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Was kann man gegen die Menschen tun?
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Barbara Aumüller Wir haben es hier mit einer frühen Öko-Oper zu tun: Melusine setzt (vergeblich) ihre magischen Fähigkeiten ein, um einen verwilderten Park vor der Bebauung zu retten. In der literarischen Tradition ist die Melusine eine Art Fee, dem Wasser verbunden, und ihre Liebe zu einem Menschen ist nur unter strengen, in der Regel nicht erfüllbaren Bedingungen möglich. Yvan Goll (1891 - 1950) verarbeitete den Stoff 1922 zu einem Schauspiel, dessen Handlung im Paris seiner Zeit angesiedelt ist, als seine Frau Claire Goll die Bebauung eines solchen Parks nahe ihrer Wohnung miterleben musste. Daraus gestaltete Claus H. Henneberg das Libretto für die 1970 uraufgeführte Oper von Aribert Reimann. Zeitlich fällt die Entstehung zusammen mit einer Diskussion um eine globale Bevölkerungsexplosion bei begrenzten Ressourcen und der wachsenden Skepsis gegenüber der Atomkraft - zwei Jahre später sollte der Club of Rome die vielbeachtete Studie Die Grenzen des Wachstums herausbringen. Im Kleinen reflektiert Reimann also eine der großen Fragen der Zeit. ![]() Melusine, unglücklich verheiratet und immer noch im Brautkleid, und der geliebte Baum, der dem Bau eines Schlosses weichen soll
Die Goll-Henneberg-Reimann'sche Melusine, von der Mutter unglücklich mit dem Immobilienmakler Oleander verheiratet, verbringt ihr Leben bevorzugt im geheimnisvollen Park gegenüber ihrem Wohnhaus - bis dieser Park verkauft wird und mit einem Schloss bebaut werden soll. In ihrer Verzweiflung wendet sie sich an die Pythia, einen weiblichen Naturgeist mit übernatürlichen Fähigkeiten. "Was kann man gegen die Menschen tun?", fragt sie. Die Pythia zaubert ihr einen Fischschwanz und damit die Fähigkeit, alle Männer zu verführen (und, so der Hintergedanke, damit von der Arbeit abzuhalten). Nur verlieben darf sie sich nicht, woran die Geschichte natürlich scheitert. Ausgerechnet dem neuen Besitzer, dem Grafen Lusignan, gibt sie ihre trotz Ehe bewahrte Jungfräulichkeit hin. Sie wirft sich also dem Kapital an den Hals, anstatt entsagungsvoll die Natur zu retten. Die Strafe folgt umgehend: Die Pythia entflammt ein Feuer, in dem der Graf und Melusine umkommen. ![]()
Melusine ist aber auch eine Coming-of-Age-Story, bei der sich das Mädchen Schritt für Schritt emanzipiert: Erst legt sie in der Inszenierung von Aileen Schneider ihr kokonartiges Brautkleid ab, später Fischschwanz und Schulterpanzer, sodass sie im hautengen Ganzkörperanzug ihrem Grafen gegenübersteht. Sopranistin Anna Nekhames bewältigt die höchst anspruchsvolle Koloraturpartie mit Bravour und einer bestechenden Selbstverständlichkeit, als seien Aribert Reimanns tonraumgreifende Melismen das Normalste von der Welt. Und sie spielt die Partie mit entwaffnender jungmädchenhafter Naivität. Wobei die Regie kein Umwelt-, Sozial- oder Psychodrama nachzeichnet, sondern mit den Fantasiekostümen von Lorena Díaz Stephens eine unwirklich märchenhafte Sphäre heraufbeschwört. ![]() Mit übernatürlichen Kräften ausgestattet: Die Pythia
Im Bockenheimer Depot sitzt das Publikum im Halbkreis um eine kreisförmige Bühne herum (an der anderen Seite ist das Orchester platziert) und befindet sich ganz nah am Geschehen. Die Auftritte erfolgen oft durch die Gänge zwischen den Publikumstribünen hindurch, wobei die immer etwas plakative Botschaft "das geht uns an" hier unaufdringlich bleibt. Über der Bühne hängt eine rätselhafte Skulptur (Bühnenbild: Christoph Fischer). Diese besteht aus zwei Kreisringen (der eine davon, ein großer Schlauch, wird am Ende zur Feuersbrunst Bühnennebel versprühen), in deren Zentrum ein stempelförmiges, offenbar technisches Objekt hängt. Entfernt erinnert das an ein Elektronenrastermikroskop, mit dem die Welt im Kleinsten untersucht wird. Aber es bleibt eine surreale Atmosphäre, die das Werk auf der Ebene des modernen Märchens belässt, was ziemlich gut funktioniert. Wenn dort, wo zunächst der giftgrün leuchtende, von Melusine geliebte Baum stand, mit wenigen Elementen ein Schloss im Stil der 1970er-Jahre (schmiedeeiserne Gitter, orangefarbene Kacheln) angedeutet wird, besitzt die Inszenierung auch einigen Witz. ![]()
Gesungen wird auch jenseits der Titelpartie ausgezeichnet. Mezzosopranistin Zanda Švēde ist eine Pythia von enormer stimmlicher Präsenz, Liviu Holender ein eleganter Graf mit einschmeichelndem baritonalem Charme. Cecelia Hall als Madame Laperouse, Melusines Mutter, und Tenor Jaeil Kim als Makler Oleander geben mehr als solide die Überlebenden der Katastrophe. Morgan-Andrew King singt mit schönem Bass den Oger, auch so ein geheimnisvolles Naturwesen und Melusines Vater. Unter der Leitung von Karsten Januschke geht das Frankfurter Opern- und Museumsorchester die Partitur sehr flächig mit transparentem Klang an. Da, wo es scheinbar nicht so darauf ankommt, könnte die Präzision noch größer sein; in den (wenigen) Steigerungen und großformatigen Entwicklungen spielt das Orchester sehr konzentriert. Exzellent klingen die Flöte und vor allem die Solo-Bratsche, die Reimann als Leitinstrumente einsetzt. Mit dieser doch sehr fesselnden Aufführung schlägt die Frankfurter Oper einen Bogen von Reimanns letzter Oper L'invisible, im März im Opernhaus aufgeführt (unsere Rezension), zu seinen frühen Werken - Melusine ist nach Ein Traumspiel (1965) sein zweites Werk für das Musiktheater. Wenn beide Inszenierungen das Unwirkliche hervorheben und ästhetisch hell ausgeleuchtete, die Wirklichkeit verfremdende Objekte in den schwarzen Raum stellen, ergibt sich - ein schöner Zufall (Absprachen hat es nicht gegeben) - auch noch ein spannendes ästhetisches Wechselspiel.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Dramaturgie
Solisten
Melusine
Pythia
Madame Laperouse
Oleander
Graf von Lusignan
Geometer
Maurer
Architekt
Oger
Erste Dame
Zweite Dame
Dritte Dame
Erster Herr
Zweiter Herr
Sekretär
Drei Arbeiter
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