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Bayreuther Festspiele 2022

Siegfried

Zweiter Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen
Text und Musik von Richard Wagner


in deutscher Sprache

Premiere im Festspielhaus Bayreuth am 3. August 2022

Aufführungsdauer: ca. 6 h Stunden (zwei Pausen)


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Bayreuther Festspiele
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Väter und (Zieh-)Söhne

Von Stefan Schmöe, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath


Plötzlich also doch ein Schwert. Zwei Opern lang hat Regisseur Valentin Schwarz jedes der Mythologie oder Historie entlehnte Requisit konsequent umgedeutet, überschrieben oder ironisch gebrochen. Und dann zaubert er es doch hervor. Aus der orthopädischen Gehhilfe von Siegfrieds Ziehvater Mime. Keine grobe Schmiedearbeit, sondern eher das feine Florett. Vielleicht ist es auch nur ein Metallspieß, oder der notfalls zur Abwehr von Meinungsverschiedenheiten verwendbare Gehstock des feinen Mafioso. So genau ist das nicht zu erkennen. Sei's drum: Alle tun fortan so, als sei es ein Schwert, also nennen wir das Objekt auch "Schwert". Zu den Schmiedeliedern zerstört Siegfried damit seine Puppen: So ist das, wenn Kinder erwachsen werden. Und wenn dann trotz allem noch ein Hauch von Schmiedestimmung traditioneller Art aufkommt, liegt das an einem überdimensionierten, im großen Stil Funken sprühenden Tischfeuerwerk und an einem Aquarium, in das der übermütige Haudrauf dieses Schwert wie zur Kühlung eintaucht. Und man fragt sich, ob das alles nun eine superraffinierte Brechung konventioneller Sehweisen ist oder vielleicht doch Hilflosigkeit der Regie.

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Soll das eine Hommage an Ottfried Preußler sein? Mime jedenfalls erinnert an den Zauberer Petrosilius Zwackelmann aus dessen vor ziemlich genau 60 Jahren erschienenen Räuber Hotzenplotz

Siegfried als coming of age-Drama, das ist ja keine neue Idee; hier tritt sie in mehrfach variierter Form auf: Der sagenhafte und titelgebende Ring, man erinnere sich ans Rheingold, war ja gar kein Ring, sondern ein Junge im gelben T-Shirt, inzwischen in Fafners Obhut zum Manne gereift (seine Kleidung ist mitgewachsen), und er kann sich gleich zweier Ziehväter entledigen: Eben des greisen Fafner, den ein Herzinfarkt dahinrafft (alle - Wotan, Alberich, Siegfried, die den Waldvogel-Part singende Krankenschwester, der Mann im gelben T-Shirt - sehen ungerührt zu), und kurz danach Mimes, in dem er seinen früheren Erzieher aus Nibelheim wiedererkennt. Da beendet er den Todeskampf des von Siegfried (mit dem Schwert) Erstochen kurzerhand mit dem Sofakissen. Dramaturgisch wichtiger ist ja im dritten Aufzug das fatale Aufeinandertreffen von Siegfried und Wotan, was bekanntlich die endgültige Abdankung des Letzteren erzwingt. Doch halt: Wir wussten, daran muss man an dieser Stelle erinnern, am Ende der Walküre gar nicht, wer Siegfrieds Vater war (Siegmund, wie es im Libretto steht, jedenfalls nicht). Seit dem Vormittag dieser Premiere ist das Geheimnis gelüftet, und zwar durch den Dramaturgen Konrad Kuhn im Online-Einführungsvortrag: Es war, wir haben's befürchtet, Wotan höchstselbst, der Tochter Sieglinde schwängerte, und so stehen in Personalunion (wenn auch unerkannt) Vater und Großvater mütterlicherseits vor dem halbstarken Siegfried (was streng genommen die komplexen Verwandtschaftsbeziehungen im Ring sogar vereinfacht). Und wir erfahren aus dem Besetzungszettel, dass der junge Mann im gelben T-Shirt, der hier den Ring symbolisiert, niemand anderes ist als der heranwachsende Hagen. Und da liegt das ganze Elend von Valentin Schwarz' Ring-Konzeption vor uns, weil sich diese eben nicht unmittelbar durch das Bühnengeschehen mitteilt, sondern durch die eigens verfassten Inhaltsangaben und die unverzichtbaren Einführungsvorträge.


Vergrößerung in neuem Fenster Wanderer Wotan als Überraschungsgast bei Mime

Wenn man die Modifikationen der Handlung schluckt (was zunehmend schwerfällt, weil ein Mehrwert immer noch nicht erkennbar ist), erlebt man eine durchaus flott erzählte Geschichte, die allerdings oft darunter leidet, dass wichtige Details nur von den ersten Reihen aus erkennbar sind. Für ein Kammerspiel bedürfte es doch eher eines entsprechend klein dimensionierten Theaters, das riesige Festspielhaus schreit nach großformatigeren Lösungen. Zudem geben die tendenziell unordentlich überladenen Bühnenbilder von Andrea Cozzi wenig her. Mime und Siegfried haben sich in Hundings Haus aus der Walküre eingerichtet und feiern dort gerade Kindergeburtstag, der mit einem großformatigen Poster unversehens zum Sexualkundeunterricht gerät, auf dass der junge Mann das fürchten lerne. Der todkranke Fafner hat sich in Wotans Luxusräume zurückgezogen, und der Walkürenfelsen mit der schlafenden Brünnhilde ist praktischerweise gleich nebenan. Die Erweckung Brünnhildes gelingt Schwarz dann doch recht gut. Zur Erinnerung: Grane, das Pferd, tritt in Form eines Mannes auf, Brünnhildes Beschützer, wie wir jetzt sehen, und aus dieser Figur schlägt die Regie jetzt tatsächlich Gewinn. Was noch nachzutragen ist: Das kleine Mädchen, das die Götter im Rheingold anstatt des Jungen im gelben T-Shirt vergeblich den Riesen unterschieben wollten, taucht auch wieder auf, in der Obhut Erdas. Eine dramaturgische Funktion hat die inzwischen zur Frau herangewachsene Figur offenbar nicht, vermutlich will Schwarz diesen Erzählfaden einfach nur zum Abschluss bringen.

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Unterlassene Hilfeleistung? Siegfried ist nur indirekt Schuld an Fafners Tod, den ein Herzinfarkt ob der turbulenten Ereignisse ins Grab befördert.

Nach drei Abenden sagen die wohlwollenden Festspielgäste: Na ja, aber die Geschichte geht doch einigermaßen schlüssig auf. Die weniger wohlwollenden brüllten ihren Unmut mit heftigen "Buhs" heraus. Dabei hat dieser Siegfried noch eine andere Erzählebene, nämlich die Musik, und die wird durchweg großartig dargeboten. Andreas Schager ist ein glanzvoll strahlender Heldentenor, der sicher hier und da zu sehr auf Lautstärke setzt, aber im Waldweben und noch mehr dritten Aufzug auch zu leisen Zwischentönen fähig ist, gleichwohl vor allem mit seiner scheinbar mühelos geführten Stimme imponiert. Mit Daniela Köhler steht ihm eine intensiv und prachtvoll leuchtend singende Brünnhilde gegenüber, die ihre Partie differenziert ausgestaltet (sie ist nur im Siegfried in dieser Rolle im Einsatz, die anderen Brünnhilden singt Irene Théorin). Tomasz Konieczny, der nach seinem Bühnenunfall in der Walküre zwei Tage zuvor wieder auf der Bühne steht, gestaltet den Wotan-Wanderer deutlich verhaltener als den Walküren-Wotan und lässt seine große Stimme nur gelegentlich, etwa in der Erda-Szene, zu voller Entfaltung kommen, rückt die Figur ansonsten mit leisem Humor in die Nähe des altersweisen Meistersinger-Hans Sachs, was den Klang mitunter ein wenig verschattet, unterstreicht damit aber eindrucksvoll die Wandlung des abdankenden Chefgottes.


Vergrößerung in neuem Fenster Erschöpft von der Regie, aber Asia-Fast-Food bringt Erholung: Der Waldvogel, Siegfried, Mime und der Junge im gelben T-Shirt (laut Besetzungszettel "der junge Hagen")

Arnold Bezuyen singt einen durchaus auf Klangschönheit bedachten Mime abseits der oft üblichen grellen Karikatur. Und auch der Alberich von Olafur Sigurdarson ist gesanglich angelegt - wie die Musik überhaupt davon erzählt, dass alle der hier agierenden Menschen ihre ganz eigenen Ängste und Nöte haben, und das überzeugt akustisch sehr viel mehr als im szenischen Bühnengeschehen. Wilhelm Schwinghammer steuert einen sonor sterbenden Fafner bei, Okka von der Damerau eine warm glänzende, volltönende Erda. Alexandra Steiner schließlich singt einen jubilierenden, nicht zu leichtgewichtigen Waldvogel. So wird dieser Siegfried zum Sängerfest ohne Ausfall.

Nach meinem Empfinden ist dieser Abend der bisher stärkste von Dirigent Cornelius Meister am Pult des ganz ausgezeichneten Festspielorchesters. Die Musik hat Wucht und Prägnanz, ohne pathetisch zu werden. Der erste Aufzug ist immens spannungsreich aufgeladen mit kaum zu bändigender Energie, die gleichwohl kontrolliert bleibt, und auch im zweiten ist diese Spannung immer untergründig vorhanden, auch an den Ruhepunkten. Die Leitmotive sind, wie an den Tagen zuvor, in ihrem Signalcharakter zurückgenommen und in die orchestrale Struktur eingebettet, was gerade diesen zweiten Aufzug fesselnd zusammenhält. Auch die Sterbeszene mit Mime, das wurde oben schon angesprochen, bekommt durch den Willen zum "schönen" Musizieren eine musikalische Sinnhaftigkeit, wie man sie sonst eher nicht erlebt. Bei Brünnhildes "Heil Dir, Licht"-Erweckung betreibt Meister etwas viel Understatement, aber Brünnhildes Wandlung von der Walküre zur "einfachen" Frau gelingt mit berückender orchestraler Zärtlichkeit und Fragilität. Lärmend wird Meister auch im Jubelgesang der letzten Takte nicht. Und die Musik nimmt sich immer zurück und achtet auf die Sänger.

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Siegfried erweckt Brünnhilde

Zum Abschluss noch eine Streitfrage für detailversessene Wagner-Stammtische in aller Welt: Wenn der Junge im gelben T-Shirt den Ring symbolisiert und gleichzeitig der junge Hagen ist - kann er dann den Feuerring um Brünnhilde durchschreiten (was einem die Weltherrschaft versprechenden Objekt, das zudem offensichtlich Wotans Einflusssphäre entzogen ist, doch problemlos möglich sein sollte), oder scheitert er daran, weil das eben nur Siegfried möglich ist und Hagen eben nicht (siehe das Textbuch zur Götterdämmerung)? Der Dramaturg wird wohl darauf verweisen, dass es auch in Wagners originalem Libretto oft nicht mit logisch rechten Dingen zugeht. Wirklich besser macht es diese Neudeutung aber auch nicht. (Der Junge im gelben T-Shirt bleibt übrigens außerhalb des Feuerwalls.)


FAZIT

Musikalisch ist dieser Siegfried auch nach Bayreuther Maßstäben ein großer Abend. Szenisch erlebt man, wenn man sich auf die Volten der Regie einlässt, eine etwas andere, einigermaßen stringent erzählte Geschichte, die freilich mehr Gereiztheit beim Publikum als Bühnenwirksamkeit entwickelt.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Cornelius Meister

Inszenierung
Valentin Schwarz

Bühnenbild
Andrea Cozzi

Mitarbeit technische
Umsetzung Bühnenbild
Stephan Mannteuffel

Kostüme
Andy Besuch

Dramaturgie
Konrad Kuhn

Licht
Reinhard Traub

Statisterie und Orchester
der Bayreuther Festspiele


Solisten

Siegfried
Andreas Schager

Mime
Arnold Bezuyen

Der Wanderer
Tomasz Konieczny

Alberich
Olafur Sigurdarson

Fafner
Wilhelm Schwinghammer

Erda
Okka von der Damerau

Brünnhilde
Daniela Köhler

Waldvogel
Alexandra Steiner

Der junge Hagen
Branko Buchberger

Grane
Igor Schwab





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Der Ring 2022:

Das Rheingold
Die Walküre
Siegfried
Götterdämmerung



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