen ertragen muss und sich immer mehr in eine Traumwelt vom Familienglück flüchtet. Das glaubt sie aus einer irgendwie hier hineingeschmuggelten Zeitschrift zu kennen. Der Wassermann des Librettos tritt als Priester auf, die Hexe Ježibaba als Oberin, die Nymphen werden zu Novizinnen. Den romantischen Traum vom Prinzen symbolisiert ein gemalter Theatervorhang mit Waldlichtung, unter dem Rusalka hindurchkriecht, wenn sie die Welten wechselt. Sie projiziert ihre Vorstellung vom Familiengück auf den ersten Mann, den sie trifft - einen Motorradfahrer, dem eine Kneipe im Niemandsland gehört und der offenbar zum örtlichen Karnevalsprinzen berufen wurde. Der findet sie kurzzeitig interessant, ihre Unbeholfenheit aber auch schnell nervig. Also verschwindet er im Verlauf der Party alsbald mit einem karnevalserfahrenen Cowgirl (der "fremden Fürstin" in der Oper) auf der Toilette. Der Ansehensverlust durch die kurze Affäre mit Rusalka ist trotzdem groß. Der Karnevalsprinz endet als Alkoholiker auf der Straße. Rusalka scheint sich, ganz eindeutig ist das nicht, im Taufbecken des Klosters (das sie nicht wieder aufnimmt) zu ertränken. ![]() Rusalka am Taufbecken
Die Regie arbeitet in diesem alles in allem schlüssigen Setting recht gut die Kernpunkte des Dramas, insbesondere dessen Grausamkeiten, heraus. Die psychologische Entwicklung Rusalka wird ebenso greifbar wie ihre Verlorenheit zwischen zwei sehr verschiedenen, auf ihre Art unerträglichen Welten. Das raffinierte Bühnenbild (Christian Schmidt) auf der Drehbühne ermöglicht virtuos die Wechsel zwischen den verschiedenen Räumen: Einer trostlosen Eingangshalle des Klosters, dem Kirchenraum mit Taufbecken, der einfachen Kneipe mit winziger Toilette und Waschraum. Kirche und Kneipe sind hier zwei Seiten desselben Objekts, und beide haben Elemente eines Theaters. Dadurch weitet sich die Inszenierung vom realistischen Provinzdrama zur allgemeingültigeren Coming-of-Age-Tragödie. Im dritten Akt bleibt zunehmend offen, was Realität und was Erinnerung ist. Die Nymphen verwandeln sich zwischendurch in drei junge Mädchen, die Rusalka in verschiedenen Altersstufen zeigen. Getragen wird das Konzept eindrucksvoll durch das ausdrucksstarke und nuancierte Spiel von Nicole Chevalier in der Rolle der Rusalka. Sängerisch hebt sie mit großformatigem Sopran regieadäquat die jugendlich-dramatischen Züge und weniger die lyrischen Momente der Partie hervor. Szenen wie dem populären "Lied an den Mond" fehlt es dann ein wenig an Schlichtheit und Liedhaftigkeit. Das entspricht, mehr dazu später, auch der Herangehensweise des Dirigenten. Das große Drama wird auch musikalisch eindrucksvoll hörbar. ![]() Das ist die Welt, in die Rusalka flüchtet. Links der Prinz.
Die Regie spielt raffiniert und oft ziemlich boshaft mit Symbolen. Das Wasser (im Libretto Rusalkas eigentliches Element) hat große Bedeutung, präsent vor allem durch ein großes Taufbecken. Immer wieder taucht Rusalka lange ihren Kopf hinein. Dahinter steht wohl ein Rest an Hoffnung auf Geborgenheit, aber auch Welt- und Lebensflucht. Die boshaften Novizinnen drücken Rusalkas Gesicht auf ganz ähnliche Weise in einen Nachttopf, wodurch das Motiv des Eintauchens eine weitere traumatische Konnotation erhält. Die Kostüme (Kirsten Dephoff) spielen mit Querbezügen. Als Kind (und später als Frau in der Menschenwelt) trägt Rusalka ein kitschiges T-Shirt mit Meerjungfrau und Prinz (dem Disney-Film Arielle nachempfunden); auf der Karnevalsparty drückt man ihr ausgerechnet ein Nonnenkostüm in die Hand. Als Pervertierung der Wasserwelt tanzt in der Kneipe andauernd und ziemlich nervig ein als Frosch kostümierter Mann herum. Der Prinz legt natürlich sein Ornat an. Mehr Prinz ist für Rusalka nicht drin. Es gibt also viel böse Ironie und einigen schwarzen Humor. Aber im Kontrast dazu stehen poetische Bilder, etwa wenn Rusalka sich fröstelnd in den Theatervorhang einwickelt, der vorher ihre romantisch verklärte Traumwelt andeutete. ![]() Nein, das wird keine Ménage-à-trois. Auf der Toilette treffen Rusalka (rechts), die fremde Fürstin und der Prinz aufeinander.
Giorgi Sturua singt mit durchsetzungsfähigem und höhensicherem Tenor, dem es ein wenig an Geschmeidigkeit fehlt, einen überzeugenden Prinzen, Luke Stoker einen stimmgewaltigen, dabei recht poltrigen Wassermann-Priester. Anna Harvey gibt der Ježibaba-Oberin auch stimmlich große Autorität und eine beeindruckende Mischung aus Würde und Gefährlichkeit. Sarah Ferede singt eine solide, nicht allzu verführerische Cowgirl-Fürstin. Sehr schön klingt das jugendliche, gut aufeinander abgestimmte Nymphen-Terzett (Mara Guseynova, Elisabeth Freyhoff und Katya Semenisty). Mit Jorge Espino (Wildhüter), Kimberley Boettger-Soller (Küchenjunge) und Henry Ross (Jäger) sind auch die Nebenrollen gut besetzt. Harry Ogg am Pult der Düsseldorfer Symphoniker dirigiert die Oper durchaus spannend als großes Musikdrama, in dem jeder Takt bedeutungsschwer klingt. Dadurch gehen die volkstümlichen Elemente verloren, und auch märchenhafte Lyrik hat es schwer. Der eher dicke, nicht allzu konturierte Orchesterklag dürfte transparenter sein.
Vasily Barkhatov zeigt mit einer genau psychologisierenden Personenregie eine insgesamt schlüssige und spannende Umsetzung des Märchens in die Gegenwart. Musikalisch recht gut. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung Vasily Barkhatov
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Der Prinz
Die fremde Fürstin
Rusalka
Der Wassermann
Ježibaba
Wildhüter
Der Küchenjunge
1. Nymphe
2. Nymphe
3. Nymphe
Ein Jäger
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