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Mit dem Motorrad ins Eheglück
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Christina Iberl Was man hier alles aus einem Doppelbett machen kann, das dürfte jeden schwedischen Möbeldesigner vor Neid erblassen lassen. Schnell die Matratzen herausnehmen, und man hat eine Kutsche (die rasante Fahrt durch blühende Landschaften wird durch Videosequenzen suggeriert). Mit ein paar Handgriffen lässt es sich in einen Tisch für das romantische Dinner zu zweit wie auf einem Schiff verwandeln (im Hintergrund zieht die Skyline einer Großstadt vorbei). Man kann es zu einem Kahn umbauen, der über einen mondbeschienenen Bergsee gleitet, oder zum Traualtar in einer riesigen Kathedrale, der dann aufklappt und ein Motorrad freigibt für die Hochzeitsreise ins Monument Valley. Kurz: Hier gibt es das ideale Möbelstück für Jungverliebte zu bestaunen. Na gut, Tristan und Isolde haben, obwohl wir uns schon im zweiten Aufzug des Musikdramas befinden, vorher schnell noch ein paar Tropfen des offensichtlich berauschenden Liebestranks zu sich genommen, um diesen psychedelischen Trip zu unternehmen. Regisseurin Verena Stoiber und Videokünstler Jonas Dahl inszenieren das zentrale Duett "O sink' hernieder, Nacht der Liebe" als großes Musikvideo, wie man es aus der Popkultur kennt. Oder eben als Werbeclip für Schlafzimmerausstattungen. ![]() Gezeichnet von der anstrengenden Schiffspassage nach Cornwall: Tristan, Kurwenal, Isolde und Brangäne
Damit bebildern sie den handlungsarmen zweiten Aufzug durchaus effektvoll, landen aber nicht erst dann unfreiwillig in den Sphären der Parodie, wenn die Regie zu allem Überfluss König Marke und Gefolgsmann Melot in hochmittelalterlichen Umhängen mit Fellstiefeln und Trinkhorn auftreten lässt (Kostüme: Clara Hertel). Es wird viel gelacht im Premierenpublikum, was vermutlich so nicht intendiert war. Zuvor hatte Marke in moderner Kleidung das eheliche Doppelbett zu nächtlicher Stunde rücksichtsvoll leise verlassen, um zur Jagd aufzubrechen, nicht ohne der sehr viel jüngeren Gattin Isolde noch sanft die Wange zu tätscheln. Die stellt sich schlafend, kann das Rendezvous mit dem bereits wartenden Liebhaber Tristan allerdings kaum erwarten. Da bewegt sich die Inszenierung also in der Sphäre des bürgerlichen Eheschwanks, nachdem der erste Aufzug mit manchen satirischen Spitzen als Konversationskomödie auf einem modernen Passagierschiff abgehandelt wurde. ![]() Die Nacht der Liebe ist eine Traumsequenz, die das heiratswillige Paar kurzzeitig auch in eine Kathedrale führt
Tristan und Isolde begrapschen sich schon vor Einnahme des Trankes ziemlich hemmungslos. Dabei passen diese beiden Königskinder gar nicht recht zusammen, wie man seit dem Vorspiel weiß. Da sieht man sie in einem Video als Kinder, sie im mittelgebirgigen Wald, er am Wasser, und diese gegensätzlichen Attribute werden sie ziemlich halbherzig durch die Aufführung begleiten. Im dann ziemlich konventionell erzählten dritten Aufzug liegt ein alter Mann im Krankenbett, der noch recht junge Tristan zunächst davor, später darin (da ist der Alte weggegangen). Ob er nun gestorben ist oder nicht, bleibt unklar. Vielleicht soll das einen Rückblick andeuten, wie man im Alter eben wehmütig an verflossene Liebschaften zurückdenkt. Jedenfalls hat es nicht sollen sein, das gemeinsame Glück. Beide küssen sich am Ende noch einmal heftig und gehen auseinander. Es war immerhin eine für das Publikum ziemlich unterhaltsame Affäre - das ist wohl das Beste, was man über die reichlich verunglückte Regie sagen kann, die mit einigen Buh-Rufen vom Premierenpublikum abgestraft wurde. ![]() Und ab geht's auf Hochzeitsreise - mit Isolde am Lenkrad
Szenisch wird also alles Metaphysische in diesem opus summum Richard Wagners zugunsten kleinbürgerlicher Träume von der ganz, ganz großen Liebe getilgt. Die andere, weitaus gewichtigere Seite dieser Produktion ist die Musik. Generalmusikdirektor Killian Farrell dirigiert mit flotten Tempi einen Tristan von aufregend nervöser Spannung und großer Dramatik, findet aber im Duett des zweiten Aufzugs und im Liebestod zu großer Ruhe. Auch im Fortissimo klingt die aufmerksame Meininger Hofkapelle transparent und deckt die Stimmen nicht zu. Großartig ist das lange Englischhorn-Solo (Yuta Onouchi, der auf dem Besetzungszettel unbedingt genannt werden müsste) am Beginn des dritten Aufzugs, auf der Bühne gespielt, mit warmem Klang und souveräner Phrasierung, womit die elegische Stimmung ausgezeichnet eingefangen wird. Der Beginn des Vorspiels könnte noch etwas mehr Ruhe vertragen, um die Dimensionen des Dramas abzustecken. Insgesamt aber gibt die orchestrale Interpretation dem Werk die Größe, die die Regie ihm abspricht. ![]()
Lena Kutzner hat die Isolde bereits vor ein paar Wochen sehr eindrucksvoll in Lübeck gesungen (unsere Rezension). Auch in Meiningen besticht sie mit dem genau ausgestalteten erzählerischen Duktus im ersten Aufzug, den sie mit vielen Zwischentönen anreichert und die Zerrissenheit wie auch die Verletzlichkeit der Figur, die sich immer wieder in Ironie und Sarkasmus flüchtet, hörbar macht. Überhaupt glänzt Lena Kutzner in vielen leisen Passagen, wobei ihr jugendlich gefärbter Sopran immer zur hochdramatischen vokalen Attacke fähig ist. In Marco Jentzsch, der den Tristan mit hellem und verhältnismäßig leichtem, aber durchsetzungsfähigem Tenor singt, hat sie einen stimmlich passenden Partner, mit dem der Klang im Duett des zweiten Aufzugs gut ausbalanciert ist. Und tatsächlich erlebt man, eine Seltenheit, in allen Partien einen Tristan mit vielen leisen, schön ausgesungenen Passagen. Ein paar kleine Wackler bei Jentzsch waren wohl auf eine (vor dem dritten Aufzug angesagte) Indisposition zurückzuführen; die Fieberausbrüche im letzten Aufzug gelingen ihm eindrucksvoll mit der erforderlichen stimmlichen Wucht. ![]() Lebt er noch? Ist er tot? So genau weiß man das bei Tristan am Ende des dritten Aufzugs nicht. Isolde singt vorsorglich den Liebestod, und das durchaus eindrucksvoll.
Selcuk Hakan Tiraşoğlu singt mit profundem und sonorem Bass einen ein wenig altväterlichen, recht gutmütigen Marke - für die alberne Märchentracht, die die Regie ihm zumutet und die ihn zur Witzfigur degradiert, kann er nichts. Noch mehr gestraft ist freilich Johannes Mooser als Melot, der auch noch eine unsägliche Perücke tragen muss, aber mit schönem Tenor tapfer dagegenhält. Shin Taniguchi singt einen kraftvollen, dabei durchaus eleganten Kurwenal, Tamta Tarielashvili eine etwas flackernde Brangäne, die erst einmal Deodorant nachlegt, bevor sie im ersten Aufzug im biederen Strickpullover Tristan zu Isolde einbestellt. Aleksey Kursanov steuert einen klangschönen jungen Seemann und Hirten bei. Der Herrenchor bleibt unsichtbar, klingt aber prächtig (Einstudierung: Roman David Rothenaicher). So ist es um die sängerische Seite gut bestellt - wobei das Meininger Theater alle Partien aus dem eigenen Ensemble besetzen kann. FAZIT Die Regie möchte auf metaphysisches Pathos verzichten und dem Traum von der großen Liebe nachspüren - und endet als unfreiwillige Parodie. Musikalisch bietet dieser Tristan großes Musiktheater. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Chor
Video
Dramaturgie
Solisten
Tristan
König Marke
Isolde
Kurwenal
Melot
Brangäne
Hirt / Stimme eines jungen Seemanns
Ein Steuermann
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