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Vom Asche- zum
Goldregen Von Thomas Molke / Fotos: © Leszek Januszewski
Die Geschichte vom Aschenputtel ist nicht zuletzt durch die berühmte tschechoslowakische Verfilmung Drei Nüsse für Aschenbrödel aus dem Jahr 1973 unweigerlich mit der Vorweihnachtszeit verbunden. So verwundert es nicht, dass gleich zwei NRW-Bühnen Rossinis La Cenerentola im Dezember auf den Spielplan gestellt haben. Dass die Premieren am Aalto Theater in Essen und im Theater Hagen dabei auch noch auf den gleichen Tag fallen, ist wohl einem unglücklichen Zufall geschuldet. So kann man zwar nicht beide Premieren besuchen, aber dennoch dank der Folgevorstellungen beide Produktionen in der Einstimmung auf das Weihnachtsfest sehen. Ein Vergleich lohnt sich in diesem Fall allemal, da beide Regie-Teams einen völlig anderen Ansatz wählen. Dabei hat das Stück anders als Humperdincks Hänsel und Gretel eigentlich nichts Weihnachtliches, da Rossini und sein Librettist einige Änderungen an der berühmten Märchenvorlage von Charles Perrault vorgenommen haben. Angelina (Lamia Beuque) träumt von einer besseren Zukunft. Anders als der Titel der Oper vermuten lässt, orientiert sich die Handlung an der 1810 erschienenen Opéra-féerie Cendrillon von Nicolas Isouard auf ein Libretto von Charles-Guillaume Étienne und Agatina ovvero La virtù premiata, die 1814 in Mailand von Stefano Pavesi auf ein Libretto von Francesco Fiorini vertont wurde. Dabei wird auf jegliche märchenhaften Elemente verzichtet, und die Figuren ähneln realen Menschen. Hinzu kommen zahlreiche Eingriffe in der Figurenkonstellation. So wird die ursprüngliche böse Stiefmutter durch den Stiefvater Don Magnifico ersetzt, was wohl dem Bedürfnis nach einer großen komischen Buffo-Bass-Partie geschuldet war. Gleiches gilt für die Einführung des Dieners Dandini, der mit dem Prinzen die Rollen tauscht, damit dieser die potentiellen Ehekandidatinnen zunächst inkognito prüfen kann. Dass Cenerentola, die bei Rossini eigentlich Angelina heißt, auf dem Ball des Prinzen keinen Schuh verliert, sondern dem Prinzen einen Armreif überreicht, der ihm auf der Suche nach ihr als Erkennungsmerkmal dienen soll, war wohl vor allem der damaligen Zensur in Rom geschuldet. Die Entblößung eines Fußknöchels auf der Bühne schien 1817 im Kirchenstaat unangemessen. Außerdem wirkt ein Armband als "vergöttertes und teures Pfand", das der Prinz Don Ramiro in den Händen hält und in seiner großen Arie "Pegno adorato e caro" besingt, vielleicht passender als ein Schuh. Wie in Pavesis Agatina zieht auch bei Rossini statt einer guten Fee der Philosoph Alidoro die Fäden, der als Erzieher des Prinzen dessen Weg zu Angelina lenkt, deren Güte er zunächst als verkleideter Bettler geprüft hat. Don Magnifico (Tigran Martirossian, links) will verhindern, dass Angelina (Lamia Beuque) zum Ball des Prinzen Don Ramiro (Anton Kuzenok, Mitte) geht (auf der rechten Seite von links: Alidoro (Dong-Won Seo) und Dandini (Oleh Lebedyev)). Während das Regie-Team in Essen zur Variante mit dem Schuh zurückkehrt, ansonsten die märchenhaften Elemente aber durch größtenteils sehr alberne Slapstick-Komik mit einem am Ende feministischen Zeigefinger interpretiert (siehe auch unsere Rezension), bleibt das Regie-Team um Friederike Blum in Hagen bei der Variante mit dem Armreif und zitiert mit einem gewissen Augenzwinkern zahlreiche Elemente der bekannten Märchenvorlage. So gibt es beispielsweise mehrere Kürbisse, die sich zwar nicht wie bei der Walt-Disney-Verfilmung in eine Kutsche verwandeln, aber trotzdem Angelina auf ihrem Weg zum Ball des Prinzen irgendwie begleiten. Auch auf den Schuh wird mehrfach angespielt. Zunächst ist es Tisbe, die dem falschen Prinzen beim ersten Zusammentreffen einen feinen Damenschuh präsentiert, mit dem sie seine Aufmerksamkeit gewinnen will. Im zweiten Teil des Abends gibt es dann auch einen schwarzen Pechfleck auf der Bühne, auf dem jedoch nicht Angelina, sondern die anderen Figuren mit mindestens einem Schuh stecken bleiben und ihn somit verlieren. Besondere Komik entfaltet dies in dem großen Buffo-Duett zwischen Dandini und Don Magnifico "Un segreto d'importanza", bei dem Dandini Don Magnifico verrät, dass er gar nicht der Prinz sondern der Kammerdiener ist. In vertauschten Rollen beobachten Don Ramiro (Anton Kuzenok, 2. von links) und Dandini (Oleh Lebedyev, links) Clorinda (Jennifer Zein, rechts) und Tisbe (Luzia Tietze, Mitte). Auch dem Herrenchor fällt in Blums Inszenierung eine besondere Bedeutung zu. Gemeinsam mit den Bühnenarbeitern bauen sie verschiedene Räume auf und drehen gewissermaßen als "Mechaniker des Schicksals" das Bühnenbild. Tassilo Tesche hat für die Drehbühne eine große Scheibe entworfen, die ein wenig an das Logo von Sat1 erinnert und in einer eindrucksvollen Videoprojektion im Hintergrund gespiegelt werden kann. Wie bei einer Game-Show stellen zwei Choristen zunächst einen roten Buzzer auf, mit dem sie dann scheinbar auch das Rad in der Mitte drehen. Zunächst werden wie in einem Setzkasten die Figuren des Stücks in abgeschlossenen hohen Räumen auf die Bühne gefahren, wobei ein Zettel am jeweiligen Kasten verrät, um wen es sich bei der jeweiligen Figur handelt. Diese Räume deuten durch eine gewisse Enge an, dass die Figuren nicht viel Bewegungsspielraum haben. Don Magnifico hat das Geld seiner Stieftochter verprasst und steht vor dem Bankrott, weshalb er seine Töchter reich verheiraten möchte. Die beiden Stiefschwestern sind in ihrer Rolle gefangen und dienen dem Vater eigentlich nur als Mittel zum Zweck. Angelina führt als Dienstmädchen ein Leben zweiter Klasse, und auch der Prinz muss in seiner Funktion bestimmte Kriterien erfüllen. Einzig Dandini hat keinen Kasten und kann sich nicht zuletzt durch den Rollentausch mit dem Prinzen frei bewegen. Alidoro tritt als eine Art Spielleiter auf, der die Geschichte immer wieder in eine bestimmte Richtung drängen will. Besonders eindrucksvoll gelingt die Szene, in der er Angelina hilft, aus der Enge ihres Lebens auszubrechen und die große Drehbühne zu betreten. Nur beim großen Gewitter im zweiten Akt trifft Blum bezüglich dieser Figur eine Entscheidung, die nicht nachvollziehbar ist. Während die Bühnenwände durch den Sturm allesamt umgeschmissen werden, fällt auch Alidoro diesem Unwetter zum Opfer und liegt danach wie tot im Hintergrund der Bühne. Zum lieto fine wird er dann in einen Rollstuhl gesetzt und bewegungslos zum fröhlichen Abschlussbild gefahren. Zwar hat die Figur bei Rossini am Ende nichts mehr zu singen, aber ob ein solcher Schluss für den Lehrer, der dann auf einem Plakat auch noch zum "Leerer" wird, Sinn macht, ist diskutabel. Überhaupt bleibt unklar, was die zahlreichen Plakate mit den Bezeichnungen wie "Daddy's Girl" "Trantüte" etc. im Verlauf des Stückes sollen. Auftritt Cenerentola (Lamia Beuque) auf dem Ball des Prinzen (unten: Herrenchor) Sieht man von diesen Unstimmigkeiten ab, besticht die Inszenierung durch eine ausgeklügelte Personenregie, bei der gerade die Wiederholungen und Crescendo-Stellen mit großem Spielwitz auf den Punkt genau in Szene gesetzt werden. Dazu benötigt man natürlich ein hoch motiviertes und spielfreudiges Ensemble, das in Hagen auch musikalisch auf ganzer Linie überzeugt. Da ist zunächst Lamia Beuque in der Titelpartie zu nennen. Mit warmem Mezzosopran interpretiert sie die bewegende Kavatine "Una volta c'era und Re", in der sie zwar bereits ihr Schicksal erträumt, aber ansonsten noch sehr melancholisch wirkt. Regelrecht schüchtern gibt sie sich bei ihrer ersten Begegnung mit dem Prinzen, den sie zunächst für den Diener hält. Im berühmten Schluss-Rondo blüht sie mit grandiosen Koloraturen und enormer Flexibilität in der Stimme regelrecht auf und entwickelt sich vom Aschenputtel zu einer selbstbewussten jungen Frau, die ihr Schicksal nun selbst in die Hand nimmt und absolute Größe durch Verzeihen zeigt. So verwandelt sich der schwarze Ascheregen, der zunächst über sie aus dem Schnürboden herabregnet, in Gold. Als Schleier verwendet sie auf dem Ball nur eine Sonnenbrille. Das Kleid, das sie trägt, ähnelt im Schnitt dem, das sie auch im Hause Don Magnificos getragen hat. Während das Weiß im Haus Don Magnificos aber durch Grautöne und Schwarz an die Asche und den Ruß erinnert, in dem sie sich bewegt, sind es auf dem Ball bunte Farben, die dann wohl andeuten sollen, dass ihre Stiefschwestern und Don Magnifico zwar eine Ähnlichkeit feststellen, sie aber dennoch nicht erkennen. Dandini (Oleh Lebedyev, links) gesteht Don Magnifico (Tigran Martirossian, rechts), dass er nur der Kammerdiener ist. Auch die beiden Stiefschwestern sind mit Jennifer Zein als Clorinda und Luzia Tietze als Tisbe großartig besetzt. Wie sie sich bei ihrem ersten Auftritt gegenseitig die Tür ins Gesicht knallen, ist auf den Punkt umgesetzt, und auch ansonsten fällt Blum in der Personenregie für die beiden sehr viel ein. Dabei kann Tietze auch noch ihr turnerisches Talent unter Beweis stellen und schlägt mal eben auf der Bühne ein Rad. Tigran Martirossian versprüht als Don Magnifico ebenfalls große Komik und verfügt über einen beweglichen Bass, der den schnellen Parlando-Stil wunderbar beherrscht. Gleiches gilt für Oleh Lebedyev als Dandini. Mit großem Pomp und herrlicher Komik setzt er seine Auftrittskavatine als falscher Prinz um. Dabei verlässt er allerdings zunächst den roten Teppich, den der Chor für ihn ausgerollt hat, und muss erst wieder "auf die Spur" gebracht werden. Im weiteren Verlauf findet er sich als Dandini immer mehr in die Rolle des Prinzen ein und zeigt sich sichtlich traurig, wenn er wieder zum Kammerdiener degradiert wird. Ein weiterer szenischer und musikalischer Glanzpunkt ist das großartige Duett mit Martirossian, bei dem die beiden wunderbar aufeinander abgestimmt sind. Mit Anton Kuzenok hat man als Don Ramiro einen Tenor am Haus, der das Belcanto-Fach wunderbar beherrscht und auch in den hohen Tönen strahlen kann. In den Szenen mit Beuque verleiht er dem ansonsten sehr komödiantischen Stück auch durchaus ernste Momente. Dong-Won Seo rundet als Alidoro das Ensemble mit profundem Bass wunderbar ab, auch wenn man sich von der Personenregie für ihn ein anderes Ende gewünscht hätte. Der von Julian Wolf einstudierte Herrenchor des Theaters Hagen zeigt nicht nur große Spielfreude, sondern ist auch den anspruchsvollen Tempi in den Ensembles gewachsen. Steffen Müller-Gabriel zaubert mit dem Philharmonischen Orchester Hagen einen frischen Rossini-Sound aus dem Graben und hält das Orchester und die Agierenden auf der Bühne wunderbar zusammen, so dass es für alle Beteiligten großen und verdienten Applaus am Ende gibt.
FAZIT
Friederike Blum findet mit ihrer Lesart und einem absolut spielfreudigen
Ensemble einen unterhaltsamen Zugang zu Rossinis großartigem Stück. Musikalisch
überzeugt der Abend auf ganzer Linie. Im Vergleich mit der Inszenierung in Essen
ist Hagen eindeutig der Vorzug zu geben. |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht Chor Dramaturgie
Herrenchor des Theaters Hagen Philharmonisches Orchester Hagen Solistinnen und Solisten*rezensierte Aufführung Angelina, genannt Cenerentola Don Ramiro Don Magnifico Dandini Clorinda Tisbe Alidoro
(Homepage) |
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