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Castor und Pollux

Oper von Jean-Philippe Rameau
nach einem Libretto von Pierre-Joseph-Justin Bernard
Fassung von Jens Neundorff von Enzberg

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 10' (eine Pause)

Premiere am 21. Februar 2025 im Staatstheater Meiningen


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Staatstheater Meiningen
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Ein Skulpturenreigen für die Ewigkeit

Von Stefan Schmöe / Fotos von Christina Iberl

Im Elysium muss es ziemlich langweilig zugehen. Mit Blumen bekränzte Menschen tanzen in weißen Bademänteln einen gemächlichen Reigen oder räkeln sich auf Liegen. Man darf sich das Reich der seligen Geister als große Wellness-Oase vorstellen. Ganz nett, sicher, aber für immer und ewig? Hierhin hat es Castor verschlagen, der im Krieg getötet wurde. Sein Halbbruder Pollux, als Sohn des Jupiter unsterblich, bedrängt den Göttervater, Castor zurück auf die Erde zu holen. Mit Erfolg - allerdings um den Preis, dass Pollux selbst Castors Platz im Elysium einnimmt. Ein ziemlich edler Zug, denn Pollux hat sich Hoffnungen auf Castors trauernde geliebte Télaïre gemacht - aber die will unbedingt ihren Castor zurück. Und trotzdem ist Pollux bereit für den Tausch. Gerührt von so viel Bruderliebe verleiht Jupiter allen dreien die Unsterblichkeit. Seitdem sehen wir Castor und Pollux als hell leuchtende Sterne am Himmel.

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Trauerfeier für den gefallenen Kriegshelden Castor

Jean-Philippe Rameau hat die "tragédie lyrique" Castor et Pollux 1737 komponiert und 1754 überarbeitet. Obgleich hoch angesehen, war er den Traditionalisten und den Verehrern des 1687 verstorbenen Jean-Baptiste Lully zu modern, dagegen mit seinem gravitätischen Pathos den Anhängern der zunehmend an Popularität gewinnenden italienischen opera buffa zu rückständig. Ulrich Schreiber spricht treffend vom "wie ein erratischer Block des Barock ins Rokoko ragende[n] Rameau". In Meiningen zeigt auch Regisseurin Adriana Altaras wenig Interesse an hehren Konflikten in der Götterwelt. Meiningens Intendant Jens Neundorff von Enzberg hat ihr eine kräftig gekürzte (auf Rameaus erster Version basierende) Fassung erstellt, die sich ganz auf die beiden Halbbrüder, Télaïre und die unglücklich in Pollux verliebte Phébé konzentriert und aus der Götterwelt nur die für die Handlung unverzichtbaren Szenen von Jupiter und Merkur übernimmt. Altaras inszeniert das Stück damit als modernes Beziehungsdrama und unterwandert die Götterwelt wie die elysischen Gefilde mit viel Ironie.

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Pollux macht sich Hoffnungen, den Platz seines Haslbbruders Castor als Geliebter von Télaïre einzunehmen - vergeblich, denn die bittet ihn, sich bei seinem Vater Jupiter für eine Rückkehr von Castor auf die Erde einzusetzen.

Nun ist der eigentliche Star der Produktion der Bühnenbildner, und das ist in diesem Fall Bildhauer Tony Cragg, der sich zum ersten Mal in dieser Weise mit dem Theater auseinandersetzt. In Meiningen hat die Verpflichtung von bildenden Künstlern Tradition. Legendär ist Christine Mielitz' Inszenierung von Wagners Ring des Nibelungen im Bühnenbild von Alfred Hrdlicka; in jüngster Zeit hat Markus Lüpertz Una cosa rara ausgestattet und La Bohème auch gleich selbst inszeniert, und Gesamtkunstwerker Achim Freyer hat die Zauberflöte (unsere Rezension) und Don Carlos gestaltet. Jetzt also Tony Cragg. Dessen biomorph anmutenden, wie in einer Bewegung eingefrorenen Skulpturen geben im zweiten Teil des Abends dem Elysium eine unverkennbar eigene Form. Im ersten Teil, in irdischen Gefilden angesiedelt, bleibt die Bühne weitgehend leer; auf die Wände werden stark vergrößerte Zeichnungen Craggs projiziert. Gegenständlich sind diese selten - zu Beginn sieht man Zweige und Dornen, sonst meist Muster aus Linien. Wie auch die Skulpturen wirken diese auf den ersten Blick abstrakt, lassen beim genaueren Hinsehen aber Formen erahnen, verwirbelte Teile von Gesichtern etwa. Immer wieder scheint es, als seien Craggs Kunstwerke auf eigenümliche Weise lebendig.

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Castor schaut im Elysium von seiner Liege aus zu, wie die seligen Geister in Bademänteln zwischen den Skulpturen Tony Craggs einen Reigen tanzen.

Mit der Geschichte um Castor und Pollux hat das wenig zu tun und steht im scharfen Kontrast zur fast fernsehspielartig genauen Regie von Adriana Altaras, die für die dafür notwendigen Requisiten noch Co-Bühnenbildnerin Verena Hemmerlein zur Seite hat - und die ausgesprochen kreative Kostümbildnerin Nina Lepilina, die den Choristinnen nicht nur Bademäntel, sondern bei entsprechender Gelegenheit auch Engelsflügelchen verpasst und Jupiter als golfspielenden Oligarchen mit Lorbeerkranz ausstattet. Im Grunde sieht man in Meiningen zwei Inszenierungen gleichzeitig: Eine abstrakt-poetische von Tony Cragg und eine amüsant überdrehte von Adriana Altaras. Und das Wunderbare daran ist, dass sich beide gegenseitig befruchten. Die Tragikomödie wird vor der Banalität gerettet und die Kunstoper im Hier und Jetzt geerdet. Und beide passen ihr mitunter aberwitzig hohes Tempo mit virtuosen Szenenwechseln einander an.

Vergrößerung in neuem Fenster Am Ende dürfen Castor (vorne rechts) und Pollux beide in die Unsterblichkeit eingehen. Ist das ein gutes Ende?

Verblüffend gut erklingt aus dem Orchestergraben die Musik dazu. Unter der Leitung von Barockspezialist Christopher Moulds spielt die ganz ausgezeichnete Meininger Hofkapelle mit aufgerautem Klang und scharfer und präziser Akzentuierung. Der szenisch stark geforderte Chor (Einstudierung: Roman David Rothenaicher) dürfte für diese Musik noch eine Spur weniger Vibrato zeigen, bewältigt seine vielfältigen Aufgaben aber bravourös. Mit dem einschmeichelnd eleganten, beweglich leichten Tenor von Aleksey Kursanov als Castor, dem samtenen Bariton von Tomasz Wija als Pollux, dem heroinenhaft strahlenden Sopran von Emma McNairy als Télaïre und dem charmant dunkel grundierten Mezzo von Sara-Maria Saalmann als unglücklich zurückbleibende Phébé sind die Hauptpartien ebenso überzeugend besetzt wie die kleineren Partien. Da gibt Laura Braun einen quirligen Mercure, Selcuk Hakan Tiraşoğlu einen komödiantischen Jupiter und Mark Hightower einen ebensolchen Hohepriester im Kardinalsrot.

Verspricht die Unsterblichkeit von Castor und Pollux denn nun wirklich ein glückliches Ende? Wir Menschen sind nicht für die Ewigkeit gemacht, sagt die ausgesprochen kurzweilige und abwechslungsreiche Inszenierung. Immerhin darf man im Elysium zwischen den Skulpturen Tony Craggs umherwandeln, mögen Kunstfreunde einwenden. Uns Sterblichen, denen das nicht vergönnt ist, bleibt auf Erden derweil die Möglichkeit, den sehr sehenswerten Skulpturenpark des Künstlers in Wuppertal zu besuchen. Ganz ohne göttlichen Beistand.


FAZIT

Das beeindruckende Bühnenbild von Tony Cragg verrätselt Castor und Pollux, während die Regie von Adriana Altaras gleichzeitig die Götter- und Heldenwelt mit Offenbach'schem Witz dekonstruiert. Herausgekommen ist eine vom Publikum bejubelte, sehens- wie hörenswerte Produktion.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
* Christopher Moulds /
Christopher Važan

Inszenierung
Adriana Altaras

Bühne
Tony Cragg

Co-Bühnenbildnerin
Verena Hemmerlein

Kostüme
Nina Lepilina

Chor
Roman David Rothenaicher

Dramaturgie
Matthias Heilmann


Statisterie des Staatstheaters Meiningen

Chor des Staatstheaters Meiningen

Meininger Hofkapelle


Solisten

Castor
Aleksey Kursanov

Pollux
Tomasz Wija

Télaïre
Emma McNairy

Phébé
Sara-Maria Saalmann

Jupiter
Selcuk Hakan Tiraşoğlu

Mercure
Monika Reinhard /
* Laura Braun

Le Grand-Prêtre
Mark Hightower



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