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Händels letztes "Meisterwerk" Von Thomas Molke / Fotos: © Oliver Hitzegrad Im März hat die Mezzosopranistin und Ausnahmekünstlerin Joyce DiDonato im Rahmen der Reihe "Curating Artist" ein einwöchiges Festival konzipiert, bei dem sie ein breites Spektrum von einem Liederabend (siehe auch unsere Rezension) über ein Mitsingkonzert und Wellnesskonzert bis hin zu einem Orchesterkonzert mit einer Uraufführung (siehe auch unsere Rezension) präsentiert hat. Eigentlich fehlte nur noch für eine Sängerin, die neben ihrer grandiosen Stimme für ihre ausdrucksvolle Darstellung bekannt ist, die große Oper, und die wurde jetzt Anfang Mai nachgereicht. Das heißt: Eigentlich handelt es sich bei Händels Jephtha nicht um eine Oper sondern um sein letztes großes Oratorium, das am 26. Februar 1752 nach einem langwierigen, von gesundheitlichen Problemen des Komponisten überschatteten Schaffensprozess im Covent Garden Theatre in London zu einer umjubelten Uraufführung gelangte. Aber der Grat zwischen Händels Opern und Oratorien ist so schmal, dass man stilistisch kaum einen Unterschied feststellen kann. Die Opern haben mythologische und historische Stoffe zum Inhalt und wurden zu Händels Zeit szenisch aufgeführt, die Oratorien behandeln in der Regel biblische Themen und wurden konzertant gespielt. Heutzutage werden auf den Musiktheaterbühnen auch Händels Oratorien häufig szenisch umgesetzt. Immerhin teilte Händel sie in der Regel auch in drei Akte wie eine klassische Oper ein. Die Handlung von Jephtha ist dem 11. Buch der Richter im Alten Testament entnommen und greift das Thema Menschenopfer auf, das in ähnlicher Form in der griechischen Mythologie bei dem mykenischen König Agamemnon und seiner Tochter Iphigenie und bei dem kretischen König Idomeneo und seinem Sohn Idamante vorkommt. Jephtha, der uneheliche Sohn des verstorbenen Richters Gilead und einer Ammoniterin, wird von seinem Halbbruder Zebul um Unterstützung gebeten, als das Volk Israel erneut von den Ammonitern bedroht wird. Jephtha willigt unter der Voraussetzung ein, dass er bei einem Sieg das Amt des Richters übernehmen wolle. Bevor er in den Kampf zieht, gelobt er Gott, ihm im Falle eines günstigen Ausgangs für Israel den ersten Menschen zu opfern, der ihm bei seiner Rückkehr begegnet. Da dies sein einziges Kind ist, stürzt ihn das in einen tiefen Gewissenskonflikt. In der Bibel erfüllt er den Schwur. Das wird von Händels Librettisten, dem Geistlichen Thomas Morell, der bereits die Textbücher zu Judas Maccabaeus, Solomon und Theodora verfasst hat, nahezu operndramatisch abgeändert. Wie ein "deus ex machina" lässt er kurz vor der Durchführung des Opfers einen Engel auftreten, und verkündet, dass die Tochter nicht geopfert werden, sondern stattdessen ihr Leben fortan als Tempeljungfrau führen soll. Während die Tochter in der Bibel namenlos bleibt, trägt sie bei Händel den Namen Iphis, was wohl als Anspielung auf Agamemnons Tochter Iphigenie verstanden werden kann, die im Mythos ja ebenfalls gerettet wurde und nach Tauris gebracht wurde, wo sie fortan der Göttin Diana dienen musste. Weitere neue zentrale Figuren sind Jephthas Gattin Storgè und Iphis' Bräutigam Hamor, die beide in der Erzählung im Alten Testament nicht vorkommen. So verwundert es nicht, dass die Musikwissenschaftlerin und Händel-Expertin Silke Leopold dem Werk bescheinigt, eine großartige Synthese "zwischen geistlicher und weltlicher Materie, zwischen biblischem Stoff und dem Geist der antiken Tragödie" zu schaffen und damit eine perfekte Verbindung von Oper und Oratorium darzustellen. Eine besondere Rolle kommt wie in den meisten Oratorien dem Chor zu. Zum einen stellt er das Volk dar und wird gewissermaßen zur handelnden Person, wenn er im ersten Akt äußert, fortan nur noch den Gott Israels verehren zu wollen ("No more to Ammon's god and king") und um göttliche Unterstützung im Kampf gegen die Ammoniter bittet ("O God, behold our sore distress"). Zum anderen erfüllt er aber auch eine die Handlung kommentierende oder reflektierende Funktion. Das wird vor allem im zweiten Akt deutlich, wenn er im Jubelgesang ("Cherub and Seraphim") zunächst den Sieg über die Ammoniter feiert und am Ende des zweiten Aktes mit der wohl eindrucksvollsten Chornummer der ganzen Oper ("How dark, oh Lord, are thy decrees") Iphis' bevorstehendes Schicksal beklagt. Hier hat Händel wahrscheinlich die eigene Verzweiflung über seinen gesundheitlichen Zustand in die Musik übertragen, was der Szene eine enorme dramatische Intensität im Ausdruck gibt. Für das glückliche Ende reihen sich dann die Solistinnen und Solisten im dritten Akt beim Schlussgesang in den Chor ein und jubilieren in höchsten Tönen. Neben dem 2012 gegründeten Orchester Il pomo d'oro, das die Produktion unter der Leitung des Ersten Gastdirigenten Francesco Corti begleitet, ist auch der 2021 gegründete Chor Il pomo d'oro in der konzertanten Aufführung zu erleben und begeistert mit homogenem Klang und klarer Diktion. So werden die Emotionen wunderbar transportiert. Die Leidenschaft für Händel konnte der Chor schon bei einer Konzerttournee mit dem Oratorium Theodora unter Beweis stellen, mit dem sie 2021unter anderem in der Philharmonie Essen gastierten (siehe auch unsere Rezension). Michael Spyres als Jephtha Neben Joyce DiDonato war auch Michael Spyres bei der Konzerttournee Theodora dabei. In Jephtha übernimmt er nun die Titelpartie. Der US-amerikanische Tenor, der in den vergangenen Jahren auf den großen internationalen Bühnen vor allem in anspruchsvollen Partien von Rossini, Verdi, Meyerbeer, Berlioz bis hin zu Wagner und Strauss bedeutende Akzente gesetzt hat, stellt auch immer wieder unter Beweis, dass er im Barock-Repertoire zu glänzen weiß. Als Jephtha begeistert er in einem schwarzen Gewand, das an einen Kaftan erinnert und beinahe wie ein Kostüm für eine szenische Umsetzung des Oratoriums wirkt, mit dunkel gefärbtem Tenor, der schon fast eine baritonale Stimmlage annimmt. Während er sich in seiner Auftrittsarie mit kraftvollen Höhen als edler Kämpfer präsentiert, der sich der Herausforderung stellt, das Heer gegen die Ammoniter zu führen, kommt sein Schwur, den ersten Menschen zu opfern, der ihm nach siegreicher Rückkehr begegnet, nahezu düster daher. Hier hat Händel auch keine Arie, sondern ein Accompagnato-Rezitativ komponiert, was die Dramatik der Szene unterstreicht. Im weiteren Verlauf wird er sich der Tragweite seines Schwurs bewusst. Voller Verzweiflung legt er die große Arie im zweiten Akt, "Open thy marble jaws, O tomb", an, wenn er lieber selbst sterben möchte, als sein eigenes Kind zu opfern. Doch schweren Herzens ringt er sich dazu durch, dem Willen Gottes zu folgen. Sehr melancholisch setzt er die große Arie im dritten Akt, "Waft her, angels, through the skies", an, wenn er für seine Tochter ein glückliches Leben nach dem Tod ersehnt. Umso erleichterter und jubelnder zeigt er sich, wenn der Engel das schreckliche Opfer verhindert. Joyce DiDonato als Storgè mit Francesco Corti am Cembalo Auch Joyce DiDonato hat in der Partie seiner Ehefrau Storgè an diesem Abend zahlreiche Möglichkeiten, stimmlich zu glänzen. Zunächst zeigt sie sich besorgt um ihren Ehemann, wenn er in den Kampf gegen die Ammoniter zieht. Hierbei punktet DiDonato mit weich angesetztem Mezzosopran, der allerdings schon in der zweiten Arie an Schärfe gewinnt. Zwar weiß sie nichts von dem Schwur ihres Mannes, aber hat in der Arie "Scenes of horror, scenes of woe" bereits dunkle Vorahnungen. DiDonato macht in der Stimmfärbung diese Angst mehr als deutlicher. Wie eine Löwin, die ihr Junges schützen will, gebärdet sie sich dann im zweiten Akt, wenn sie erfährt, dass ihre Tochter geopfert werden soll. Hier lässt DiDonato mit großartigen Läufen Storgès Panik freien Lauf. In einem eindringlichen Quartett bittet sie Jephtha gemeinsam mit ihrem Schwager Zebul und Iphis' Verlobtem Hamor, von dem Opfer Abstand zu nehmen, muss sich aber wie die anderen in das Unabänderbare fügen. Umso jubelnder triumphiert sie mit leuchtenden Koloraturen am Schluss, wenn ihre Tochter doch gerettet wird. Mélissa Petit (links) als Iphis und Jasmin White (rechts) als Hamor Mélissa Petit begeistert als Iphis mit strahlendem Sopran und glasklaren Höhen, die die Reinheit der Figur hervorheben. Während sie zunächst eine unbekümmerte junge Frau ist, was sich in einer gewissen Leichtigkeit der Musik äußert, ergibt sie sich engelsgleich ihrem Schicksal. Besonders hervorzuheben ist ihre große Abschiedsarie im dritten Akt, "Farewell, ye limpid springs and floods". Jasmin White legt ihren Geliebten Hamor mit dunklem Alt an und punktet durch eine sehr runde Stimmfarbe. Wunderbar harmoniert ihr Alt mit Petits hellem Sopran, auch wenn man sich dramaturgisch fragt, wieso Händel den beiden am Ende noch eine Art Liebes-Duett in die Kehle legt, wenn sie doch füreinander unerreichbar sind, da Iphis ein keusches Leben als Tempeljungfrau fristen muss. Überhaupt verspürt man am Ende des Oratoriums eine gewisse Länge, wenn jede einzelne Partie in einer eigenen Arie noch einmal seine bzw. ihre Freude über die glückliche Wendung zum Besten gibt. Cody Quattlebaum verfügt als Jephthas Halbbruder Zebul über einen kraftvollen, dunklen Bariton, der eine gewisse Autorität versprüht. Optisch passt er sich Spyres' Outfit an. Anna Piroli, die erst ganz am Ende als Engel auftritt, unterstützt vorher den Chor und glänzt bei der Verkündung mit strahlendem Sopran. Francesco Corti führt das Ensemble Il pomo d'oro mit sicherer Hand und Begleitung am Cembalo durch die farbenreiche Partitur, so dass es am Ende frenetischen Jubel für alle Beteiligten gibt. Allerdings fragt man sich - wie schon 2021 bei Theodora in Essen -, wieso man eine knapp dreieinhalbstündige Vorstellung erst um 20.00 Uhr beginnen lässt. FAZIT Auch in der konzertanten Aufführung von Händels Meisterwerk wird deutlich, wie viel Opernpotenzial in diesem großartigen Oratorium liegt.
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Ausführende
Musikalische Leitung
Chor und Orchester
Jephtha Storgè Iphis Zebul Hamor Engel
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