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Götter auf dem Hochaltar
Von Christoph Wurzel / Fotos von Wilfried Hösl Auf Tobias Kratzer ist Verlass. Was er anpackt, wird gut. Seine Inszenierung von Weinbergs Passagierin in der letzten Spielzeit in München (siehe unsere Rezension) wurde als "Aufführung des Jahres" ausgezeichnet. Bestens in Erinnerung ist noch sein Bayreuther Tannhäuser, eine der innovativsten Produktionen der letzten Jahre dort überhaupt. So war die Spannung groß, wie er den neuen Ring in München beginnen würde. Auch beim Rheingold führt Kratzers individuelle Regiehandschrift wieder zum Erfolg: eine genaue Umsetzung der Handlung, ausgefeilte Personenregie, die konsequente Perspektive aus heutiger Sicht, dabei keine Überschreibung mit sachfremder Erzählung und eine lustvolle Theatralik, die kurzweilig ist und Freude macht. Den Vorabend zum Ring hat Kratzer genutzt, um die Konfliktlagen deutlich zu zeigen. Die Gegenspieler Wotan und die Götter einerseits und Alberich auf der anderen Seite sind im größten Kontrast herausgearbeitet. Tiefer Fall: Markus Brück (Alberich) und Sean Panikkar (Loge) Sehr eindrücklich schon das erste Bild. Noch zum Vorspiel steht Alberich als verzweifelt Gescheiterter vor einer Wand. "Gott ist tot" hat er darauf gesprayt. Die Pistole an der Schläfe drückt er nicht ab. Aus diesem existentiellen Tiefpunkt erlöst ihn das geraubte Gold. Als vermeintlichen Aufsteiger sehen wir ihn in Nibelheim in einer Garagenwerkstatt, wo er zwischen technischem Gerät samt Sturmgewehr und Munitionskisten sitzt und sein Untergrundheer der Nibelungen über verschiedene Monitore kontrolliert. Niedergang, Aufstieg und wieder tiefer Fall: Als erbarmungswürdige Figur wird er in der vierten Szene gefesselt und vollkommen nackt von Wotan und Loge vorgeführt. Den Ring schneidet ihm Wotan mit einem Messer blutig vom Finger. Ihm bleibt nur übrig, den brutalen Gott aus tiefster Verachtung im wörtlichen Sinne anzupinkeln. Markus Brück wird viel abverlangt in dieser Rolle, darstellerisch und stimmlich. In Beidem ist er großartig. Sein Fluch über den Ring ist eine vokale Raserei äußerster Wut und Verzweiflung. Selbsterhöhung: Die Götter haben auf dem Hochaltar Platz genommen: links Fricka mit ihren Widdern (Ekaterina Gubanova), Mitte: Wotan (Nicolas Brownlee), rechts: Freia (mit Apfelbaum), oben: Donner mit dem Hammer (Milan Siljanov) und Froh mit der Sichel (Ian Koziara). Für die Götter geht es nach oben. In der zweiten Szene ("Freie Gegend auf Bergeshöhen") warten sie auf die Vollendung der Götterburg und kampieren vorerst noch vor der Baustelle, Froh auf der Isomatte, Donner putzt seinen Hammer, auf dem Gerüst weiter oben schält sich Wotan aus seiner warmen Decke. Fricka sucht nach ihm mit einer Laterne. Herrlich ironisch wirkt es, wenn Wotan in solcher Situation von "der Wonne seligem Saal" faselt, so eklatant fallen Gesang und Szene auseinander. Immer wieder konterkariert Kratzer die Hybris der Götter durch ironischen Kommentar. Ein echter Coup ist das Schlussbild. Nicht über eine Regenbogenbrücke schreiten sie verklärt der abendsonnenbeschienenen Burg zu, sondern sie platzieren sich in grandioser Selbstüberhebung auf dem Flügelaltar in ihrem nunmehr vollendeten Kirchenbau. Zahlreiches Volk strömt zu ihrer Verehrung herbei. So eindrücklich kritisch war der Schluss dieser Oper wohl selten zu sehen. Vom Rand aus schaut Loge zu, gelassen eine Zigarette rauchend und voller Skepsis über das Machtgehabe der Götter. Der junge Tenor Sean Panikkar, der bereits an amerikanischen Bühnen, in Aix-en-Provence und in Wien eine beachtliche Karriere begonnen hat, füllt diese Rolle bemerkenswert souverän aus. Im Spiel bleibt er cool, kehrt in seiner Figur weniger den listigen Zyniker heraus, sondern legt allen Ausdruck in den Gesang. Seine Stimme ist dabei herrlich klar, seine Diktion überdurchschnittlich präzise und verständlich. Ein Sänger, dessen Name man sich merken sollte. Zurecht galt ihm am Schluss besonders großer Beifall. Froh (Ian Koziara), Freia (Mirjam Mesak) und Donner (Milan Siljanov) bei den Beifallsbekundungen Zur präzisen Charakterisierung der Personen tragen Bühnenbild und Kostüme von Rainer Sellmaier entscheidend bei. Loge (wie auch Erda) stehen außerhalb des Konfliktfeldes von Göttern und Nibelungen und fallen durch ihre unauffällige Kleidung aus dem Rahmen. Beide tragen schlichtes Schwarz im zeitgenössischen Stil. Die Gewänder der Götter dagegen sind Stilzitate aus dem Märchenbuch: Wotan mit Flügelhelm, Fricka und Freia wie höfische Edelfrauen, Donner und Froh als fürstliche Helden. Alberich und Mime dagegen sehen wir im Shabbylook von sozialen Underdogs, die Rheintöchter als Straßenkids der Großstädte. So macht die Ausstattung die unterschiedlichen Ebenen im Gefüge des Personals augenfällig. In seinem Bayreuther Tannhäuser hatte Tobias Kratzer bereits bewiesen, wie kreativ, geistreich und zugleich komödiantisch er Videoeinspielungen in seinen Inszenierungen zu nutzen vermag. Hier wird die Fahrt Wotans mit Mime nach Nibelheim und zurück per Film illustriert. Wir sehen die beiden Götter durch die Welt schweifen, über Berge, Wälder und Wüsten, im öffentlichen Nahverkehr und im Verkehrsflugzeug, aber auch auf der Parkbank und beim Herrenausstatter. Wotan hat immer eine Tupperschachtel mit den lebensnotwenigen Äpfeln dabei. Auf der Rückreise ist die Kröte Alberich darin verstaut, was dann prompt Probleme bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen macht. Auch mit der Lösung der Verwandlungsszene Alberichs zieht Kratzer eine ebenso komische wie theatralisch effektvolle Ebene ein. Tatsächlich schlängelt sich hinter dem heruntergelassenen Rolltor von Alberichs Garage ein Riesenwurm und auch eine Kröte hüpft kurz herum - natürlich alles im Bühnennebel und als Videoprojektion nur angedeutet, aber dennoch intensiv die Phantasie anregend. Auf dem Weg nach Nibelheim macht Wotan Rast im Park: Nicolas Brownlee mit Sean Panikkar (Loge) und einer Unbekannten (Video). Alle Rollen sind sängerisch bestens besetzt. Nicholas Brownlee ist ein stimmstarker Wotan, der die Selbstüberschätzung seiner Figur bis hin zur Lächerlichkeit überzeugend zum Ausdruck bringt. Die Fricka von Ekaterina Gubanova ist keine bloß keifende Gattin, sondern Wotan ebenbürtig an Selbstbewusstsein und wandlungsfähig im vokalen Ausdruck. Angemessen aufgeregt singt und agiert Mirjam Mesak als Freia. Ian Koziara (Froh) und Milan Siljanov (Donner) haben schöne lyrische Momente. Matthias Klink gestaltet einen eindrücklichen Mime und die Rheintöchter (Sarah Brady, Vertity Wingate und Yajie Zhang) sind stark bei Stimme und intensiv im Spiel. Witzig ist auch die Zeichnung der Riesen (Matthew Rose und Timo Riihonen): Sie kommen als Priester mit römischem Piuskragen auf die Bühne sind aber offensichtlich Angehörige einer Sekte, wie sie mit rollenden Zeitschriftenständen in unserem Alltag präsent sind. Im Lauf der Verhandlungen über den Lohn für die Bauleistung biedern sie sich Wotan erst mit Sympathieplakaten an, schlagen sich dann heftig mit Donner und Froh und schließlich erschießt einer den anderen im Streit um den Ring. Erdas Auftritt, oft als magischer Moment inszeniert, bleibt hier szenisch unspektakulär. Eindringlich aber singt Wiebke Lehmkuhl ihre mahnenden Worte, die einzigen in dieser Aufführung, die von Realismus und Demut zeugen. In Übereinstimmung mit dem intensiv theatralischen Geschehen auf der Bühne leitet Vladimir Jurowski das klangschön aufspielende Staatsorchester mit energetischem Impuls. Manches Detail mag im symphonischen Fluss weniger Beachtung finden, aber die Musik hat dramatische Kraft. FAZIT Ein Vorabend, der hohe Erwartungen auf die weiteren Teile des Rings weckt. Leider folgt der nächste Teil, Walküre, erst im Juni 2026 und im Sommer 2027 soll der Ring vollendet sein.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung Mitarbeit Regie Bühne und Kostüme Video Dramaturgie
Bayerisches Staatsorchester Statisterie der Bayerischen Staatsoper
Solistinnen und Solisten
Wotan
Donner
Froh
Loge
Alberich Mime Fasolt Fafner Fricka Freia Erda Woglinde Wellgunde Floßhilde
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