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La passion de Simone

Oratorium in 15 Stationen
Libretto von Amin Maalouf
Musik von Kaija Saariaho


in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 20' (keine Pause)

Kooperation mit dem Festival ACHT BRÜCKEN
Premiere im StaatenHaus Köln-Deutz (Saal 3) am 18. Mai 2025
(rezensierte Aufführung: 19. Mai 2025)


Logo: Oper Köln

Oper Köln
(Homepage)

Eine Philosophin wird musikalisch besichtigt

Von Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Jung

Was uns hinabzieht: Der Wille zur Macht. Oder der Hang zum Materiellen. Beides sind Aspekte der Schwerkraft, und damit meint die französische Philosophin Simone Weil (1909 - 1943) nicht die physikalische Gravitation, sondern den einen Pol der menschlichen Existenz. Der Gegenpol, das aufwärtsstrebend Leichte, das ist die Gnade, weniger in einem christlich-theologischen als in einem abstrakter gedachten spirituellen Sinn. Die Schwerkraft zeigt sich in der Unterdrückung durch die industriellen Arbeitsbedingungen wie die politischen Systeme. Weil gab ihre Anstellung als Lehrerin auf und arbeitete in Fabriken, nicht aus marxistisch-klassenkämpferischem Impetus, sondern um in "Kontakt mit der Wirklichkeit" zu treten - und wurde bald entlassen, weil sie körperlich den Anstrengungen nicht gewachsen war. Im spanischen Bürgerkrieg unterstützte sie kurz die Republikaner, musste ihren Einsatz nach einem Unfall (sie trat in eine Schüssel kochenden Öls) schnell abbrechen. Sie teilte ihr Einkommen mit Arbeitslosen und beschloss im Krieg, nicht mehr zu essen als die Ärmsten - was nach einer Tuberkulose-Erkrankung zum frühen Tod mit nur 34 Jahren führte. Zur Tragik von Simone Weil gehört, dass die Versuche, ihre Ideale zu leben, auf geradezu absurde Weise scheiterten. In der letzten Phase ihres Lebens wandte sie sich, einer jüdischen Familie entstammend, dem Katholizismus und der Mystik zu. Eine Sammlung von Essays wurde nach ihrem Tod unter dem Titel Schwerkraft und Gnade veröffentlicht und bildet ihr philosophisches Hauptwerk.

Szenenfoto

Lavinia Dames vor einer Büpste Simone Weils

Die finnische Komponistin Kaija Saariaho (1952 - 2023) hat La passion de Simone (uraufgeführt 2006) als Mischform aus Oper und Oratorium über das Leben der Philosophin und Sozialrevolutionärin komponiert. Das auf fünfzehn kurzen Szenen bestehende Libretto stammt von Amin Maalouf, der für Saariaho auch schon das Textbuch zu L'amour de loin (zu sehen 2021 in Köln - unsere Rezension) verfasst hatte. Dabei stehen die Ideen des Mit-Leidens und des Nicht-Fassbaren des Glaubens im Zentrum. Protagonistin des Werks ist eine Frau, die sich als "Schwester" Weils bezeichnet und zentrale Ereignisse aus der Biographie Weils hinterfragt, und das keineswegs unkritisch. Dazu gesellt sich ein Chor und ein Orchester mit Elektronik - was in einer späteren Fassung (die auch hier in Köln gespielt wird) auf ein klein besetztes Vokalensemble und Kammerorchester (ohne Elektronik) reduziert ist.

Szenenfoto

Man soll sich ein Bild machen von Simone Weil - Lavinia Dames und Vokalensemble

Saariaho hat für die 15 Szenen große Klangflächen komponiert, die sich langsam verändern und die ohne funktionsharmonische Bezüge meist um ein tonales Zentrum kreisen. Die immer wieder von Celesta und Glockenspiel, aber auch von Holzbläsersoli geprägten Klangfarben geben der Musik einen sehr sinnlichen Charakter. Oft gibt es einen durchlaufenden Puls. Man mag darin in Verbindung mit den Blasinstrumenten Herzschlag und Atem als konstituierende Elemente des Lebens erahnen, die im Moment des Todes kurz verstummen. Klangmalerische Elemente bilden den akustischen Rahmen für Weils Arbeit in den Fabriken, ohne dass die Musik dabei vordergründig plakativ gerät. Saariaho gelingt es, den Szenen eine dem Inhalt entsprechende musikalische Aura zu geben. In der unwirklichen Schönheit ihrer Musik kann sie die Idee einer höheren "Gnade" auf andere, sinnlich erfahrbare Weise spiegeln. Eine dramatische Entwicklung gibt es dagegen nicht, darin bleibt La passion de Simone wenig theaterhaft. Die stark lyrisch angelegte Gesangslinie passt sich geschmeidig in den Orchesterklang ein.

Szenenfoto

Vergrößerung des Spielraums als Ergebnis wachsender Erkenntnis - Ensemble

Sopranistin Lavinia Dames bewältigt die Solopartie mit Bravour. Sie verbindet Intensität mit Leichtigkeit und bleibt bei aller Präsenz entspannt, beinahe kontemplativ. Der große, recht niedrige Raum im Kölner Staatenhaus trägt die Stimme ganz ausgezeichnet. Auch die acht Sängerinnen und Sänger des Vokalensembles machen mit homogenem Klang ihre Sache sehr gut. Am Pult des in dieser Fassung auf 19 Musikerinnen und Musiker reduzierten Gürzenich-Orchesters steht der schwedische Dirigent Christian Karlsen, der viel Erfahrung mit zeitgenössischer Musik und insbesondere dem Werk Kaija Saariahos besitzt. Unter seiner Leitung klingt das Orchester bestens ausgewogen. Solistische Passagen sind immer in den durchweg transparenten Gesamtklang eingebunden, die Singstimme wird nie zugedeckt oder zum Forcieren genötigt.

Szenenfoto

Wie aber inszeniert man ein Werk, das zwar viele einzelne Ereignisse aus dem Leben Simone Weils anreißt, aber keine eigentliche Handlung besitzt? Im Saal 3 des StaatenHauses, ohne Bühne und Bühnentechnik, stehen zwei Publikumstribünen im rechten Winkel zueinander, und mit zwei parallel dazu aufgehängten Vorhängen wird eine nahezu quadratische Spielfläche begrenzt. In der Mitte steht ein Podest mit einer Büste Weils (Ausstattung: Lise Kruse). Lavinia Dames sitzt zunächst im Publikum, betritt von dort die Spielfläche wie eine Museumsbesucherin. So findet Regisseurin Friederike Blum für die Annäherung an die Philosophin sinnfällige Bilder. Später werden die Vorhänge aufgezogen: Eine zunehmende Horizonterweiterung, wodurch auch das Orchester sichtbar wird. Der im Text angesprochene Ausweis Weils wird vergrößert herabgelassen. An einer Stelle wird Lavinia Dames eine Büste aus Ton verformen, wird sich ihr eigenes Bild von Weil schaffen. Damit gelingt es der Regie, sensibel die Balance zwischen Oratorium und Oper zu halten. Weniger überzeugend ist der Einsatz von Textfragmenten, auf Pappen und Papier gedruckt und von der Solistin und dem Vokalensemble ausgelegt - das sieht dann doch allzu sehr nach einem eher schlecht geratenen Simone-Weil-Mitmach-Workshop der nächsten Volkshochschule aus und kann nicht mit der faszinierenden Musik mithalten. Aber das sind Schönheitsfehler in einer insgesamt doch sehr beeindruckenden Produktion, die manche Fragen über die menschliche Existenz im Spannungsfeld von Schwerkraft und Gnade aufwirft.


FAZIT


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christian Karlsen

Inszenierung
Friederike Blum

Bühne und Kostüme
Lise Kruse

Licht
Nicol Hungsberg

Dramaturgie
Svenja Gottsmann


Statisterie der Oper Köln

Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

Sopran
Lavinia Dames

Vokalensemble
Maria Koroleva
Alina König Rannenberg
Tina Drole
Luzia Tietze
Rhydian Jenkins
Frederik Schauhoff
Friedemann Gottschlich
Christoph Seidl

Stimme der Tonaufnahme
Delphine Delavaud



Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Oper Köln
(Homepage)



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