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Im Spiegel der Gesellschaft Von Thomas Molke / Fotos: © Bettina Stöß
Verdis La traviata bildet nach Rigoletto und Il trovatore nicht nur den Abschluss der sogenannten "Trilogia popolare", die seinen Ruf als führenden Opernkomponisten Italiens endgültig manifestierte. Sie zählt auch bis heute zu den größten Erfolgen der Opernliteratur und wurde 2010 vom Deutschen Fernsehen zur "beliebtesten Oper aller Zeiten" gekürt. Dass die Uraufführung am 6. März 1853 am Teatro La Fenice von Verdi selbst als ein "Fiasko" bezeichnet wurde, dürfte wohl arg übertrieben gewesen sein und auf der Unzufriedenheit des Komponisten mit zwei Entscheidungen beruhen. Zum einen sah sich die Theaterleitung aufgrund der Zensur gezwungen, die damals aktuelle Handlung in eine 150 Jahre zurückliegende barocke Vergangenheit zu verlegen, um dem Publikum nicht einen kritischen Spiegel vorzuhalten, was Verdi mit der Wahl des Stoffes aber eigentlich beabsichtigt hatte. Zum anderen war Verdi mit der Besetzung der Titelpartie absolut unzufrieden, da sie nicht seine Idee der Violetta Valéry verkörperte. Der triumphale Erfolg des Werkes stellte sich allerdings wirklich erst mit der zweiten Produktion im Teatro San Benedetto ein Jahr später ein und ließ das Stück zu einem Dauerbrenner nicht nur auf italienischen Bühnen werden. Allein in den ersten fünf Jahren nach der Uraufführung folgten nachweislich 143 Produktionen. Nachdem der neue Intendant Søren Schumacher die Spielzeit mit einem neuen Format, "Close Up!", eröffnet hat, bei dem das Publikum ganz nah ans Bühnengeschehen geholt wird, indem es auf der Bühne Platz nimmt und die ganze Theatermaschinerie aus nächster Nähe erlebt (siehe auch unsere Rezension), stellt er sich nun in der zweiten Produktion als Regisseur vor. Dabei nehmen der Chor und Extrachor des Theaters Hagen eine sehr zentrale Rolle ein. Wenn die Sängerinnen und Sänger des Chors nicht als Festgesellschaft auf der Bühne agieren, beobachten sie gewissermaßen als Spiegel des Publikums das Geschehen auf der Bühne und sitzen hinter dem Geschehen. Ein Steg führt über den Orchestergraben in den Saal, der Violetta vielleicht einen Ausweg aus ihrem Schicksal bieten kann. Des Weiteren führt Schumacher zwei stumme Figuren ein, die für Violetta eine bedeutende Rolle spielen. Zum einen lässt er Alfredos Vater beim Besuch auf dem Land mit Alfredos Schwester Amelia auftreten, die dabei nicht nur die Funktion übernimmt, Druck auf Violetta auszuüben. Sie stellt auch eine Traumvision für Violetta dar, wie ihr Leben hätte sein können, wenn sie selbst einer Familie wie den Germonts entstammt wäre. Zum anderen wird ein junges Mädchen eingeführt, das Violetta einerseits als unschuldiges Mädchen zeigt, andererseits aber bereits mit Violettas weißer Perücke den Weg andeutet, den Violetta gehen muss. Ausgelassenes Fest bei Violetta (Serenad Uyar, Mitte) (mit Gastone (Ks. Richard van Gemert, links), Flora (Hyejun Melania Kwon, rechts) und dem Chor und Extrachor) Wenn sich der Vorhang zum filigranen Vorspiel der Geigen hebt, sieht man dieses Mädchen in einem weißen Kleid auf einer kreisrunden roten Scheibe stehen, die die Bühne dominiert. Ein glänzendes Karussellpferd deutet eine kindliche Unschuld an, die bald verloren gehen wird. Ein Scheinwerfer leuchtet auf Violetta, die inmitten des Chors hinter dieser Scheibe ebenfalls in einem weißen Kleid mit einer weißen Perücke sitzt. Das Mädchen verlässt die Bühne über den Steg hinaus aus dem Saal, während Violetta ihr bis zum Podest folgt, dort ihr weißes Kleid ablegt und in ein mondänes lilafarbenes Gewand schlüpft, in dem sie bald das Interesse der ganzen Gesellschaft auf sich zieht. Diese tanzt in wilder Polonaise mit großer Taktsicherheit um dieses Podest herum und gefällt sich in rauschender Feierlaune. Dass es hierbei keine Grenzen gibt, wird direkt am Anfang deutlich, wenn Gaston seinen Anzug ablegt und die Gesellschaft in einem glitzernden Kleid unterhält. Die Zügellosigkeit wird nach der Pause im zweiten Bild des zweiten Aktes noch gesteigert, wenn Violetta in dieses Leben zurückkehrt und Alfredo zu vergessen sucht. Alfredo (Giuseppe Infantino) verliebt sich in Violetta (Serenad Uyar). Wenn sich die ersten Anzeichen von Violettas schlechtem Gesundheitszustand bemerkbar machen, senkt sich der Vorhang, und Violetta präsentiert ihre große Arie "È strano", in der sie sich über ihre Gefühle für Alfredo bewusst wird, an der Rampe. Voller Enthusiasmus steigert sie sich anschließend in die folgende Cabaletta "Sempre libera degg'io" und verlässt optimistisch über den Steg den Saal. Wie das Mädchen scheint sie zunächst dieser Gesellschaft entkommen zu sein. Der herabgelassene Vorhang während dieser Szene bietet eine gute Möglichkeit für einen Bühnenumbau. Bühnenbildner Norbert Bellen hat für den ersten Teil des zweiten Aktes mit riesigen bunten Blumen und zwei großen Schaukeln in der Mitte der Bühne ein wunderbares Ambiente entworfen, das nach hinten hin mit einer pittoresken Projektion abgeschlossen wird. Hier ist der Chor nicht sichtbar, und Violetta und Alfredo können einen Moment des ungetrübten Glücks genießen. Violetta hat nun die weiße Perücke abgelegt und wirkt mit ihren langen schwarzen Haaren absolut natürlich. Doch das Glück ist nur von kurzer Dauer. Alfredo erfährt, dass Violetta ihr ganzes Vermögen veräußert, um den beiden diesen Lebensstandard zu ermöglichen, und bricht sofort nach Paris auf, um selbst Geld aufzutreiben. Giorgio Germont (Insu Hwang) zwingt Violetta (Serenad Uyar, Mitte), Alfredo aufzugeben (links: Elizabeth Pilon als Amelia). Nun ist Giorgio Germonts Gelegenheit gekommen, um Violetta zu zwingen, für das Glück seiner Tochter Alfredo zu verlassen. Elizabeth Pilon setzt die stumme Rolle der Amelia sehr ausdrucksstark um. Während sie zunächst dezent im Hintergrund bleibt, nimmt sie schließlich auf einer der beiden Schaukeln Platz und findet eine Verbindung zu Violetta. Auch das Mädchen (Hannah Schnitker) kehrt am Ende der Szene wieder durch den Saal auf die Bühne zurück. Sie trägt immer noch die weiße Perücke vom Anfang. Ihr Kleid ist aber nicht mehr weiß sondern lilafarben, was andeutet, dass sie Violetta nun in ihr altes Leben zurückführen wird, das in Paris noch wilder in den Kostümen von Jeannine Cleemen gezeichnet wird als im ersten Akt. Im dritten Akt wird die Bühne dann von drei Bänken dominiert. Auf der Bank auf der rechten Seite sitzen Giorgio Germont und seine Tochter. Auf der linken Bank liegt Alfredo wie ein Obdachloser unter Zeitungen bedeckt. Die mittlere Bank gehört Violetta. Der Chor betrachtet das Geschehen aus dem Hintergrund. Wieso Flora hier die Funktion Anninas übernimmt und der Text in "Florina" abgeändert wird, erschließt sich nicht. Vielleicht soll einfach die enge Freundschaft zwischen Flora und Violetta betont werden, die auch noch in Violettas letzter Stunde hält. Violetta stirbt in Schumachers Inszenierung nicht auf der Bühne, sondern verlässt den Saal über den Steg, während die anderen Figuren hoffnungslos auf der Bühne zurückbleiben. Alfredo (Giuseppe Infantino, Mitte), Giorgio Germont (Insu Hwang, links) und Flora (Hyejun Melania Kwon, rechts) können Violetta (Serenad Uyar, Mitte) nicht retten. Der neue Generalmusikdirektor Sebastian Lang-Lessing findet mit dem Philharmonischen Orchester Hagen einen packenden Zugang zu Verdis Musik, auch wenn der Klang aus dem Graben stellenweise ein bisschen zu laut ist und die Solistinnen und Solisten dabei extrem fordert. Serenad Uyar kann sich in der Titelpartie mit kraftvollen Höhen dagegen durchsetzen und zeichnet darstellerisch ein großartiges Porträt dieser vom Weg abgekommenen Frau. Besonders unter die Haut geht ihre Schlussarie "Addio del passato", in der sie bereits vom Leben Abschied nimmt. Herzzerreißend gestaltet sie auch ihren letzten Kampf, in dem sie noch einmal alles versucht, um mit Alfredo ein glückliches Leben zu führen. Ob ihr Abgang am Ende wirklich in den Tod führt oder ihr eine andere Option bietet, lässt die Inszenierung offen. Ein gemeinsames glückliches Leben mit Alfredo wird es jedenfalls nicht geben. Giuseppe Infantino stattet die Partie mit leicht schneidenden Höhen, dabei aber großem Pathos aus. Insu Hwang begeistert als Giorgio Germont mit dunklem Bariton und kraftvollem Volumen. Dass er darstellerisch etwas steif bleibt, passt wunderbar zum unterkühlten Charakter der Figur. Aufhorchen lässt Hyejun Melania Kwon als Flora mit sattem Mezzosopran, was vielleicht auch der Grund sein mag, sie im dritten Akt an Violettas Krankenbett auftreten zu lassen. Auch die übrigen kleineren Partien lassen keine Wünsche offen. Der von Julian Wolf einstudierte und um den Extrachor erweiterte Chor des Theater Hagens begeistert durch große Homogenität und Spielfreude. So gibt es im nahezu ausverkauften Haus großen und verdienten Jubel für alle Beteiligten. FAZIT
Dem neuen Intendant Søren Schumacher gelingt mit Verdis La traviata
auch ein guter Einstand als Regisseur. Musikalisch und szenisch dürfte die
Produktion für ausverkaufte Vorstellungen sorgen. |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne Kostüme
Licht und Video Chor Choreographie Dramaturgie
Philharmonisches Orchester Hagen Chor und Extrachor Statisterie des Theaters Hagen Solistinnen und Solisten*Premierenbesetzung Violetta Valéry Alfredo Germont Giorgio Germont Gastone Flora Barone Douphol Marquese d'Obigny / Ein Kommissär Dottore Grenvil Annina Giuseppe Amelia, Alfredos Schwester Junges Mädchen Burleske Kelnner*innen
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