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Die Resonanzräume müssten mal wieder entrümpelt werden
Von Stefan Schmöe / Fotos © Thilo Beu Im Juli 1816 lief die französische Fregatte Méduse vor der Küste Westafrikas auf Grund. Da nicht genügend Rettungsboote vorhanden waren, baute man ein Floß für rund 150 Menschen, das in der Folge 10 Tage lang auf offener See trieb. Es muss zu Kannibalismus und tödlichen Verteilungskämpfen gekommen sein, sodass am Ende nur 15 Personen überlebten. Théodore Géricault stellte die dramatischen Ereignisse 1819 in seinem rund fünf mal sieben Meter großen Gemälde Das Floß der Medusa dar, das heute als eines der zentralen Kunstwerke der französischen Romantik im Louvre hängt. Was das mit Tristan und Isolde zu tun hat? Verbindend ist natürlich das Meer, und hier wie da geht es, wenn auch vor sehr unterschiedlichem Hintergrund, um eine Extremsituation. Viel mehr aber auch nicht. Insbesondere zeigt die Konstellation der Oper keinen erkennbaren Zusammenhang mit der eminent politischen Bedeutung des skandalträchtigen Gemäldes in der Epoche der Restauration. In der Inszenierung von Clara Kalus nimmt es dennoch eine zentrale Stellung ein, wird in den Figurenkonstellationen aufgegriffen und erscheint als riesige Kopie im zweiten Aufzug der Oper. Wobei es, vorsichtig formuliert, ein wenig ungewöhnlich ist, dass ein Liebespaar die ekstatische Nacht der Liebe ausgerechnet mit dem Betrachten eines großformatigen Ölgemäldes verbringt (und dann auch noch ausgerechnet das Floß der Medusa).
Isolde (links) und Brangäne diskutieren über den passenden Zaubertrank
"Wir wollen Räume schaffen, die sich für Resonanzerfahrungen öffnen", formuliert die Regisseurin in schönster Dramaturgenpoesie im Programmheft. Diese Räume hat sie dann mit allerlei Assoziationsplunder vollgestellt. Da findet sich ein weißes Reh, das von Marke und Gefolge ausgeweidet wird (das hat die Regie bei Richard Strauss und dessen Frau ohne Schatten geborgt, auch wenn es dort eine weiße Gazelle ist). Tristan als Kind (er singt ja viel von seinen Eltern, aber Isolde als Ersatzmama, die ihn ins Bett bringt, ist ein bisschen viel Küchenpsychologie). Der Kopf von Isoldes Verlobtem Morold (den hat Tristan in der Vorgeschichte an Isolde verschickt; jetzt führt sie ihn, gut konserviert, im Handgepäck mit sich). Der ganze Morold (keine Sorge: mit Kopf, wenn auch blutig). Ein Gewächshaus (Im Treibhaus ist eines der Gedichte Mathilde Wesendoncks, das Richard Wagner mit Motiven aus vertont hat, quasi als Vorstudie). Wasser in vielfältiger Gestalt (auch in Form von Eiskristallen, wenn Marke die Nacht der Liebe abrupt beendet). Und eben das Floß der Medusa. Wobei dort eine Gruppe ums Überleben kämpft, während Tristan und Isolde als extreme Individualisten den Tod suchen.
Ende des ersten Aufzugs: Die Ankunft bei König Marke. Isolde steht links vorn.
Ein Aphorismus sei entweder eine halbe Wahrheit oder anderthalb, hat Karl Kraus einmal formuliert. Auf die Bilder und Metaphern in dieser Inszenierung übertragen, muss man sagen: Es sind nicht einmal halbe Wahrheiten, die Clara Kalus präsentiert. Und Dieter Richter, der so viele bestechend klare, "sprechende" Bühnenbildner für Dietrich W. Hilsdorf entworfen hat, stapelt im ersten Aufzug unübersichtlich Videoprojektionen vom Meer (geht bei Tristan natürlich immer) und einem Frauenkopf (wohl Isolde) übereinander, er verschachtelt im zweiten Aufzug das Gewächshaus (mit Videoprojektionen von Wassertropfen) mit dem Museum samt dem Floß der Medusa und findet erst im dritten Aufzug mit einem sich nach hinten verjüngenden Raum, der das Schiff aus dem ersten Aufzug aufgreift, zu einer überzeugenden Lösung. Auch viele Aktionen auf der Bühne sind nicht nur überflüssig, sondern störend. Nach Einnahme des Liebestranks beginnt Brangäne, die Bühne aufzuräumen. An sich keine schlechte Idee, das ganze Gerümpel gehört entsorgt, aber doch nicht in dieser Schlüsselszene! Marke und Gefolge sieht man schon eingriffsbereit, während sich das Duett von Tristan und Isolde immer mehr steigert, was vor allem von der Musik ablenkt. Und bereits das Vorspiel ist reichlich überflüssig bebildert.
Das Ende einer ekstatischen Liebesnacht im Museum: Tristan und Isolde vor Géricaults Floß der Medusa. Zwar wird noch die Nacht der Liebe besungen, aber man sieht bereits Marke und Gefolge.
Clara Kalus, die in Münster sehr beachtlich Humperdincks Königskinder inszeniert hat, muss szenisch alles und jedes kommentieren. Ein bisschen Feminismus kommt auch noch dazu: Isolde und Brangäne tragen tolle Kleider, während die Herren durchweg in tristen Militäruniformen herumlaufen (Kostüme: Katharina Weissenborn). Männer sind eben Krieger - oder Jäger, die weiße Isolde-Rehe erlegen. Der Ansatz mit den Räumen für Resonanzerfahrungen klingt an sich ja gar nicht so schlecht, und Kalus kann mit einer soliden Personenführung auch die Geschichte plausibel erzählen, müsste dafür aber die Regie viel stärker auf das Wesentliche konzentrieren (am Abend vorher konnte man in Berlin das Gegenteil erleben, wo Michael Thalheimer vor lauter Reduktion das Inszenieren vergessen hat). Zumal in Golo Berg am Pult des zuverlässigen, in den Bläsern zupackenden, in der Streicherbesetzung etwas dünnen Orchesters einen Partner hat, der einen sängerfreundlichen Ton anschlägt, was dem Text und den Dialogen entgegenkommt. Dabei hat Berg aber auch viel Gespür für die langen Entwicklungen, die er behutsam aufbaut und mit langem Atem auf die Höhepunkte zusteuert. Er hält die großen Bögen und gibt der Musik klare Struktur, weniger im Sinne einer unendlichen Melodie (wie Donald Runnicles am Vortag), sondern mit Gefühl für die Entwicklung des Dramas.
Tristan, sterbend
Kristiane Kaiser hat für die Isolde keine Riesenstimme und manchmal flackert ihr Sopran, aber sie bewältigt die Partie bravourös und mit großer Leidenschaft - und findet für den Liebestod einen beeindruckend entrückten, verinnerlichten Gestus. Der helle, recht kleine und enge Tenor von Brad Cooper kann da nicht mithalten, zeigt aber Durchhaltevermögen und bleibt bis zum letzten Ton geschmeidig. Wioletta Hebrowska singt die Brangäne mit interessantem, leicht eingedunkeltem Timbre und nuacierter Ausgestaltung des Textes, ohne die musikalische Linie zu verlieren; in den dramatischen Passagen und in der Höhe klingt die Stimme mitunter etwas angestrengt. Der Bariton von Johan Hyunbong Choi dürfte eine Spur mehr Glanz besitzen, aber die Partie ist kraftvoll und klangschön gestaltet. Sonor strömt der Bass von Wilfried Staber als strenger König Marke.
Mehr Rumpel- als Resonanzkammer: Clara Kalus bebildert Tristan und Isolde mit viel Überflüssigem und Störendem. Musikalisch eine recht gute Aufführung.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Video
Lichtdesign
Chor
Dramaturgie
Solisten
Tristan
König Marke
Isolde
Kurwenal
Melot
Brangäne
Ein Hirt
Seemann
Steuermann
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- Fine -