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Der Junge im gelben T-ShirtVon Stefan Schmöe / Fotos © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Um das Spektakulärste gleich an den Anfang zu setzen: Dies wird offenbar ein Ring ohne Ring. Und ohne Schwerter, Speer und Tarnhelm. Vielmehr eine Familien-Soap-Opera in den Kreisen der Besserverdienenden. Alle mythisch-märchenhaften Accessoires sind konsequent gestrichen. Stattdessen: Eine Beziehungskomödie? (Tragödie? Das scheint noch unklar) aus der Gegenwart. Eigentlich geplant für das Jahr 2020, dann kam Corona, und so erlebt die Neuinszenierung von Valentin Schwarz mit zwei Jahren Verspätung ihre weitgehend umjubelte, gleichwohl mit ein paar heftigen Protesten versehene Premiere - mit manchen Umbesetzungen, krankheitsbedingt auch kurzfristig am Dirigentenpult (da springt Cornelius Meister für den erkrankten Pietari Inkinen ein).
Alberich raubt das Rheingold, hier umgedeutet in eine Kindesentführung
Aber ein Ring ohne Ring? Na ja, jedenfalls ohne den gewohnten geschmiedeten Reif. Das Rheingold, später der Ring, das ist - ein Kind. Mit etwas gutem Willen kann man in Kindern, plattitüd formuliert, das "Kapital der Zukunft" oder eben auch einfach ein Bild für die Zukunft an sich sehen. Da sitzen im ersten Bild Kinder am Pool (großartige Aussicht auf eine entfernt fränkisch anmutende Landschaft), beaufsichtigt von drei kindermädchenhaften "Rheintöchtern", die ganz prima singen können (Lea-ann Dunbar, Stephanie Houtzeel, Katie Stevenson), und dann kommt (szenisch nicht weiter motiviert) Alberich daher, liefert sich ein Wortgefecht mit den Damen, wird ein wenig gedemütigt - und entführt das eine Kind, das anders aussieht als die anderen und abseits sitzt. Ein Kind im gelben T-Shirt, eine Anspielung vermutlich auf das Gold. Ein Kind mit besonderen Fähigkeiten (was man sehr viel eher durch die Einführungsvorträge - die in diesem Jahr online gehalten werden - versteht als durch das Geschehen auf der Bühne). Kinder sind es auch, die später in Nibelheim sitzen, adrett in rosa gekleidete Mädchen, die brav rätselhafte Bilder malen. Und dazwischen sitzt dieser Junge im gelben T-Shirt, ein Systemsprenger, der randaliert und durch Alberich und Mime zur Gewaltbereitschaft erzogen wird, im aseptisch reinen Raum die Überwachungskamera mit allerlei Gegenständen bewirft (sich dann aber merkwürdig friedlich verhält, wenn er kurzerhand gleich zweimal seinen "Besitzer" wechseln muss).
Es gibt zu jeder der Ring-Opern eine an die Inszenierung angepasste Inhaltsangabe, gelesen von namenhaften Schauspielern und Schauspielerinnen (im Falle des Rheingolds von Jens Harzer), die man per QR-Code (der steht im Programmheft) abrufen kann. Manche Information daraus ist unverzichtbar; man erfährt etwa, dass Wotan und Alberich Zwillinge sind (während der orchestralen Einleitung der Oper, zum Es-Dur-Klang, sieht man ein Video mit Zwilling-Embryos, die sich schlagen; der eine (Wotan) geht offenbar mit Augenverletzung, der andere (Alberich) mit ramponiertem Genital daraus hervor - was ja ganz lustig auf deren spätere Ausprägung anspielt. Ansonsten sind ironische Brechungen eher rar (oder nicht erkennbar); Peter Konwitschnys neue Dortmunder Walküre mit - so der erste Eindruck bei aller nach dem Rheingold gebotenen Vorsicht - durchaus ähnlichem entmythologisierten Konzept - war da mutiger und souveräner, der vorige Bayreuther Ring von Frank Castorf sowieso. Valentin Schwarz' Personal wirkt eher durch die leicht überzogenen Kostüme (Andy Besuch) mit zombieartig starker Betonung der Augenpartien leicht schrill als durch die bestenfalls mittelprächtige Personenregie. Da verschenkt Schwarz einiges an satirischem Potential, das durch das Konzept doch eigentlich freigelegt worden ist. Und um auf die oben angesprochene Inhaltsangabe zurückzukommen: Das Problem ist, dass man darin bereits quasi alles Relevante erfährt - was auf der Bühne passiert, geht nicht nennenswert darüber hinaus. Der durchaus unterhaltsamen Inszenierung fehlt es an den großen Momenten, die aus einem interessanten Konzept wirklich großes Theater machen.
Nibelheim als Erziehungsanstalt: Mime und Zöglinge
Der Verzicht auf historische Einbettung und historischen Ballast auf der einen, auf jegliche Anspielung auf Sagen- und Märchenwelt auf der anderen Seite entwurzeln zudem die Figuren. In Dietrich Hilsdorfs aktuellem Ring an der Düsseldorf-Duisburger Rheinoper oder Johan Simons' Deutung für die Ruhrtriennale 2015 nahm, freilich mit lokalem Bezug zum Ruhrgebiet, die Kohle als Urgrund des Wohlstands eine inhaltlich zentrale Rolle ein; Frank Castorf hat die Kohle dann durch Öl als den "Treibstoff" des 20. Jahrhunderts ersetzt. Schwarz sieht nun offenbar Bildung und Erfindungsreichtum als die zentralen Ressourcen für Wohlstand im 21. Jahrhundert an. Das müsste freilich über die Idee an sich hinaus deutlicher und schlüssiger inszeniert werden. In diesem Rheingold bleibt vieles Behauptung. Man muss freilich, eine Ring-Binsenweisheit, abwarten, wie Schwarz die ausgeworfenen Fäden in den weiteren teilen fortspinnt.
Cornelius Meister dirigiert das Rheingold mit flüssigen Tempi als vergleichsweise unpathetisches Konversationsstück, leicht und beweglich. Die Leitmotive nimmt er zurück, gibt ihnen keinen Signalcharakter, sondern bettet sie in die symphonische Entwicklung ein - das wirkt in seiner musikdramatischen Konzeption erst einmal schlüssiger als das Fehlen der szenischen Pendants auf der Bühne (was dort mitunter zu Leerlauf führt, weil der Text seine unmittelbare Bedeutung verliert, z.B. wenn es keinen Tarnhelm und keinen Ring gibt). Ohne Ambosse oder zumindest Anspielungen auf industrielle Prozesse klingt allerdings auch die entsprechende Musik in Nibelheim ziemlich unmotiviert. Meister und das ausgezeichnete Festspielorchester spielen mit den Klangfarben; die musikalische Dramatik wird eher durch Farbwechsel als durch orchestrale Wucht erzeugt. Große Teile der zweiten Szene nimmt Meister beinahe rezitativisch, könnte da allerdings mit dem Orchester durchaus noch "sprechender", pointierter entlang dem Text phrasierend gestalten.
Egils Silins gibt einen souveränen, wenn auch wenig charismatischen Wotan, was zur Rollenanlage passt, denn dieser Gott sieht sich offensichtlich eher auf dem Golf- oder Tennisplatz denn als Weltenlenker. Seinem Zwillingsbruder Alberich, von der Familie verstoßen und nun mit anderen Mitteln nach - ja, wonach eigentlich? Macht? Geld? Ansehen? - greifend, gibt Olafur Sigurdarson eine große Stimme und wuchtige Präsenz, mitunter auf Kosten der Gesangslinie; manches, längst nicht alles erklingt differenziert. Daniel Kirch neigt als stimmlich ganz ordentlicher Loge, ein schmieriger Familienanwalt, zum Forcieren; auch bei ihm sind sicher noch gestalterische Spielräume, gerade in den lyrischen Passagen, vorhanden. Großartig auf den Punkt genau ausgestaltet ist die Fricka von Christa Mayer, mit lyrischer Emphase beeindruckt Elisabeth Teige als Freia, und Okka von der Damerau als im Haus offenbar geduldete und so gar nicht geheimnisvolle, eher eine Restklugheit im Luxusleben bewahrende Zweitfrau Erda geben ein Damentrio mit Festspielglanz ab. Raimund Nolte als Donner und Attilio Glaser als Froh sind eher leichtgewichtige Möchtegerngötter, Jens-Erik Aasbø (Fasolt) und Wilhelm Schwinghammer (Fafner) fiese Bauunternehmer-Riesen aus zwielichtigem Milieu, stimmlich solide wie auch Arnold Bezuyen als Chefpädagoge Mime in Alberichs Erziehungsanstalt.
Allerlei Widrigkeiten und Umbesetzungen zum Trotz ein musikalisch überzeugender Ring-Vorabend. Das nicht uninteressante Konzept von Valentin Schwarz lebt vorerst mehr auf dem Papier und in den Einführungsvorträgen als auf der Bühne.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Dramaturgie
Licht
Video Solisten
Wotan
Donner
Froh
Loge
Fricka
Freia
Erda
Alberich
Mime
Fasolt
Fafner
Woglinde
Wellgunde
Floßhilde
Der Ring 2022: Das Rheingold Die Walküre Siegfried Götterdämmerung Weitere Rezensionen von den Bayreuther Festspielen 2022 |
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