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Jolanthe

Lyrische Oper in einem Akt
Libretto von Modest Tschaikowsky
Musik von Peter Tschaikowsky

in russischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Der Feuervogel

Tanzstück von Francesco Nappa
Musik von Igor Strawinsky

Aufführungsdauer: ca. 2 h 35' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus am 15. Februar 2025


Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Befreiung durch Licht

Von Thomas Molke / Fotos: © Bettina Stöß

Tschaikowskys letzte Oper Jolanthe, die in Russland zum Standardrepertoire gehört, setzt sich einigen Jahren auch auf westeuropäischen Bühnen durch und hat trotz ihrer relativ abstrusen Handlung, die bei weitem nicht an die Dramaturgie eines Eugen Onegin, Mazzeppa oder einer Pique Dame heranreicht, mittlerweile auch hier einen größeren Bekanntheitsgrad erlangt. Einen großen Verdienst daran dürfte Anna Netrebko haben, die von 2009 bis 2013 das Werk zunächst zu den Sommerfestspielen Baden Baden, dann zu den Salzburger Festspielen gebracht hat und anschließend in der Titelpartie noch durch insgesamt 10 westeuropäische Städte getourt ist. Auch das Musiktheater im Revier hat dieses Werk in der vergangenen Spielzeit auf den Spielplan gestellt (siehe auch unsere Rezension), und nun folgt das Theater Hagen. Wie in Gelsenkirchen wird der Operneinakter auch in Hagen mit einem Stück von Igor Strawinsky kombiniert. Während man sich in Gelsenkirchen allerdings für die relativ kurze lyrische Erzählung Le Rossignol entschieden hat, wählt man in Hagen Strawinskys Ballett Der Feuervogel, mit dem seine Weltkarriere begann, und stellt somit dem Spätwerk Tschaikowskys ein Frühwerk Strawinskys gegenüber, zwischen deren Entstehungszeit weniger als 20 Jahre liegen. Wie in Gelsenkirchen liegt die Ausstattung für beide Teile des Abends in einer Hand. In Hagen entwirft Julia Burkhardt sowohl die beiden Bühnenbilder als auch die Kostüme.

Tschaikowskys Oper basiert auf dem 1845 erschienenen Drama Kong Renés Datter des dänischen Schriftstellers Henrik Hertz. Es handelt von der Königstochter Jolanthe, die durch ein tragisches Unglück als kleines Kind die Fähigkeit verloren hat zu sehen. Um sie zu schützen, hält König René sie vor der Außenwelt verborgen und verbietet seinem Gefolge unter Androhung der Todesstrafe, Jolanthe über ihre Blindheit und die Schönheit des Sehens aufzuklären. Der Ritter Robert von Burgund kommt mit seinem Freund Gottfried Vaudémont zum König, um seine Verlobung mit Jolanthe, die bereits im Kindesalter vereinbart worden ist, zu lösen, da er sich mittlerweile in Mathilde verliebt hat. Bei ihrer Ankunft entdecken sie die schlafende Jolanthe im Garten, und Vaudémont verliebt sich sofort unsterblich in sie. Als er erkennt, dass sie blind ist, schildert er ihr das Licht in den schönsten Farben. Der König will ihn dafür hinrichten lassen, doch der maurische Arzt Ibn-Hakia sieht in Jolanthes aufkeimenden Gefühlen für den Ritter eine Chance, die junge Frau durch eine Operation zu heilen. Jolanthe willigt sofort ein, sich der Behandlung zu unterziehen, wenn dadurch der Fremde gerettet werden kann. So erlangt sie ihr Augenlicht zurück, Vaudémont wird begnadigt, und einer glücklichen Verbindung zwischen den beiden steht nichts mehr im Weg.

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Vaudémont (Anton Kuzenok) dringt in Jolanthes (Angela Davis) Welt ein.

Für die Titelfigur in Hertz' Drama gab es ein reales Vorbild: Jolande, die Herzogin von Lothringen, die 1445 ihren Vetter Friedrich II. von Vaudémont heiratete. Hertz wählte zur Darstellung der begrenzten Welterkenntnis der Herzogin die Blindheit, die sie von der Außenwelt abschirmt. Auch dem Regie-Team um Isabel Ostermann geht es in ihrer Inszenierung weniger um Blindheit im eigentlichen Sinn als vielmehr um eine Isolation. So hat Burkhardt einen riesigen Quader als Rahmen entworfen, der Jolanthes Welt bildet. Hier fühlt sie sich sicher und bewegt sich frei, während die anderen diesen Quader zwar über zwei Türen betreten könnten, sich aber in der Regel außerhalb dieses Quaders aufhalten. Selbst die Amme Martha, die Jolanthe zu Beginn das Essen und Getränke bringt, begibt sich nur in den Türeingang, in dem dann Jolanthe eine gewisse körperliche Nähe zu ihrer Ziehmutter sucht. Unklar bleiben die in der Luft schwebenden Stühle und Tische, die teilweise von Jolanthe herabgeholt werden, wenn sie Vaudémont Rosen überreichen will. Eindrucksvoll gestaltet sind hingegen die Lichteffekte (Martin Gehrke) im Hintergrund, die zunächst farblos sind und mit dem Auftritt von Vaudémont in unterschiedlichen Farben zu schillern beginnen.

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Befreiung aus der Isolation: von links: Brigitta (Anja Vogelsberger), Vaudémont (Anton Kuzenok), Robert (Kenneth Mattice), Martha (Lucie Ceralová), Jolanthe (Angela Davis), Ibn-Hakia (Insu Hwang), Almerik (Richard van Gemert), König René (Dong-Won Seo), Bertrand (Junhyuk Lee) und der Chor

Interessant umgesetzt ist auch die Farbgebung bei den Kostümen. Während Jolanthe wie in einem Krankenhaus in klinischem Weiß auftritt, sind die Dienerinnen und Diener, die sie in ihrer Welt umgeben, in farblosem Schwarz gekleidet, um Jolanthe nicht aus ihrer isolierten Welt herauszureißen. Nur der Arzt Ibn-Hakia, der eine Heilung für möglich hält, trägt bunte Farben, während der König und Vaudémont ebenfalls eher unscheinbar in der Kostümierung wirken. Folglich gibt es am Schluss auch keine Operation, sondern eine Art "Therapie-Sitzung" im Quader. Während Vaudémont bei König René um Jolanthes Hand anhält und Robert darum bittet, seine Verlobung mit der Königstochter lösen zu dürfen, sieht man Ibn-Hakia mit Jolanthe im Hintergrund im vertieften Gespräch. Die "Erleuchtung" folgt dann, indem Jolanthe ihren Käfig verlässt, zunächst sehr zögerlich, dann aber doch entschlossen, und endlich die Welt in all ihren Farben und ihrer Schönheit erkennt. Dafür geht dann auch das Licht im Saal an, der ebenfalls zu der neuen Welt gehört, die sich Jolanthe fortan erschließen wird.

Musikalisch bewegt sich der Abend auf hohem Niveau. Dabei ist hervorzuheben, dass das Theater Hagen die Produktion fast ohne Gäste stemmen kann. In der Titelpartie glänzt Angela Davis mit leuchtendem Sopran. Dabei stellt sie die Unsicherheit und Verwirrung Jolanthes eindrucksvoll dar. Anton Kuzenok begeistert als Ritter Vaudémont mit geschmeidigem Tenor und strahlenden Höhen. Dong-Won Seo stattet Jolanthes Vater René mit einem autoritären, dunklen Bass aus. Insu Hwang verleiht dem Arzt Ibn-Hakia mit kraftvollem Bariton Ausdruck. Kenneth Mattice zeichnet den Verlobten Robert mit beweglichem Bariton. Ofeliya Pogosyan und der zum Kammersänger ernannte Richard van Gemert überzeugen als Dienerin Brigitte und Almerik. Als Gäste ergänzen Lucie Ceralová, Anja Vogelsberger und Junhyuk Lee das Ensemble. Ceralová stattet die Amme Martha mit einem satten Mezzosopran aus, und Lee punktet als ihr Ehemann Bertrand mit profundem Bass. Vogelsberger verfügt als Dienerin Laura wie Pogosyan über einen hellen, frischen Sopran. Rodrigo Tomillo taucht mit viel Gefühl mit dem Philharmonischen Orchester Hagen in die lyrisch anmutende Partitur Tschaikowskys ein und lässt das Werk musikalisch in schillernden Farben leuchten, so dass es großen und verdienten Applaus für alle Beteiligten am Ende des ersten Teils gibt.

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Experiment misslungen: Der Feuervogel (Antoine Luc Koutchouk Charbonneau, oben) entschlüpft den Ärzten (von links: Stefano Milione, Quentin Nabor und Yu-Hsuan (Mia) Hsu).

Für den zweiten Teil des Abends hat Ballettchef Francesco Nappa Strawinskys Feuervogel choreographiert. Mit dem ursprünglichen Märchen um den jungen Zaren Iwan Zarewitsch, dem ein sagenumwobener Feuervogel hilft, die wunderschöne Zarewna aus der Gewalt des unsterblichen Kaschtschej zu retten, hat Nappas Tanzstück allerdings gar nichts zu tun. Stattdessen verwendet er die Ballettsuite für Orchester, die Strawinsky 1945 für eine konzertante Aufführung anfertigte. Nappa verlegt die Geschichte in ein dystopisches Labor, in dem Ärzte in langen grauen Kitteln unter Leitung einer Chefärztin Experimente an Klonen vornehmen, die in ihren Kostümen ein wenig an Ausstellungsobjekte der "Körperwelten" erinnern. Die Klone werden in großen Käfigen gehalten und auf dem Labortisch seziert. Burkhardt hat eine dunkle nach hinten spitz zulaufende abgeschlossene Halle mit weißen Neonlampen an der Decke entworfen, die die unheimliche Atmosphäre noch unterstreicht. Unter diesen Klonen entwickelt sich einer zum Feuervogel, der Reste seines Bewusstseins entdeckt und die anderen Klone zu einer Rebellion anstiftet. Es kommt zu einem eindrucksvollen Kampf zwischen den Klonen und den Ärzten, bei dem die Klone zunächst zu unterliegen scheinen. Doch am Ende legen die Ärzte ihre Kittel ab, mutieren gewissermaßen ebenfalls zu den Klonen. Der Feuervogel zündet ein riesiges Feuer an, die Wände werden eingerissen, und die Klone fliehen aus dem Labor. Ist diese Befreiung durch Licht (Feuer) ein Weg in eine bessere Zukunft?

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Die Klone befreien sich (Ensemble).

Rodrigo Tomillo arbeitet mit dem Philharmonischen Orchester Hagen die teils sehr unbequemen Klangfarben Strawinskys ganz im Sinne der Choreographie heraus, so dass die Bilder wunderbar zur Musik passen. Nahezu unheimlich wirkt der Anfang, wenn man die gefangenen Klone in den Käfigen sieht und die Ärzte gnadenlos ihre Experimente mit ihnen durchführen. Dann kommt der plötzliche Umschwung, der sich musikalisch wie eine Explosion gestaltet und das Publikum regelrecht in die Sitze drückt. Die Klone begehren auf. Mit zwei hochgestellten Operationstischen, aus denen abwechselnd Klone und Ärzte hervortreten, wird der Kampf zwischen den beiden Gruppen eindrucksvoll umgesetzt. Das Ballett Hagen, das durch eine ausdrucksstarke Bewegungssprache begeistert - besonders hervorzuheben sind hier Antoine Luc Koutchouk Charbonneau als Feuervogel und Yu-Hsuan (Mia) Hsu als Chefärztin -, wird durch Elevinnen und Eleven und das Kollektiv i Move Hagen unterstützt, das ein Zusammenschluss tanzbegeisterter junger Menschen in Hagen ist, die in wöchentlichen Trainings beim Ensemble ihre tanztechnischen Fähigkeiten erweitern und bereichern. So begeistert auch der zweite, wesentlich kürzere Teil des Abends auf ganzer Linie.

FAZIT

Das Theater Hagen unterstreicht einmal mehr mit zwei sehr unterschiedlichen Produktionen die hohe Qualität des Musiktheaters und des Tanzes am Haus.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Rodrigo Tomillo

Bühne und Kostüme
Julia Burkhardt

Licht
Martin Gehrke

 

Philharmonisches Orchester Hagen

 

Jolanthe

Inszenierung
Isabel Ostermann

Chor
Julian Wolf

Dramaturgie
Thomas Rufin

Chor des Theaters Hagen

Solistinnen und Solisten

Jolanthe
Angela Davis

Vaudémont
Anton Kuzenok

König René
Dong-Won Seo

Ibn-Hakia
Insu Hwang

Robert
Kenneth Mattice

Marta
Lucie Ceralová

Brigitta
Ofeliya Pogosyan

Laura
Anja Vogelsberger

Almerik
Richard van Gemert

Bertrand
Junhyuk Lee

 

Der Feuervogel

Konzept und Choreographie
Francesco Nappa

Künstlerische Mitarbeit
Giulia Insinna

Dramaturgie
Waltraud Körver

Ballett Hagen

i Move Hagen

Tänzerinnen und Tänzer

*rezensierte Aufführung

Feuervogel
*Antoine Luc Koutchouk Charbonneau /
Hannah Law

Klone
*Matteo Castelletta
*Pietro Coda
Yu-Hsuan (Mia) Hsu
*Evan Inguanez
*Hannah Law
*Ariadna Llussa Sanz
*Ruxandra Martina

Chefärztin
Maria Sayrach Baró /
*Yu-Hsuan (Mia) Hsu

Ärzte
*Maria Giovanna Godino
*Stefano Milione
*Quentin Nabor
*Salvatore Piramide

Ärzte i Move Hagen
Annika Dombrowski
Hannah Emami
Nino Robin Müller
David Pamin
Caroline A. Vandenberg

 


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen
(Homepage)




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