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Das ferne Paradiesvon Stefan Schmöe / Fotos © Michiel Hendryckx
Es war, als wollte sich sogar das Wetter dem Programm beugen: Schwere graue Regenwolken hingen an diesem Augusttag über dem Ruhrgebiet, verwandelten das Gelände um die Bochumer Jahrhunderthalle in einen kaum begehbaren Morast, und in Duisburg musste gar die Open-Air-Schauspielproduktion Sturzflug wegen Dauer- und Starkregen abgesagt werden. Aber es passte zu diesem Konzert mit vier Kantaten Johann Sebastian Bachs, deren Titel so ziemlich alles andere als Lebensfreude ausdrücken: Lieber Gott, wenn werd ich sterben? (BWV 8), Weinen, Zagen, Sorgen, Klagen (BWV 12), Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen (BWV 48) und Herr, gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht (BWV 105).
Philippe Herreweghe und das Collegium Vocale Gent haben die Musik beigesteuert zu Accatone, der etwas sperrigen Eröffnungspremiere dieser Triennale (unsere Rezension) von Intendant Johan Simons. Die Kantaten Bachs, aus denen die Musik ausgewählt war, spielen Herreweghe und sein Orchester an zwei Abenden konzertant und in voller Länge, diesen ersten unter dem bezeichnenden Motto Ich elender Mensch. Entsprechend der Thematik sind diese Kompositionen weniger auf äußeren Glanz denn auf Verinnerlichung angelegt. Mit fast vibratolosem, schlankem und sehr homogenem Klang gestalten Chor und Orchester des Collegium Vocale Gent in dieser ungemein konzentrierten Aufführung die Musik allem Weltlichen entrückt. Selbst da, wo Bach in BWV 8 im virtuosen Duett von Bass und Traversflöte (die im Eingangschor mit geradezu absonderlichen Tonrepetitionen noch das Totenglöckchen heraufbeschwört) den verklärten Morgen im Angesicht Jesu bejubelt, bleiben Herreweghe und seine Musiker in dieser Aufführung sehr zurückhaltend. Aller vordergründiger Glanz ist getilgt. und die diversen Barock-Trompeten spielt Alain de Rudder mit einem sanften, warmen Ton wie von einer anderen Welt. Das Paradies klingt da von ganz fern herüber.
Auch die Solisten passen sich mit schlanken Stimmen hervorragend in dieses Klangbild ein. Der klare, beinahe kindlich reine Sopran von Dorothee Mields gibt der merkwürdigen Arie "Wir zittern und zagen", bei der Bach auf ein Bass-Fundament verzichtet und über "zitternden" Streicherklängen die Oboe in kurzen, abgerissenen Phrasen mit der Singstimme konzertieren lässt, eine entrückte Klangfarbe. Alex Potter mit weichem, leicht ansprechendem Countertenor, der bewegliche und leichte Tenor von Thomas Hobbs und der hell timbrierte und agile Bass von Peter Kooij, sie alle singen nie aus solistischem Selbstzweck, sondern treten für die Rezitative und Arien aus dem Chor heraus (und anschließend wieder zurück ins Kollektiv), unprätentiös und auch im Solo als Teil des Gesamtklangs, oder besser: Sologesang als Chor in seiner reduziertesten Form.
Es bekommt den Werken nicht schlecht, in dieser Industriehalle gespielt zu werden und nicht in einem Kirchenraum, unterstreicht diese Verschiebung doch neben der christlichen die allgemein existentielle Botschaft. Musikalische Wunderwerke sind sie allemal, viel zu selten zu hören. Bereits erwähnt wurde, wie der Abend mit dem Totenglöckchen beginnt. Er endet mit dem auskomponierten Tod: Im Schlusschoral von BWV 105 verlangsamt sich nach und nach die Begleitung, bis sie nach der letzten Choralzeile ganz zum Erliegen kommt. Schöner lässt sich das Elend der Sterblichkeit kaum darstellen.
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Ich elender MenschKantaten von Johann Sebastian Bach:Liebster Gott, wenn werd ich sterben? (BWV 8) Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen (BWV 12) Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen? (BWV 48) Herr, gehe nicht ins Gericht (BWV 105) Ausführende
Sopran
Alt
Tenor
Bass
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- Fine -