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Agrippina

Dramma per musica in drei Akten
Libretto von Vincenzo Grimani
Musik von Georg Friedrich Händel

in italienischer Sprache mit deutschen Seitentiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 10' (eine Pause)

Premiere in der Oper Halle am 6. Juni 2025
im Rahmen der Händel-Festspiele Halle (Saale)
(rezensierte Aufführung: 8. Juni 2025) 

 

 



(Homepage)

Kaiserhof in Las Vegas

Von Thomas Molke / Fotos: © Matthias Horn

"Viva il caro Sassone!" soll das venezianische Publikum in jeder kleinen Pause der Aufführung von Händels zweiter und letzter Oper für Italien, Agrippina, gerufen haben, als das Werk im Teatro San Giovanni Grisostomo seine Uraufführung erlebte. Ob mit Händels Oper wirklich die Karnevalssaison am 26. Dezember 1709 eröffnet wurde oder ob das Werk als zweites Stück in der Saison herauskam, ist nicht belegt. Jedenfalls brachte die Oper Händel eine Ehre ein, die noch nie zuvor einem deutschen Komponisten in Italien zuteil geworden war. Es folgten 26 weitere Aufführungen in Venedig, so viele Wiederholungen, wie man sie nur selten in der Lagunenstadt erlebt hatte, und so markierte das Werk Händels internationalen Durchbruch als Opernkomponist. Dabei übernahm er zum großen Teil Musik aus seinen früheren italienischen Werken. Aber wahrscheinlich war es die Musik gemeinsam mit dem Libretto, das mit der dicht gewobenen Handlung und den scharf gezeichneten Charakteren für Begeisterung sorgte. Verantwortlich für den Text war der Kardinal Vincenzo Grimani, der Vizekönig von Neapel unter den Habsburgern war und dessen Familie in Venedig das Theater gehörte, in dem die Uraufführung stattfand. Der Musikhistoriker Reinhard Strohm interpretierte den Text als Satire auf Papst Clemens XI. und den vatikanischen Hofstaat, dem Grimani nicht allzu viel Sympathie entgegengebracht haben soll. In London brachte Händel die Oper später nicht noch einmal heraus, übernahm allerdings einen Teil der Arien in Rinaldo und Il pastor fido. Auf dem europäischen Festland war Agrippina noch einige Jahre lang in weiteren Aufführungen zum Beispiel in Neapel und Hamburg zu erleben und erfreut sich auch heute in der "Renaissance der Barockoper" nicht zuletzt wegen der noch immer aktuell erscheinenden Handlung großer Beliebtheit. Bei den Händel-Festspielen in Halle steht die Oper nun nach den 1940er, 1960er und 1980er Jahren zum dritten Mal in einer szenischen Eigenproduktion im Opernhaus auf dem Programm.

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Agrippina (Ks. Romelia Lichtenstein) will für ihren Sohn Nerone (Leandro Marziotte) den Kaiserthron sichern.

Die Handlung der Oper spielt im Jahr 50 n. Chr. und verquickt mehrere zeitlich nicht zusammengehörende historische Ereignisse, die in den Annalen des Tacitus und den Kaiser-Viten Suetons überliefert sind. Kaiserin Agrippina glaubt, dass ihr Ehemann Claudio (Claudius) in einem Sturm auf hoher See den Tod gefunden habe, und setzt nun alles daran, ihren Sohn Nerone (Nero) mit Hilfe der beiden Höflinge Pallante (Pallas) und Narciso (Narcissus) zum neuen Kaiser wählen zu lassen. Doch Claudio ist von seinem Feldherrn Ottone (Otho) aus den Wogen des Meeres gerettet worden und verspricht diesem nun aus Dankbarkeit, ihn zu seinem Nachfolger zu ernennen. Agrippina plant eine Intrige, indem sie Poppea, die Ottone liebt, allerdings auch von Claudio und Nerone begehrt wird, einredet, dass Ottone sie zugunsten des Throns Claudio überlassen wolle. Poppea bewirkt daraufhin beim Kaiser, dass dieser Ottone fallen lässt und stattdessen Nerone zu seinem Nachfolger auswählt. Doch Poppea durchschaut den Schwindel und kann Ottone rehabilitieren. Agrippinas Ränkespiele fliegen auf. Allerdings kann sie sich mit der Entschuldigung retten, nur in Claudios Interesse gehandelt zu haben. Da Ottone für Poppea auf den Thron verzichten will, und Claudio eigentlich nur seine Ruhe haben will, lenkt er ein und ernennt Nerone erneut zu seinem Nachfolger. So gelangt Agrippina schließlich doch an ihr Ziel.

Das Regie-Team um Walter Sutcliffe sieht in Händels Dramma per musica nahezu operettenhafte Züge, weil jeder hier jedem etwas vorspiele und dies mit einer schmissigen Musik unterlegt sei, die wie Dramaturg Boris Kehrmann in der Einführung erklärt, "zum Mitwippen" einlade. Von daher spielt die Geschichte auch nicht am römischen Kaiserhof im ersten Jahrhundert nach Christus, sondern in einem Spielcasino in Las Vegas mit dem Namen "Flamingo", wie in großen geschwungenen Leuchtlettern auf dem Bühnenbild zu lesen ist. Auf einem Videobildschirm ist mit dem Firmennamen "Caesar's Palace Entertainment" eine Anspielung auf den römischen Herrschertitel zu erkennen. Ob es Absicht oder ein Versehen ist, dass auf dem riesigen Scheck, der dem Unternehmen bei den Staatsfeierlichkeiten gespendet wird, "Ceasar" falsch geschrieben ist, lässt sich nur mutmaßen. Als Gag würde es zur restlichen Inszenierung passen.

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Poppea (Vanessa Waldhart) und Ottone (Christopher Ainslie) streiten sich.

Aleksandar Denić hat ein bombastisches Bühnenbild entworfen, das zwar einerseits abstrakt gehalten ist, andererseits mit futuristischem Design zu Las Vegas passt. Unter Einsatz der Drehbühne kann das riesige Bühnenelement unterschiedliche Räume erzeugen. So sieht man vor den großen Leuchtlettern eine riesige Couch für das Spinnen der Intrigen. Auf der Rückseite ist das riesige pinkfarben gehaltene Bühnenelement wie ein großer Leuchtpilz mit zahlreichen kleinen Lampen gehalten. Dort finden sich moderne weiße Sitzhocker und einzelne Tische. Auf der einen Seite des Elements führt eine gewaltig geschwungene Showtreppe in eine obere Ebene, von der aus man über den Leuchtlettern thronen oder sich in den Leuchtpilz zurückziehen kann. Mit wechselnden Farben im Licht-Design von Lothar Baumgarte wird eine bunte Casino-Welt erzeugt, die so abwechslungsreich wie die Handlung der Oper ist. Frank Schönwald hat aufwändige Kostüme für die einzelnen Figuren entworfen. So tritt beispielsweise Agrippina nahezu jedes Mal in einem neuen mondänen Outfit als Kaiserin bzw. Herrscherin im Casino auf. Ihr Sohn Nerone ist ein Lebemann, der sich recht pubertär mit Cowboy-Hut und Fransenjacke gebärdet. Ottone ist optisch so langweilig wie sein Charakter, während Poppea als begehrenswerte junge Frau gezeichnet wird, nach der sich sowohl Claudio als auch Nerone und Ottone verzehren. Dass aus dem Höfling Narciso ein Show-Girl Narcisa gemacht wird, um auch die Revue-Girls, die in das Milieu in Las Vegas gehören, einzubringen und Agrippinas Verhältnisse zu den beiden Höflingen somit nicht auf einen heterosexuellen Seitensprung zu beschränken, ergibt keinen Sinn. Da hätte man Annika Westlund auch in einer Hosenrolle auftreten lassen können. Auch die abgehackte Hand, die Agrippina ständig beim Durchwühlen ihrer Handtasche herausholt, gehört zu den überflüssigen Regie-Einfällen, die die Komik nicht beflügeln.

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Claudio (Ki-Hyun Park, sitzend) stellt Agrippina (Ks. Romelia Lichtenstein, links) zur Rede (im Hintergrund Mitte: Michael Zehe als Lesbo, rechts: Annika Westlund als Narcisa und Lars Conrad als Pallante).

Ansonsten ist Sutcliffes Personenregie aber stimmig und unterstreicht, dass man die Handlung mit den zahlreichen Intrigen wirklich fast nur komödiantisch mit einem Augenzwinkern betrachten kann. Ihm steht aber auch ein absolut spielfreudiges Ensemble zur Verfügung, das darstellerisch und stimmlich in jeder Hinsicht überzeugt. Da ist zunächst Ks. Romelia Lichtenstein in der Titelpartie zu nennen, die schon allein optisch der einflussreichen Kaiserin in ihren mondänen Kostümen mehr als gerecht wird. Mit dunkel gefärbtem und reifem Sopran arbeitet sie den abgeklärten Charakter der intriganten Frau, der es gelingt, sich aus jeder noch so misslichen Lage zu retten, hervorragend heraus. Wenn sie am Ende scheinbar Reue für ihr Verhalten zeigt und ihr Vorgehen zu rechtfertigen versucht, nimmt ihre Darstellung sehr humorvolle Züge an. Großartig gelingt ihr die Interpretation der großen Arie "Pensieri, voi mi tormentate", in der die Kaiserin Angst hat, das ihre Intrigen auffliegen könnten. Mit gelungenem Licht-Spiel, das sich vollkommen auf ihr Gesicht konzentriert, steht Lichtenstein dabei auf der Treppe und beeindruckt neben der stimmlichen Gestaltung auch durch großartige Mimik. Mit Vanessa Waldhart als Poppea hat sie eine großartige Rivalin, die der Kaiserin durchaus Paroli bieten kann, dabei aber auch noch ihre Jugend als Waffe einsetzen kann. Waldhart begeistert stimmlich mit strahlendem Sopran.

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Allgemeine Harmonie am Ende auf der Couch (von links: Michael Zehe als Lesbo, Annika Westlund als Narcisa, Vanessa Waldhart als Poppea, Christopher Ainslie als Ottone, Ki-Hyun Park als Claudio, Ks. Romelia Lichtenstein als Agrippina, Leandro Marziotte als Nerone und Lars Conrad als Pallante)

Leandro Marziotte begeistert als Nerone mit kraftvollem Countertenor und virilem Spiel. Dabei wird ihm auch darstellerisch einiges abverlangt, wenn er, um Poppea zu verführen, einen Strip hinlegen muss, bei dem er am Ende mit Ausnahme eines silbernen Mini-Slip völlig blank zieht. Seine letzte Arie "Come nube che fugge dal vento" gibt einen Ausblick auf die Schrecken, die unter seiner Herrschaft noch folgen sollen, während er ansonsten als triebgesteuerter Lebemann eher harmlos wirkt, so dass Mama Agrippina schon die Fäden in der Hand behalten muss. Christopher Ainslie verfügt als Ottone im Gegensatz zu Marziotte über einen sehr weichen Countertenor, der dem Charakter der Figur entspricht. Ki-Hyun Park legt den Kaiser Claudio mit dunklem Bass ein wenig polternd an, was dem Naturell des Kaisers entspricht. Dabei zeigt er sich in den Läufen stets flexibel und verfügt auch über komisches Potenzial, wenn er Poppea seine Liebe bekundet. In seiner großen Arie im zweiten Akt "Cade il mondo soggiogato" lässt er mit großer vokaler Kraft die vom Kaiser bezwungene Welt auch stimmlich in den Abgrund stürzen. Lars Conrad, Annika Westlund und Michael Zehe runden das Ensemble als Pallante, Narcisa und Lesbo stimmlich überzeugend ab. Laurence Cummings ergänzt mit dem Händelfestspielorchester Halle einen frischen Klang aus dem Graben, der an einigen Stellen wirklich eine Nähe zur später entstandenen Operette erkennen lässt, wenn beispielsweise Poppea und Ottone im Dreivierteltakt in den seligen Himmel der Liebe schweben. So gibt es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten.

FAZIT

Walter Sutcliffes Verlegung der Handlung in ein Casino in Las Vegas geht im Großen und Ganzen mit kleinen Abstrichen auf und bietet gut drei Stunden beste Opernunterhaltung.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Laurence Cummings

Regie
Walter Sutcliffe

Co-Regie
David Laera

Bühne
Aleksandar Denić

Kostüme
Frank Schönwald

Licht
Lothar Baumgarte

Chor
Bartholomew Berzonsky

Dramaturgie und Seitentitel
Boris Kehrmann

 

Händelfestspielorchester Halle

Chor der Oper Halle


Solistinnen und Solisten

Claudio
Ki-Hyun Park

Agrippina, seine Gattin
Ks. Romelia Lichtenstein

Nerone, ihr Sohn aus erster Ehe
Leandro Marziotte

Ottone
Christopher Ainslie

Poppea
Vanessa Waldhart

Pallante
Lars Conrad

Narcisa
Annika Westlund

Lesbo
Michael Zehe


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Opernhaus Halle
(Homepage)



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