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Sage mir, was Du tanzt, und ich sage Dir, wer Du bist
Von Stefan Schmöe / Fotos von Ferdinand Albert Charleston oder Csárdás? Mary Lloyd (reiche Amerikanerin, liebt Charleston, möchte sich etwas Ungewöhnliches wie z. B. einen Adeligen kaufen) trifft auf Sandor Boris (Erbbrinz des fiktiven Landes Sylvarien, mag Csárdás und Walzer, braucht dringend Geld zur Vermeidung des Staatsbankrotts). Genregemäß lassen sich beider Probleme nach einigen Verwirrungen durch eine Liebesheirat geradezu ideal lösen. Dazu brauchen sie allerdings die Hilfe von Marys Begleiter James Bondy (im Original Filmvorführer, das wird indirekt noch wichtig) und Sandors Cousine Rosemarie (Prinzessin des auch finanziell nicht besser gestellten Nachbarstaats), die sich ebenfalls verlieben - die Gattung Operette benötigt schließlich traditionsgemäß noch ein zweites Paar. Klare Verhältnisse also, die Emmerich Kálmán 1928 in der Herzogin von Chicago im Spannungsfeld zwischen „alter“ europäischer und „neuer“ amerikanischer Musik komponierte. Kreneks ein Jahr zuvor uraufgeführter Sensationserfolg Jonny spielt auf hatte solche Sujets populär gemacht. Kompliziert wird‘s dadurch, dass Regisseurin Geertje Boeden nicht „die Fehde zweier Länder oder Nationen mit sämtlichen Klischees abarbeiten“ möchte, wie sie im Programmheft schreibt. Warum sie dann allerdings aus den USA ein Phantasialand mit dem nicht eben klischeefreien Namen „Dollarika“ macht, bleibt rätselhaft. Aber so begegnen sich Sandor und Mary sozusagen von Operettenstaat zu Operettenstaat auf Augenhöhe. ![]() Den Crash von alter (europäischer) und neuer (amerikanischer) Musik deutet die Regie in den ewigen Konflikt zwischen Tradition und Moderne um. Um ein passendes Bild zu finden, überschreibt sie die Handlung mit der Geschichte des Films, genauer mit der Verdrängung des Stummfilms durch den Tonfilm. Man könnte der Idee einen gewissen Reiz abgewinnen, weil das Medium Film ja im Werk verschiedentlich angesprochen wird (u. a. in der oben genannten Figur des Filmvorführers mit dem schönen Namen James Bondy) und weil es ziemlich genau in die Entstehungszeit der Operette passt. Nur ist es ziemlich ungünstig, dass dadurch die traditionsverhafteten Sylvarier streng genommen durchweg stumm bleiben müssten - das halten sie gerade einmal geschätzte zwei Minuten durch. Dann setzt Ausstatterin Beata Kornatowska andere Akzente: Schwarz-weiß (die altmodischen walzerseligen Europäer) versus Farbfilm (die modernen jazzbegeisterten Amerikaner). Und die Kostüme zitieren Filmgrößen der jeweiligen Zeit: Charlie Chaplin (in dessen Outfit präsentiert sich Erbprinz Sandor), Buster Keaton, Laurel und Hardy stehen für den Stummfilm, Marylin Monroe (in deren Kleidern sieht man Mary) und James Dean für den Farb- und Tonfilm. ![]() Erbprinz Sandor von Sylvarien soll Prinzessin Rosamunde aus dem Nachbarland heiraten - was beide entschieden ablehnen. Nett anzuschauen ist das durchaus und entstaubt die Operette, aber inhaltlich geht das Konzept nicht auf. Es ist ja nicht nur das Aussehen, das man mit Chaplin oder der Monroe verbindet, sondern eben auch Körperbau, die Art der Bewegung, ein bestimmter Gestus - das alles passt hier so gar nicht zu den Rollen der Figuren. Die schwerreiche Mary gibt sich zwar wie die Monroe als Diva, was die Überschreibung leidlich plausibel macht, aber sie möchte mit Geld und nicht mit Sex-Appeal an ihr Ziel kommen. Prinz Sandor, Thronfolger von Sylvarien, hat außer der Geldknappheit denkbar wenig mit dem Charlie Chaplin der Stummfilmzeit, dem ewigen Tramp und Underdog, gemein. Und wenn die Darsteller von Laurel und Hardy nicht einmal entfernt die Statur der beiden, die dem Künstlerduo in Deutschland den unsäglichen Namen „Dick und Doof“ einbrachte, besitzen, dann ächzt der Ansatz gehörig. Er passt nicht zur Handlung, nicht zum Text, nicht zur Musik und nicht zur Dramaturgie der Operette, die sich am Ende mit den beiden kulturübergreifenden Paaren das Beste aus beiden Welten herausgreift. Man hat den Eindruck, dass die trotzdem ziemlich flotte Aufführung die Film-Metapher wie nervigen Ballast mitschleppt, an dem man irgendwie vorbeispielt. ![]() An Spielfreude mangelt es dem engagierten und auch stimmlich überzeugenden Detmolder Ensemble jedenfalls nicht. Wobei ein paar Kürzungen im gesprochenen Text und eine frechere Choreographie das Vergnügen noch hätten steigern können. Es ist aber mit Chor, Extrachor und einem kleinen Tanzensemble viel los auf der Bühne. Wobei auch schnell klar wird: Egal ob Charleston oder Csárdás, Walzer oder Foxtrott - es bleibt brav bürgerlich. Von der frivolen Freizügigkeit der 1920er-Jahre-Operette, wie sie zuletzt in Köln in Eine Frau von Format zu bestaunen war, ist man hier denkbar weit entfernt. Man tanzt hochgeschlossen in eleganten Kostümen der goldenen Zwanziger oder im lässigen 50er-Jahre-Look. Einen Hauch von Erotik versprüht der Auftritt Marys in der Badewanne in ihrem neu erstandenen Schloss. Johanna Nylund spielt die Figur souverän zupackend und singt mit großem, strahlenden Sopran. Kein Zweifel: Sie hat hier das Sagen. ![]() Mary und ihr Begleiter, der auf den schönen Namen James Bondy hört Stephen Chambers singt den Boris mit strahlender tenoraler Höhe und bemüht sich tapfer, der Figur den von der Regie verordneten schlacksigen Charme eines Charlie Chaplin zu verleihen, auch wenn der so gar nicht zu einem Staatsmann passen will. Christin Stanowsky gibt eine sympathisch-natürliche Prinzessin Rosemarie, die allzu gern den aristokratischen Zwängen entflieht und sich in die Arme des lausbubenhaften James Bondy (mit draufgängerischem Esprit: Nikos Striezel) wirft. An der Textverständlichkeit könnte insgesamt noch gefeilt werden. Schauspieler Heiner Junghans hält mit komischem Aktionismus als übergeordneter Erzähler den Abend, der von ihm als Film angekündigt wird, zusammen. Er soll einen Filmproduzenten darstellen (und gleichzeitig Marys Vater Benjamin Lloyd, was nicht weiter von Bedeutung ist), und da darf er Kraft seiner finanziellen Macht das Happy End verordnen, das die Regie, geradezu niedlich, schnell noch mit einem Fragezeichen versehen möchte - dabei käme sicher niemand auf die Idee, es ginge hier auch nur einen Moment um Wahrhaftigkeit. Chor und Extrachor sind bestens bei Stimme, und das gut aufgelegte Orchester steuert unter der Leitung von Claudio Novati einen süffigen Sound bei, egal, um welche Tanzform es sich handelt.
Der Regieansatz, die frisch geadelte Gräfin von Chicago aus der Welt der Operettenkleinststaaten kurzerhand in die Sphäre des Films zu bugsieren, geht nicht auf. Trotzdem ganz amüsant und musikalisch sehr ordentlich. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Choreographie
Licht
Maske
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Sandor Boris
Prinzessin Rosemarie
Graf Bojatzowitsch / Tihanyi
Marquis Perolin / Kompoty
Graf Ernesto
Der Produzent / Benjamin Lloyd / Der Haushofmeister
Mary Lloyd
James Jacques Bondy
Edith Rockefeller
Maud Carnegie
Daisy Vanderbilt
Dolly Astor
Lilian Ford
Baby Steel
Kuppi Mihaly
6 Boys bei Sandor
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