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Wer schwängerte Sieglinde?Von Stefan Schmöe, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Der "Feuerzauber" besteht aus einer einzigen Kerze. Immerhin, könnte man sagen (andere äußern sich lautstark mit "buh"). Denn Regisseur Valentin Schwarz unterläuft mit dieser einsamen Kerze nicht nur ironisch die Erwartungshaltungen, sondern er verschiebt ganz bewusst den Fokus, weg von Brünnhilde in ihrem schützenden Feuerkreis und hin zum trauernden Wotan, getrennt durch eine Art Lamellenwand - Wallhall-Architektur, was auch bedeutet: Selbst Schuld! - von seiner Lieblingstochter, und krümmt sich vor Schmerz. Besagte Kerze trägt Gattin Fricka herein, nebst Versöhnungssekt, schließlich hat Gatte Wotan brav in ihrem Sinne gehandelt, hat den vermeintlichen Ehebrecher Siegmund (Spoiler: Er war`s gar nicht) eigenhändig erschossen, als Brünnhilde ihn gegen den braven, allerdings auch groben Wachmann Hunding (beeindruckend klar und zupackend: Georg Zeppenfeld) verteidigen wollte. Und hat Brünnhilde angemessen bestraft für ihr Fehlverhalten. Die bürgerlichen Werte haben obsiegt. Aber darauf anstoßen mag Wotan nicht, er nimmt lieber seinen Hut, was ganz wörtlich zu verstehen ist, der vielleicht Brünnhildes Cowgirl-Hut aus dem zweiten Aufzug ist, und zieht von dannen. Wüsste man, ob seine Trauer der Tochter oder dem Machtverlust gilt (das ist allzu unscharf inszeniert), wäre es richtig gut. So endet die Walküre ganz passabel. Man möchte wissen, wie es weitergeht, wie die Handlungsfäden aus dem Rheingold mit diesen Geschehnissen verknüpft werden: Das ist Netflix-Dramaturgie. Der Regisseur selbst hat darauf hingewiesen.
Sieglinde (bereits schwanger) und Siegmund
Die große Geschichte des Ring des Nibelungen rückt erst einmal in den Hintergrund, hier geht es vornehmlich ganz privat um Sex and Crime in der Wotan-Großfamilie. Hunding gehört zum Wachpersonal, eine entwurzelte Esche ist in sein Haus gerutscht, hat die Stromversorgung unterbrochen. Der vor dem Unwetter Schutz suchende Siegmund gehört offenbar zu denen, die man besser schnell und diskret liquidiert, gleichwohl gilt Gastrecht. Siegmund und Sieglinde begreifen, dass sie Zwillinge sind, die früh getrennt wurden, und passend dazu verwandelt sich die Kulisse in die Jugendzimmer der beiden. "So blühe denn, Wälsungenblut": Wagners Aufforderung zum inzestuösen Sex ist überflüssig, denn Sieglinde (stimmlich hinreißend und beinahe schon überdimensioniert: Lise Davidsen) ist bereits hochschwanger, nur offenbar nicht vom Gatten Hunding. Aber von wem dann? Wir werden es sicher erfahren in Der Ring des Nibelungen Staffel 1 Folge 3 oder 4. So geht Netflix-Dramaturgie.
Wenn Brünnhilde dann zunächst den feschen Siegmund (everybody's Darling Klaus Florian Vogt mit hell timbrierten, leicht baritonal grundiertem, in jedem Ton souveränen Tenor) unterstützen soll, dann aber Hausherrin Fricka (furchteinflößend präsent mit toller Stimme: Christa Mayer) ein Machtwort spricht und Wotan (schlagkräftig heldenbaritonal, aber im Dialog mit Brünnhilde mit vielen leisen Zwischentönen: Tomasz Konieczny) zurücksteuern muss, dann gelingt es Schwarz doch sehr eindrucksvoll, die Gefühlslagen und die Zerrissenheit dieser Figuren zum Ausdruck zu bringen. Brünnhilde (etwas pauschal in der Klangfarbe, aber differenziert in der Gestaltung und mit angemessen heroinenhafter Attacke: Iréne Theorin) erkennt früh ihr Dilemma, aus dem es keinen Ausweg gibt: Unterstützung für Siegmund kommt quasi ihrem eigenen Todesurteil gleich, und das schreit sie eindrucksvoll heraus. Das Familiendrama, das Schwarz hier aufstellt, geht recht gut auf.
Krisensitzung mit fatalen Folgen: Wotan, Hunding und Fricka
Fragwürdiger sind in dieser Walküre die Motive, die er frei hinzufügt (wie die verfrühte Schwangerschaft Sieglindes samt Niederkunft noch vor dem dritten Aufzug). Zu Beginn des zweiten Akts betrauert man den Tod Freias, die wir noch aus dem Rheingold kennen (auch das kann man unter dem Stichwort "Netflix-Dramaturgie" verbuchen). Brünnhildes Pferd Grane tritt in Gestalt eines jungen Mannes auf, Brünnhildes Lover - oder Zuhälter? Brünnhildes Walküren-Schwestern sind Luxusweibchen in der Schönheitsklinik, was man unter dem Stichwort "Provokation" verbuchen darf, wobei das Aufregungspotential dann doch sehr gering ist. (Kostümbildner Andy Besuch setzt hier fifty shades of red auf ästhetisch brutale Weise nebeneinander.) Szenisch gibt es manchen Moment des Wiedererkennens; die Schönheitsklinik (mit Überwachungskamera) etwa entspricht der pädagogischen Anstalt "Nibelheim" aus dem Rheingold, und die rätselhafte Pyramide im Glaskubus, die offenbar Wallhall symbolisierte, taucht sowohl als konkretes Requisit wieder auf (darunter ist das Siegfried verheißene Schwert, hier eine Pistole, versteckt), aber auch als noch nicht klar identifizierbares Element des Bühnenbilds (Andrea Cozzi). Auch das hält die Spannung und Vorfreude auf die nächste Folge hoch.
Luxussessel sind auch nicht mehr das, was sie hoffentlich mal waren: Einen Moment lang konnte man glauben, das zusammenbrechende Möbel im zweiten Aufzug sei ein schlecht platzierter Kalauer der Regie; tatsächlich war es ein Unfall, in dessen Folge sich Tomasz Konieczny so stark verletzte, dass er den dritten Akt nicht mehr singen konnte (im zweiten ließ er sich nichts anmerken). Kurzerhand sprang nach der zweiten Pause Michael Kupfer-Radecki ein, stimmlich ein anderer Charakter, lyrischer, eine Nummer leiser und zwei Nummern weniger heldisch als Konieczny, dabei recht geschickt in der Disposition der Partie, die er sehr achtbar zum traurigen Ende brachte.
Abschied: Brünnhilde und Grane gehen ab, Wotan bleibt verzweifelt zurück.
Beim sehr guten Festspielorchester muss man sicher berücksichtigen, dass Dirigent Cornelius Meister recht kurzfristig für den erkrankten Pietari Inkinen eingesprungen ist und die Probenzeit für einen kompletten Ring ohnehin denkbar knapp ist. Den solide gespielten Feuerzauber etwa hat man in Bayreuth schon klanglich raffinierter gehört. Sehr schön gelingen viele ruhige Passagen im zweiten Aufzug. Die Ausbrüche im ersten Aufzug nimmt Meister eher entspannt, aber wenn Sieglinde sowieso schon schwanger ist, darf sich wohl auch der Testosteron-Spiegel in Grenzen halten; und auch der Walküren-Ritt erklingt eher leicht und verspielt als martialisch, passend zur szenischen Brechung. Keine ganz große, aber eine mehr als solide orchestrale Interpretation.
Valentin Schwarz gelingt alles in allem eine szenisch stringente Walküre, die längst nicht alle Geheimnisse preisgibt, ihren Plot aber recht spannend erzählt. Musikalisch sehr ordentlich mit manchen vokalen Glanzlichtern.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Dramaturgie
Licht Solisten
Siegmund
Hunding
Wotan
Sieglinde
Brünnhilde
Fricka
Gerhilde
Ortlinde
Waltraute
Schwertleite
Helmwige
Siegrune
Grimgerde
Rossweisse
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