Der Tanzmeister, Zerbinetta und ihre Männer
Beim wichtigsten Musikfestival Frankreichs in Aix-en-Provence steht ein Intendanten-Wechsel bevor. Der 70. Jahrgang ist der letzte von zehn unter Leitung des Belgiers Bernard Foccroulle. Der hat einerseits die auf Mozart und die provencalische Sommeridylle setzende Tradition bewahrt. Er hat aber auch die internationale Vernetzung, samt der offenbar unvermeidlichen Koproduktionen, ebenso wie die vor zwanzig Jahren gegründete Europäische Akademie für den künstlerischen Nachwuchs ausgebaut. Die sichtbarste Veränderung (und Bürde seiner ersten Jahre) war der Neubau des Grand Théâtre de Provence. Dessen über 1300 Plätze stehen seit 2007 auch für Hauptproduktionen des Festivals zur Verfügung. Außer Rheingold wurden hier alle Teile des Nibelungen-Rings von Simon Rattle und den Berliner Philharmoniker herausgebracht. Damit war für mehrere Jahre ein Programm-Schwerpunkt vorgegeben, den Foccroulle von seinem Vorgänger Stephane Lissner (und dessen Mit-Planerin Eva Wagner-Pasquier) geerbt hatte. Zum Abschluss resümierte Foccroulle, dass seine eigene Festivaldramaturgie (mit einer Mozart- und Barockoper, einen Klassiker, ein weniger bekanntes Stück und einer, ja manchmal sogar zwei Uraufführungen) erst ab 2010 möglich war.
Herausragende Produktionen waren etwa Dmitri Tcherniakovs atemberaubende Carmen (2017). Patrice Chéreaus gleichsam testamentarische Elektra (2013) ist in bleibender Erinnerung. Immer wieder setzte die britische Regisseurin Katie Mitchel Maßstäbe. Ob mit dem Uraufführungsglücksfall von George Benjamins Written on Skin (2012), Alcina (2015) oder mit Pelléas et Mélisande (2016).
Privattheater im Salon
Schon wegen dieser Reihe von erstklassigen Inszenierungen waren die Erwartungen an ihre Ariadne auf Naxos in diesem Jahr hoch. Und die Enttäuschung umso größer. Vielleicht lag es daran, dass sie nicht im Großen Haus, sondern in dem unter freiem Himmel zwar atmosphärischen, aber in seinen bühnentechnischen Möglichkeiten eingeschränkten Théâtre de l'Archevêché, im Innenhof des ehemaligen erzbischöflichen Palastes inszenierte. Der gutbürgerliche Salon, den Chloe Lamford für dieses seltsame Zwitterstück des Erfolgsduos Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal gebaut hat, kommt dem Plot, in einem noblen Wiener Privatpalais eine Oper und ein Singspiel aufführen zu lassen, zunächst recht nahe. Hier wird wirklich im Kammerspielformat eine wüste Insel aus Sand in den vor unseren Augen leergeräumten Salon geharkt und mit Neoröhren begrenzt. Lichter finden sich dann auch in Zerbinettas Kleid und als Bauchbinde bei den Männern ihrer Truppe. Und hier laufen sich tatsächlich der tuntige Tanzmeister (Rupert Charlesworth stöckelt bewundernswert sicher) samt Zerlinas Truppe und die abgehobenen Großkünstler nebst Komponist und dessen Lehrer dauernd vor den Füssen herum. Das hat selbstverständlichen Spielwitz. Wirkt aber im zweiten Teil, wenn wirklich Oper und Maskerade miteinander verschränkt werden, einerseits seltsam schaumgebremst, andererseits mit Einfällen überfrachtet.
Zur Geburt des Gottes ein Tischfeuerwerk
Bei Mitchel und ihrem Dramaturgen Martin Crimp kriegt man (anders als in der heute gebräuchlichen Fassung) auch mal mit Paul Herwig den reichsten Manns Wien (nebst Julia Winniger als seiner Gattin) und nicht nur deren Haushofmeister (etwas schmalbrüstig: Maik Solbach) zu sehen und mit Zwischenrufen zu hören. Dass der Komponist (wunderbar: Angela Brower) seine Oper durchdirigiert, leuchtet ja noch ein. Wenn aber der reiche Mäzen im langen roten Kleid auftritt und wenn die für die Oper schwanger ausstaffierte Ariadne auf dem großen Tisch im Salon bei der Ankunft des Gottes niederkommt, dann ist das ganz schön dick aufgetragen. So wie das Tischfeuerwerk zum Finale wiederum zu mickrig ausfällt.
Bacchus und Ariadne
Marc Albrecht sorgt mit dem Orchestre de Paris für einen wunderbar geschmeidigen Klang und liefert die Parlando-Untermalung ebenso maßgeschneidert wie die großen Ausbrüche von Ariadne und Bacchus. Die eine, Lise Davidsen, eine potentielle Brünnhilde der Zukunft, die auch zum Klub der Ehemaligen der Akademie gehört. Der andere mit Eric Cutler einer der Standfesten seines Fachs. Wunderbar koloraturzart (aber darstellerisch unterfordert und aufs Blinkerkleidchen reduziert) Sabine Devieilhe als Zerbinetta. Auch eine der insgesamt neun ehemaligen Akademisten dieser Produktion. So schließen sich dann doch die Kreise.
FAZIT
Das bedeutendste Musikfestial Frankreichs in Aix-en-Provence beginnt mit der Bilanz einer Ära und einer zumindest musikalisch voll überzeugenden Ariadne auf Naxos unter freiem Himmel.
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