Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
|
|
Gerade jetzt: Russische Musik!Von Christoph Wurzel / Fotos: © Monika Rittershaus Über die
Osterfestspiele in Baden-Baden, seit vielen Jahren glanzvoller
Höhepunkt im Festspielhaus, zogen in den vergangenen zwei Jahren dunkle
Schatten. Infolge des 2020 plötzlich verhängten Lockdowns mussten sie
komplett abgesagt werden. Aus der Not einer ähnlichen Situation im
vergangenen Jahr entwickelte man geschickt ein überaus gelungenes
Streaming-Festival mit einer Reihe von ideenreich inszenierten und
interessant präsentierten Konzerten auf höchstem musikalischen Niveau.
Dass 2022 die Osterfestspiele nun wieder in gewohntem Format und in
bewährter Qualität als Präsenzfestival stattfinden würden, war Hoffnung
und fester Wille aufseiten der Berliner Philharmoniker und des
Festspielhauses.
Russische Musik soll den lange geplanten Programmschwerpunkt bilden. Am 24. Februar, dem Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine, nun drohte das erhoffte ruhigere Fahrwasser für die Osterfestspiele in Turbulenzen zu geraten. Es gab Kultureinrichtungen, die nicht schnell genug sein konnten, russische Kunst aus den Programmen zu nehmen. Die Philharmoniker und das Festspielhaus entschieden besonnener. Sie hielten daran fest, gerade jetzt Musik aus Russland zu spielen. Denn was hat ein Anhänger westlich-liberaler Ideen des 19. Jahrhunderts wie Pjotr Tschaikowsky, was hat ein Musiker, der selbst unter der Repression Stalins gelitten hat, wie Dimitri Schostakowitsch mit dem totalitär-aggressiven Nationalismus des Putin-Regimes gemein? Was Sergeij Rachmaninow oder Igor Strawinsky, die vom Bolschewismus ins Exil getrieben wurden? Und erst recht Mieczysław Weinberg, der (zwar gebürtiger Pole) als Sowjetbürger durch die Gewalt des Stalinsystems beinahe vernichtet worden wäre? Mag die Propaganda auch Putins Herrschaft als die Erneuerung russischer Größe verklären, die Wirklichkeit zeigt, dass sie ihren zivilisatorischen Abstieg bedeutet. Die gesamte Tradition eines reichen Kulturlandes pauschal über den Kamm der political correctness zu scheren, wäre nichts als ein Zeichen ungeheurer Geschichtsblindheit. Die Berliner Philharmoniker und die Intendanz des Festspielhauses stehen fest zur russischen Musik. In der entsprechenden Pressemitteilung heißt es: "Damit übernehmen wir und alle ausführenden Künstlerinnen und Künstler Verantwortung für das friedliche kulturelle Miteinander in West- und Osteuropa.“ Alle gennannten Komponisten finden sich auf den Programmen der zehntägigen Osterfestspiele. Als szenische Opernproduktion wird in der Regie von Moshe Leiser und Patrice Caurier und unter der Leitung von Kirill Petrenko Tschaikowskys Pique Dame gegeben. Für die ursprünglich gesetzte, aber erkrankte Asmik Grigorian wird Elena Bezgodkova die Rolle der Lisa übernehmen. Arsen Soghomonyan wird den Hermann singen und Vladislav Sulimsky den Grafen Tomski. Die Aufführungen sind am 9., 12., 15. und 18. April. Auf Tschaikowskys vorletzte Oper folgt seine letzte, Jolanthe, als einmalige konzertante Aufführung am 17.April; ebenfalls dirigiert von Kirill Petrenko und mit Soya Yoncheva in der Titelrolle und Dmytro Popov (Tenor) und Andrey Zhilikhovsky (Bariton) als männliche Rivalen.
In den
Sinfoniekonzerten stehen allein vier der großen Ballettkompositionen
von Igor Strawinsky auf dem Programm: Fast ausschließlich russische Musik sehen auch die 13 Kammerkonzerte von Solistinnen und Solisten der Berliner Philharmoniker vor, die wie in den vergangenen Festspieljahren wieder in den kleineren Konzertsälen im Zentrum der Kurstadt zu hören sein werden. Kirill Petrenko Die ursprüngliche Programmplanung enthielt auch ein Konzert mit Anna Netrebko und den Berliner Philharmonikern mit Liedern von Rachmaninow und der Briefszene der Tatjana aus Eugen Onegin. Nach "Gesprächen mit der Künstlerin", gab das Festspielhaus bekannt, dass die "Entwicklungen rund um ihre Person einen Auftritt im Rahmen der Osterfestspiele nicht möglich" mache, man aber eine zukünftige Zusammenarbeit nicht ausschließe. Über eine alternative Lösung für das Konzert ist noch nichts bekannt geworden. Schärfer fiel die Erklärung zur Person von Valery Gergiev aus, der im Festspielhaus seit dessen Eröffnung häufiger Gast mit verschiedenen Orchester war, vor allem aber alljährlich mit Operninszenierungen und Ballettproduktionen des Mariinsky-Theaters St. Petersburg. Wegen Gergievs bekannter Weigerung, sich von Putins Krieg zu distanzieren, gab das Festspielhaus bekannt, die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten "bis auf Weiteres" einzustellen, nicht allerdings ohne seine Verdienste um das Festspielhaus in der Vergangenheit hervorzuheben. Dies betrifft zwar nicht die Osterfestspiele, aber die im Juli geplanten zwei Konzerte sowie Oper und Ballett im Dezember. Sicher ein schwerer Entschluss, nicht zuletzt weil Gergiev in Baden-Baden gerade auch ein zahlreiches russisches Stammpublikum hat - aber ein richtiger Schritt.
Man vergleiche
mit Gergievs Haltung die persönliche Erklärung von Kirill Petrenko, die
bereits am Tag nach der Invasion veröffentlicht wurde und in der es
heißt: "Der heimtückische und völkerrechtswidrige Angriff Putins auf
die Ukraine ist ein Messer in den Rücken der ganzen friedlichen Welt,
es ist auch ein Angriff auf die Kunst, die bekanntlich über alle
Grenzen hinaus verbindet". Petrenko zeigte sich "zutiefst solidarisch
mit all meinen ukrainischen Kolleginnen und Kollegen." In
ähnlicher Weise äußerten sich zeitgleich auch die Berliner
Philharmoniker. So sieht künstlerische Verantwortung aus, die immer
auch eine gesellschaftliche Verantwortung ist. |
Unsere Rezensionen:
|
- Fine -